andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 14. Dezember 2005, 17:15
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P18 ?

Eigentlich will ich nur nach einer Schreibmaschine schauen (hey Kids, das ist so eine Art Drucker mit Tastatur, aber ohne Bildschirm), für meine Schwiegermutter, da Weihnachten näher rückt. Mit Computern hat sie es ja nicht; sogar bei elektrischen Schreibmaschinen winkt sie ab. – Aber wo gibt es so etwas noch? Wo orientiert man sich da?
Mir fällt der Versandhauskatalog ein, der bei uns ein nutzloses Dasein fristet. Ist sogar von diesem Jahr, Frühjahr 2005, wie ich feststellen durfte. Das ist für meine Verhältnisse geradezu top-aktuell.
Heidi Klum zeigt auf dem Titelbild ihre Zähne. Das fängt ja gut an...
Über 1000 Seiten, puh. – Also doch lieber das Stichwortverzeichnis zu Rate ziehen. – Hmmm... P, Q, R, S ... Sch …, Schmutzfangmatte. Ende der Seite, umblättern. – Shirts, - zu tief, also nach oben mit den Augen: Shirts, Sexartikel, Sessel ... öhm ... Sexartikel? – Ach da steht ja Schreibmaschine.
Seite 1026 (da hätte ich ja lange blättern können): eine Schreibmaschine. EINE.
Typenrad, Korrekturspeicher, 99,95 € ... Sie haben es nicht einmal mehr nötig dabei zu schreiben, ob das Ding mechanisch oder elektrisch ist. Aber da ich mir einen mechanischen Korrekturspeicher selbst mit viel Fantasie nicht vorstellen kann, wird es eine Elektrische sein. Vermutlich gibt es Mechanische nur noch im Spezialhandel und der junge Verkäufer-Schnösel im Kaufhaus würde mich anstarren, als wäre ich gerade mit dem Mittelalter-Express eingefahren. (Wie damals, als ich in einem Sportgeschäft nach Turnschuhen fragte und den Fehler machte zu sagen: „... zum Laufen und Fahradfahren.“ – So etwas gibt es nicht mehr! Selbst zum Bus- oder Straßenbahnhinterherlaufen gibt es unterschiedliche Outdoor-Lauf-Schuhe.)
Das mit der Scheibmaschine kann ich also erst’mal in die Tonne kloppen. Aber da war doch noch ’was ... – Natürlich wird es nichts Wildes sein, ist ja immerhin ein familientauglicher Katalog. Doch als ordentlicher Kolumnist bin ich geradezu dazu verpflichtet nachzuschauen.
So suche ich nach Seite 602 und lande beim ersten Aufschlagen auf Seite 612: Sandkasten für 49,95 €, Kinderbagger, -kipper, -motorräder und Rutschen. Meine Erwartung schrumpft und schrumpft. Ist halt ein Familienkatalog.
Ein zweiter grober Seitenwurf: Seite 598 – schon nahe dran. Hier gibt es Fahrräder und Kinderfahrräder. Na toll. Sehr vielversprechnd ... Also zwei Seiten weiter ... HUPPS!
Mein zweiter Gedanke: „Wenn jetzt ein Kind nach Kandidaten für die Weihnachtswunschliste schaut und blättert ...“
Mein dritter Gedanke: „Was ist das denn?“

Ach je. Wenn ich jetzt mit meinem Patenkind bei den Fahrrädern ...
„Du Andi, was ist das?“
„Ähm ... sieht aus wie ein Kauknochen für Hunde.“
„Warum steht da: von He bammen emp fohlen?“
„Vielleicht sollen ungeborene Babys damit spielen.“
„Aber ...“ Kurzes Nachdenken, dann Grinsen, dann Lachen. „Das geht doch gar nicht.“
‚Wenn Du wüsstest’, geht es mir durch den Sinn und heimlich lese ich: ‚Für gezieltes Beckenbodentraining und mehr Spaß beim Sex. Durchmesser 4 cm, Gesamtlänge 10,5 cm.’ – Aha, diese “Smart-Balls“ in Weihnachtskugeloptik (Violett und Burgunderrot), die im Verkaufsregal für Hundespielzeug gar nicht auffallen würden, sind nichts weiter als zwei festverbundene Liebeskugeln mit einer Schlaufe an einem Ende.
„Und das da?“
Zum Glück ist mein Patenkind schon weg davon und zeigt auf ...
Häh? - “ergonomisch geformt“ steht da. Könnte glatt die Fernbedienung für eine Carrera-Bahn sein – oder eine Designer-Funkmaus – oder aus dem neuesten Star-Trek-Film ...
Der Name “Laya Spot“ hilft mir jetzt auch nicht weiter. Was steht im Text? Aufliegevibrator? Leise, intensiv und wasserfest? – Da lag ich mit der Fernbedienung ja gar nicht so falsch.
„Kuck mal Andi, ein Geschenk. Kriege ich das?“
Sein Finger zeigt auf ein klassisches Paket in goldenem Geschenkpapier gewickelt und mit blauer Schleife. Ich schlucke. “Vibrator für IHN“ steht da und “natürlich gestaltete Vagina, stufenlose Vibrationen ...“ – Oha!
„Frag’ doch mal Deine Mutter, ob sie es Dir schenkt.“ – Deren Gesicht würde ich wirklich gerne sehen.

Der Phantasie-Dialog in meinem Kopf platzt auseinander, als mein Blick auf die Vakuumpumpe fällt. Gleich darüber werden Reizringe angeboten, mindestens 10 Vibratoren (auch in quietschgelb oder als blauer Delfin), Gummipuppen, eine DVD mit Fesselspielen, eine Analkette und ...

Bin ich jetzt eigentlich sehr prüde, wenn mir das peinlich ist?

Und noch etwas:
Mein vierter Gedanke: wir denken so intensiv und engagiert über P18 nach und ich habe schon Hemmungen, den beschreibenden Text eines Artikels aus einem stinknormalen OTTO-Katalog abzuschreiben. Nur Text. Ohne die dazu gehörenden Fotos ...

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 ViolaKunterbunt (15.12.05)
Ja, da gibt es die seltsamsten Auswüchse in ganz normalen Familienkatalogen.Zwischen Sandkasten und Kinderfahrrad.
Schön geschrieben. Kunterbunte Grüße, Viola
wortverdreher (36)
(15.12.05)
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