andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 20. Mai 2009, 23:58
(bisher 1.091x aufgerufen)

Fehler

„Es sind besonders die eigenen Fehler, die uns am Gegenüber negativ auffallen“ ist ein Satz, den ich in meiner Jugend irgendwo las. Leider habe ich vergessen, von wem er stammt (und finden kann ich das auch nicht … Hilfe wird da gerne angenommen).
Im Gegensatz zu dem klugen Spruch von Georg Christoph Lichtenberg ( “Jeder Fehler erscheint unglaublich dumm, wenn andere ihn begehen.“ ) zielt dieser Satz nur bedingt darauf, dass die Fehler auch bei sich selber als Fehler erkannt werden. Das macht ihn für mich so faszinierend, denn viele Menschen mögen es gar nicht, wenn ihnen der Spiegel vorgehalten wird; egal ob es um Fehler oder Marotten geht, um Verhaltensweisen, eigene Floskeln, Anziehsachen, Frisuren, Autos oder sogar persönliche Stärken. Es wird als Nachäffen empfunden, als Angriff gegen die eigene Individualität.
Da stellt sich dann schon die Frage, ob es sich nur darum dreht, dass wir uns zu schnell an das Falsche gewöhnen und/oder an uns akzeptieren, obwohl wir wissen, dass es ein Fehler ist. Es ist nämlich auch genau anders herum zu verstehen: es fällt uns negativ auf, wenn das Gegenüber nicht das macht, was als eigener Fehler empfunden wird.
Denn so einfach ist es mit vielen Fehlern gar nicht. Was, wenn es nicht eindeutig ist, ob es sich überhaupt um einen Fehler handelt? Was, wenn Sachzwänge die Fortführung erzwingen, weil die Behebung des empfundenen Fehlers noch viel mehr “Fehler“ hervorruft? Oft genug neigen Menschen dann dazu, dass sie das Ganze positiv hoch stilisieren und auf einen goldenen Thron setzen. Plötzlich ist es dann nicht mehr ein individueller Fehler, eine Macke oder ein Zusammenhang, der auch negative Aspekte in sich trägt, sondern der einzige richtige Weg. Sprich: die Falle, in die man sich selber begeben hat, wird als Master-Plan für alle gefordert … und dann sind plötzlich diejenigen die Fehlenden, die sich für etwas anderes entschieden haben.
Als Beispiel sind Eltern sehr eingängig. Jeder weiß, dass Kinder nicht nur den Sonnenschein in die Herzen von Mütter und Väter tragen. Sie bringen eine ganze Menge Nachteile mit sich und sind darin ausnehmend individuell. Hat der eine Probleme mit einem hyperaktiven Kind, so ist das nächste nur bedingt begabt, strunzdumm, alles andere als liebenswert, unzuverlässig oder so fleißig wie eine Drohne. Jedes “Blag“ hat eigene Sonnenstrahlen – und nicht alle sind wärmend.
Die Reaktion vieler Eltern ist jetzt aber nicht, dass sie bewusst die positiven Seiten hervorheben (ohne die negativen zu leugnen). Nein, sie definieren das Kinderhaben als das große Muss und schauen auf jeden runter, der keine Kinder hat. – Das funktioniert gesellschaftlich so gut, dass so mancher Kinderlose sich mit Schuldgefühlen abquält … oder sich, ganz nach dem obigen Schema, als der Klügere und Tollere darstellt. Und schon haben wir zwei Lager von Leuten, die nicht nur die negativen Aspekte schönreden, sondern sie jeweils als den Königsweg bezeichnen.
(auch hier ein hübsches Zitat, diesmal von André Malraux: „In der Politik ist es manchmal wie in der Grammatik: Ein Fehler, den alle begehen, wird schließlich als Regel anerkannt.“ )

Ähnliches begegnet uns an vielen Stellen. Arbeitende, denen ihr Job längst zum Hals heraus hängt, die aber herablassend über diejenigen reden, die “keiner Beschäftigung“ nachgehen. Ganz so, als sei das tägliche Klotzen kein Sachzwang, um leben zu können, sondern die Eintrittskarte in das Menschsein. Arbeitslose sind da oft nicht anders: so manche machen sich über diejenigen lustig, die sich jeden Tag aus dem Haus schleppen. Und so geht das an allen Stellen: Ungebildete erheben sich über die “Eierköppe“, Intellektuelle über die “schlichten Gemüter“, Reiche über die Habenichtse, Arme über die Bonzen, Katzenbesitzer über Hundehalter, Prosaschreiber über Lyriker … doch im Grunde steckt da in vielen Fällen (nicht in allen) hinter, dass die eigene Seite als fehlerbehaftet gesehen wird. Neid, wenn man so will. Ein sehr menschliches Verhalten, vermutlich.

Wie sagte Kurt Tucholsky: “Erfahrung heißt gar nichts. Man kann seine Sache auch 35 Jahre schlecht machen.“ – Ja, oder das ganze Leben.


Andreas Gahmann

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Bergmann (21.05.09)
Vertrackt. Paradox. Rettungslos:
Ich bin selber so ein Fehler-Kind gewesen und schuf eins wie mich... Die Grenzen der Erziehung sind so klar - und doch geht es nicht ohne. Dialektik: Wäre mein Sohn so (fehlerhaft) wie ich - and so on - - - die Welt wäre ruiniert, mindestens KV.
Herzlichst: Uli
wupperzeit (58)
(21.05.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram