andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 09. August 2007, 06:51
(bisher 1.357x aufgerufen)

wattierte Freiheit

Gestern kam ich nicht umhin Teile eines Gespräches zwischen einer Mutter und ihrer etwa zwanzigjährigen Tochter mitzubekommen, während ich Joghurts in meinen Einkaufswagen packte.
„Ich kann jetzt meine Freiheit genießen,“ sagte die Mutter zur Tochter, - was mich etwas überraschte. Den Spruch kenne ich eigentlich nur umgekehrt.
„Mutter! – Die Regeln haben doch nichts mit Freiheit zu tun. Das gehört sich einfach so,“ kam es prompt von der Tochter in der Form zurück, die die Sache noch suspekter machte.

Meine Gedanken schweiften ab. Hastig tat ich beschäftigt und studierte die unterschiedlichen Joghurts, damit mein Lauschen nicht auffiel. So häufig habe ich das mit der Freiheit und den Regeln mitanhören müssen … und: ja, es ist etwas dran. Ist es nicht das Problem der Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit?
Das Gespräch ging noch etwas weiter, führte aber zu keinem Ergebnis. Noch an der Kasse wurden knappe Argumente ausgetauscht; - Satzfetzen, Schlagworte … der klassische Code von Menschen, die sich so gut kennen, dass es nicht mehr bedarf.
Als ich in der Parkbucht auf eine Lücke wartete, weil gerade eine kleine Armada Einkäufer vorbeizog, fielen mir einige der Bruchstücke wieder ein. Wie wäre es jetzt, wenn es nicht die Regel gäbe, dass die Vorbeiziehenden Vorfahrt haben? Wäre das Freiheit? – Wie hatte die Mutter so schön gesagt: „Ich muss keine Rücksicht mehr darauf nehmen.“
Dann an der Parkplatzausfahrt, es zog eine Karawane von Autos die Straße entlang, die vorher durch die Bahnschranke in ihrer Freiheit zu fahren beschnitten worden war, ging mir die Frage noch immer im Kopf herum. “Freie Fahrt für freie Bürger!“ hatte es vor vielen Jahren geheißen, als die Diskussion über Geschwindigkeitsbegrenzungen kochte.
„Aber ich darf das ausbaden,“ hatte die Tochter gesagt. – Wäre es nicht ähnlich, wenn ich jetzt einfach herausfahren würde und die anderen Autofahrer zum Bremsen zwingen würde?
Meinte die Tochter diese Form von Regeln? Es ist doch wohl klar, dass gewisse “natürliche“ Regeln immer gelten werden. Die Schwerkraft zum Beispiel – oder um in einem weniger abgehobenen Bereich zu bleiben: “Verhalte Dich Anderen gegenüber immer so, wie Du möchtest, dass sie sich Dir gegenüber verhalten.“

In der Zone 30 tuckerte ich langsam vor mich hin und ignorierte den drängelnden Audi hinter mir. Als ich mich auf die Linksabbiegerspur vor der Ampel einordnete (sie schlug gerade von grün auf gelb um), zog der Audi rechts an mir vorbei, um dann bei rot über die Kreuzung zu rauschen. Seine Reifen quietschten beim Linksabbiegen und der Querverkehr kam kurz ins Stocken.
Im Rückspiegel hatte ich Mutter und Tochter im Audi erkannt und fragte mich jetzt, ob da mit “Freiheit“ nicht eher das Brechen von Regeln gemeint war, nicht das Abschaffen. Ein häufige Verwechslung, wie ich festgestellt habe.

Schon dachte ich, dass ich für die bevorstehende Autobahnfahrt etwas zum Nachdenken hätte. Diese Leute, die erst auf Freiheit pochen, aber doch nur fordern, dass sie frei handeln dürfen, während sich die Anderen gefälligst an die Regeln halten sollen.
Selber zuschlagen, aber sofort jammern, wenn sie etwas einstecken müssen. - Kennt man ja.

Hach ja … mit diesem Thema kann ich mich leicht über eine halbe Stunde Autobahn retten …

Im Radio meldeten sie, dass der Bahnstreik verboten worden wäre. Na toll. Wieder das gleiche Thema: Freiheit oder Regel? Darf die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt werden, wenn das Gemeinwohl daran hängt?
Wo fängt das an? Wo hört es auf?

Dann lief in meinem Kopf noch mal der Film von Mutter und Tochter ab.
„Du nimmst Dir die Freiheit und ich muss dafür bezahlen,“ nörgelte die Tochter an der Kasse vor mir.
„Wieso soll ich für Deine Regeln zahlen?“ meinte die Mutter spitz und platzierte einen Warenabstandshalter (oder wie auch immer diese Dinger heißen mögen).
„Du hast es immer getan.“ Der Ton der Tochter wurde geradezu quengelig.
„Du hast Dich immer bedient, willst Du sagen,“ konterte die Mutter und bezahlte die Waren.
Die Tochter kramte ihr Portemonaie heraus und zahlte auch. Dann streckte sie die gekaufte Packung ihrer Mutter hin.
„Nein, Schatz. Tragen kannst Du das auch selber.“ – Die Mutter lächelte.
Als ich endlich dran war, zischte mir die Kassiererin verschwörerisch zu: „Die kann froh sein, dass ihre Mutter noch ihre Haare hat … sonst müsste sie das Shampoo auch noch bezahlen.“

Bevor ich auf die Autobahn auf fuhr kam mir die bunte Papp-Packung in den Sinn, die die Tochter konsterniert in die Luft gehalten hatte … Tampons … Regeln … Freiheit … Ich brauchte ein anderes Thema für die Autobahnfahrt.

.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(09.08.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram