andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 19. Februar 2009, 00:54
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Biologen-Erbe

Nachdem die Behandlung religiös indizierten Wörter ein so großer Erfolg war … *räusper* … wende ich mich jetzt mal den der Naturwissenschaft zu; speziell: der Biologie.
Auch hier geistern viele Begriffe herum, die wörtlich eine andere Bedeutung haben, als sie in der allgemeinen Benutzung üblich ist. Allerdings sind die Begriffe in “Fachkreisen“ weitaus näher an der ursprünglichen Bedeutung … was wohl von Leuten erwartet werden kann, die Wert auf Lateinkenntnisse legen.
Dadurch wird es aber nicht einfach eine Falschbenutzung des Wortes zu attestieren. Trotzdem: viele Wörter werden mit dem Brustton der Überzeugung benutzt, schrammen aber haarscharf an der Bedeutung entlang. Oft werden sie erst dann “richtig“ falsch, wenn sie übertragen werden. Erst dann wird klar, dass sie die ganze Zeit über falsch verstanden wurden.
Ein Beispiel?

politische Mimikry (auch: Sozial-Mimikry, kulturelle Mimikry …) bezieht sich auf einen Begriff, der in der Biologie für die (genetisch fixierte, unbewusste und körperliche) Tarnung durch das Nachahmen von Tieren (Tiersignalen) benutzt wird. Bitte beachten: von Tieren, nicht im Tierreich. Auch Pflanzen können sich als Tiere “tarnen“.
Die Herkunft ist nicht direkt lateinisch, obwohl mimicus (= schauspielerisch) die Grundlage bildet. In diesem Fall kommt es über den Umweg der englischen Sprache: mimicry bedeutet Nachahmen oder Nachäffen, was schon von Anfang an missverständlich für einen Fachbegriff ist.
Grundsätzlich ist Mimikry angeboren und hat sich über viele Generationen herausgebildet und –geschliffen. Kein Mimikry-Benutzer kann etwas dafür und von einer bewussten Entwicklung kann keine Rede sein. Seit die These von Lamarck (der, der meinte, dass der Giraffenhals deshalb so lang wäre, weil die Tiere an die hohen Baumblätter wollten) vom Tisch ist, redet kaum noch jemand von der eigenen Entscheidung in Evolutionsprozessen.
Aber genauer: Mimikry wird es genannt, wenn eine Tier- oder Pflanzenart sich als stärker oder giftiger ausgibt, als sie wirklich ist. Schmetterlingsarten sehen wie Hummeln oder Hornissen aus, Schwebfliegen wie Wespen (das müsste jeder aus der Schule kennen). Dummerweise gibt es einige Sonderformen, die (zum Glück) eigene Namen haben: aggressive Mimikry (Peckhamsche Mimikry), Müllersche-Mymikry … und nicht immer ist die Abgrenzung zur Mimese perfekt (Mimese = Nachahmung von Pflanzen(-teilen) oder Objekten (z.B.: lebende Steine)).
(als Beispiel für die aggressive Mimikry: Leuchtkäferweibchen (-> Glühwürmchen), die die Signale anderer Arten nachahmen und die herbeischwirrenden Männchen dann verspeisen (Parallelen zum Menschen werden von den LeserInnen selber hinein interpretiert und unterliegen nicht der Verantwortung des Autoren))

politische Mimikry soll nun aber bedeuten, dass sich Extremisten das Mäntelchen der Friedlichen und Demokraten umlegen. Ein schlecht gewähltes Wort für eine sehr gefährliche Entwicklung, die besonders in der “rechten“ Szene immer stärker wird. Ziel ist es hier ja gerade nicht, sich Feinde vom Hals zu schaffen, sondern sich einzuschleichen.
Es müsste daher heißen: politische aggressive Mimikry oder politische Peckhamsche Mimikry. – Zugegeben, ein zäher Begriff. Auch würde bei der Aussprache der zweiten Variante eine Assoziation zu einem Fußballspieler namens Beckham auf dem Fuß folgen. Und was würde das wieder für Verwirrungen stiften …
Andererseits passt es perfekt: viele Beispiele der aggressiven Mimikry könnten als Bild hervorragend übertragen werden. Etwa die wurmartigen Angelfortsätze einiger Fische, die damit andere Fische ködern.

Was bleibt als Möglichkeit? – Die Mimese.
Bei der Mimese (aus dem Griechischen mimesis … auch die alten Römer haben schon Wörter aus anderen Sprachen übernommen) gibt es keine Untereinteilungen außerhalb der gewählten Tarnform (zumindest haben sie sich noch nicht durchgesetzt). Hier ist die friedliche Tarnung genauso gemeint, wie die aggressive Beutefang-Variante. Oft ist sogar eine Mischung von beiden vorhanden, wenn etwa die Stabheuschrecken sowohl Jäger, als auch Beute sind.
Wenn sich also jemand als Kot-Häufchen, harmloses Blatt, Ästchen, Lehmklumpen oder Stein tarnt, dann ist das Mimese: die Nachahmung des Ungefährlichen und Alltäglichen. Es ließen sich also leicht schöne neue Wörter erfinden Kulturmimese, Politikmimese, Logikmimese, Gehirnmimese



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

wupperzeit (58)
(19.02.09)
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