andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 19. März 2009, 01:57
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Mutters Flüche

Letztens wurde ich Zeuge eines bühnenreifen Streits, den ein Paar kostenlos vor meinen Augen und Ohren vorführte. Na ja, vermutlich wollten sie ihn gar nicht vorführen, sondern meinten die Sache ziemlich ernst. Sie vergaßen wohl nur in der Leidenschaft des Augenblicks, dass sie sich in einem chinesischem Imbiss befanden und nicht in ihrer häuslichen Küche.
Wobei … auch das kann ich nur mutmaßen, denn immerhin handelte es sich um die Inhaber dieses Laufrestaurants, die auch gleichzeitig kochen, kassieren, einpacken und bedienen. Ein klassischer Zwei-Personen-Betrieb, der vom frühen Mittag bis zum späten Abend geöffnet hat und in dem auch die Kinder herumlaufen, wenn sie sich in den privaten Räumen langweilen. Vielleicht ist in so einem Lokal die Imbiss-Küche auch gleichzeitig die private Küche (wie es bei den alten deutschen Familien-Gaststätten auch war – und manchmal noch ist).
Dafür spricht, dass der kleine Schankraum auch als Rennstrecke der rollerfahrenen Tochter diente und der Sohn seine Hausaufgaben an einem der leeren Gasttische machte. Und dafür spricht auch, dass die Eltern sich lautstark stritten, während sie das bestellte Essen für die wartenden Gäste zubereiteten.
Ein sehenswerter Streit. Oder besser: ein hörenswerter Streit.
Kennt Ihr den Spruch: “geträumt und geflucht wird in der Muttersprache“? – Letzteres galt auch in diesem Fall.
Bemerkenswert war, dass das Paar offensichtlich nicht die gleiche Muttersprache sprach (zumindest klangen die Flüche sehr unterschiedlich). Der eigentliche Streit lief in Deutsch ab.
Nun kenne ich mich nicht mit asiatischen Sprachen aus und kann nicht einmal beurteilen, ob sich auch heute noch die Menschen aus unterschiedlichen Provinzen Chinas nur schriftlich verständigen können. Der Imbiss jedenfalls bietet chinesische, thailändische, indonesische und vietnamesische Küche an, was wohl nur bedeuten kann, dass es sich um ein koreanisch-mongolisches Paar handelte. Immerhin wird die typische Dortmunder Pizzeria auch von Indern oder Pakistanern betrieben …

Irgendwie ist es lustig, wenn sich ein Paar in einer dritten Sprache unterhalten muss, weil die Muttersprache des Anderen nur bruchstückhaft verstanden wird. Kommt dann noch hinzu, dass diese Lingua franca auch nicht perfekt beherrscht wird und immer wieder Satzfetzen der jeweils eigenen Sprache eingeworfen werden, so kann ein unterhaltsames Kuddelmuddel herauskommen (zumindest für Außenstehende). Ein Kuddelmuddel allerdings, dass sich der Zitierfähigkeit gänzlich entzieht.
Leider täuscht auch der unterhaltsamste Streit nicht darüber hinweg, dass das Streiten und gleichzeitige Zubereiten von Essen nur bedingt zusammen gehen. So mag es für viele Zuschauer lustig sein, wenn ein Gericht mit zornigem Schwung in die Styroporschale geschmettert wird. Doch für denjenigen, der das Gericht bestellt hat, hält sich der Spaß in Grenzen.
Zum Glück wird in so einem Imbiss nach der “BelleRoutine“ gekocht, was dem Geschmack und der Qualität sehr zugute kommt. Auch war der Streit schon im vollen Gange, als ich das Lokal betrat, was wohl bedeutete, dass ich die besten und heftigsten Stellen verpasste. Einerseits schade, aber andererseits …
Mit meinem duftenden Plastiktütchen in der Hand verließ ich den Imbiss und meine Gedanken kreisten noch länger in dem Themenkomplex “Flüche und Muttersprache“. Die üblichen Schimpfwörter und Wortmüllfloskeln fielen mir darum besonders deutlich auf. Ständig heißt es „Scheiße“ und „ficken“ in unterschiedlichen Variationen. Viel mehr gibt es eigentlich nicht mehr.
Ein besonders gutes Licht wirft das nicht auf den Umgang mit der Sprache …

Da fallen mir zwei Flüche ein, die ich mal hörte, die ich aber vom Ursprung nicht identifizieren kann (jiddisch?). Das waren: „mögen Dir alle Haare ausfallen … bis auf eine borstige Stelle über dem rechten Ohr“ und „mögen Dir alle Zähne ausfallen bis auf einen verwachsenen Backenzahn, damit Du noch Zahnschmerzen haben kannst“.
Irgendwie klingt das hübscher und fantasievoller als die zur Zeit üblichen Kraftausdrücke. Vielleicht sollten wir auf keinVerlag mal ein Projekt gründen, um unsere Sprache mit neuen und kreativen Beschimpfungen zu bereichern. Mir jedenfalls gefiele es nicht, wenn meine derzeitigen Flüche auf meine Muttersprache hinwiesen …



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Angelika Dirksen (62)
(19.03.09)
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 Isaban (19.03.09)
Wäre eine witzige Sache!
Vielleicht kein Projekt, sondern eher eine neue Sparte, bei den Kleinkunstbeiträgen?

Mein Großeltern waren wundervoller Schimpfer. Einer von Opas Lieblingssprüche war: Würden alle deine garstigen Wörter zu Froschkönigen werden, du könntest ganze Tümpel mit Monarchen füllen. Oma konterte gerne: Wären alle deine dummen Sprüche bare Münze, boah, wären wir reich!
(Dazu sei gesagt, dass sie derartige Zwiegespräche eher als eine Art liebevollen Sport mit Unterhaltungswert betrieben. Sie haben es selten allzulang ohne Losprusten geschafft. Meine Großmutter hatte ein klein bisschen mehr Lachmuskelbeherrschung.)

Liebe Grüße,

Sabine
wortverdreher (36)
(19.03.09)
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 Marla (19.03.09)
Die Kolumne ist super. Über die Bauernmalerei habe ich mich schon amüsiert und die find ich auch gut. Und irgendwann muss ich das ja mal sagen.
Wo genau ist dier Imbiss? Hats denn geschmeckt?
A.
wupperzeit (58)
(19.03.09)
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 Bergmann (22.03.09)
Der Kolumnist hat ein Faible fürs Theater... Dortmund liegt am Rand, aber Bochum ist gut und nicht allzu weit weg, oder Essen, auch Wuppertal und Pina Bauschs Tanztheater sind nicht weit...
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