andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 01. Oktober 2009, 00:30
(bisher 1.244x aufgerufen)

Blutfrage

Wenn es ums Blut geht, herrschen bei den meisten Menschen geradezu mystische Vorstellungen. Damit ist nicht einmal der starke Hang zum Vampirismus gemeint, der die Gedanken so vieler Menschen beschäftigt oder Umschreibungen wie “Lebenssaft“, sondern vielmehr die fast religiöse Vorstellung, die sich hartnäckig gegen die Erkenntnisse der Medizin und Biologie sträubt.

Fast?

Neulich hatte ich ein Gespräch, das mich sehr an die Diskrepanz zwischen Astrologie und Astronomie denken ließ…
„Es ist dieses Eiweiß im Blut, das für den einen Menschen gut und für den anderen schlecht sind?“
„Eiweiß?“
„Ja, das macht die Blutgruppen aus.“
„Ja. Und?“
„Durch das Eiweiß wird der Typ Mensch festgelegt. Der eine verträgt das Essen gut, der andere nicht.“
„Und das hängt mit den Blutgruppen zusammen?“
„Ja, früher gab es nur die Blutgruppe 0, die für die Jäger und Sammler besonders geeignet war. Dann kam der Ackerbau auf und dadurch die Blutgruppe A.“
„Und was ist mit der Blutgruppe B?“
„Das waren früher die Hirten.“
„Und was heißt das jetzt?“
„Die meisten Menschen ernähren sich falsch, weißt Du. Leute mit Blutgruppe Null vertragen gut Fleisch, Obst und Nüsse, aber nicht so gut Getreide. Blutgruppe A steht für wenig Fleisch, aber viel Gemüse und Getreide. Und B steht für diejenigen, die Milcherzeugnisse und rotes Fleisch gut vertragen, aber mit Getreide Schwierigkeiten haben.“
„Dann müssen nur alle das richtige essen und schon geht es ihnen gut?“
„Ja, - auch. Allerdings muss auch der Rhesus-Faktor berücksichtigt werden, denn der steht für weitere Sachen, die man verträgt oder nicht.“
„Das hört sich schon etwas seltsam an. Findest Du nicht?“
„Es ist die Eiweiß im Blut. Das ist doch logisch.“
„Aber die Blutgruppe macht sich doch nur an einer einzigen Eiweißart fest, die auf der Hülle der roten Blutkörperchen sitzt. Das ist eine Eiweißart von Tausenden, die in unserem Blut herumschwirren.“
„Es ist das Eiweiß, um das es geht.“
„Alle unsere Zellen bestehen aus Eiweiß. Das Eiweiß ist mit Legosteinen zu vergleichen, denn daraus ist alles aufgebaut.“
„Aber dieses eine Eiweiß bestimmt uns halt. Ich spüre ganz deutlich, dass es mir besser geht, seitdem ich kein rotes Fleisch mehr esse.“

Zu Hause habe ich mich drangesetzt und ein wenig recherchiert. Es gibt sie tatsächlich, die Seiten im Internet, die so eine Lehre in die Welt posaunen. Allerdings widersprechen sie sich in den meisten Bereichen und die Spekulation scheint die bevorzugte Quelle der Erkenntnis zu sein. Mal gilt B als die Blutgruppe der asiatischen Steppenbewohner, die sich erst vor einigen tausend Jahren einmischte, dann wieder als sehr alte Blutgruppe, die von den anderen verdrängt wurde. Mal ist 0 die ursprüngliche Form, dann A. Mal entwickelte sich B vor 10.000 bis 15.000 Jahren, dann aber schon viel früher oder später. Immer aber steht ganz klar fest, dass die Blutgruppe eine wichtige Rolle für die richtige Ernährung spielt.
Das erinnert wirklich sehr an die Astrologie: da wird etwas von Menschen entdeckt, eingeteilt und benannt – und schon muss es das Leben des Menschen beschreiben. Keine Rede von den weiteren Blutgruppensystemen, die sich an anderen Merkmalen festmachen. Keine Rede von der einzigen feststellbaren Besonderheit der Immunabwehr bei Blutvermischung. Und keine Rede davon, dass die moderne Medizin die Blutgruppen sehr kritisch beäugt, denn sie sind zwar ein sehr augenfälliges Merkmal, aber halt nur eines von Tausenden.
Stattdessen wird wild in der Esoterikwühlkiste gegraben und nach Parallelen und Überschneidungen zu anderen Weltbildern gefahndet. Da kommt der Vergleich zu den Erd-Feuer-Wasser-Typen, da wird die Beeinflussung der Sternzeichen gefunden oder gleich ein System entwickelt, bei dem der Charakter aus der Blutgruppe geschlossen wird.

Nur mal als Denkanreiz: das Blutgruppensystem AB0 wurde erst vor etwa hundert Jahren entdeckt. Die Verteilung der Blutgruppen ist auf der Welt sehr unterschiedlich (was auch für Haar- und Augenfarben gilt) und sie sind nicht auf den Menschen beschränkt: Flachlandgorillas haben zum Beispiel die Blutgruppe B (vielleicht sogar ausschließlich - und doch halten sie sich keine Rinder oder Schafe). Auch die Blutgruppe A ist bei vielen Primaten vertreten (ohne erkennbaren Ansatz zum Ackerbau) und zumindest von Schimpansen ist auch die Blutgruppe 0 bekannt. Wie soll da eine ernährungs- oder kulturbedingte Blutgruppenentwicklung abgeleitet werden, ohne sich dafür Knoten ins Gehirn zu denken?



Andreas Gahmann

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 BrigitteG (01.10.09)
Ich glaube, in meinem Blut habe ich Sauerbraten-Antikörper :).

 Dieter_Rotmund (01.10.09)
Dialog klasse, kann durchaus alleine für sich stehen, Rest hätte ich mir gespart...

 Ana Riba (01.10.09)
Gibt es da nicht mittlerweile auch die "Blutgruppendiät"...:-)
bestimmt prima für angehende Vampire...
Manchmal, aber auch wirklich nur manchmal, fragt man sich, haben die eigentlich alle ein Deppenschild auf der Stirn?
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram