andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 25. November 2009, 22:20
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Einmalig? Wo?

Es ist ja nun allgemein bekannt, dass Menschen etwas Besonderes im Tierreich darstellen. So besonders gar, dass viele Leute steif und fest behaupten, dass sie nicht einmal zum Tierreich gehörten.
Die Mehrheit der Menschen behauptet das nicht (was nicht bedeutet, dass sie nicht daran glauben) oder ignoriert dieses Thema. Stattdessen werden fleißig Unterschiede gesammelt, die den Abstand zur Tierwelt vergrößern oder zumindest die Nische, in der die Menschheit lebt, bemerkenswerter macht. Dabei kommt es immer wieder zu Pannen, zu Rückschritten sogar, wenn eine der lieb gewonnenen Einmaligkeiten auch bei einer Tierart gefunden wird.

So sind schon ein großer Teil der körperlichen Besonderheiten eingeebnet worden. Den Daumen gibt es auch anderswo (es gibt sogar Tiere mit zwei Daumen!), das Modell “Hand“ findet sich mehrfach, Stimmbänder und Lauterzeugungsorgane ziehen sich als breite Schneise durch das Tierische, bei den Augen gibt es weitaus bessere Umsetzungen und über die inneren Organe will keiner mehr nachdenken, nachdem bekannt wurde, wie ähnlich uns da die Schweine sind.
Gut, die Füße sind ziemlich einmalig und extravagant, doch an den Füßen möchte kaum jemand sein Menschsein festmachen. Auch sind die Füße eng mit dem aufrechten Gang verbunden, der von Anthropologen als Hauptkennzeichen des Menschseins betitelt wird. In unserer Zeit ist es aber mit dem Aufrechtgehen nicht mehr sehr weit her, zumindest bildlich gesprochen. Vielleicht ist der Fuß auch deshalb peinlich.

Die Gene sind nur zu einem kleinen Prozentsatz typisch menschlich, das Gehirn noch immer weitgehend rätselhaft und mysteriös, das Animalische in der Psyche schreckt ab und von vielen Verhaltensweisen möchte man sich lieber distanzieren, als sie als Einmaligkeit des Menschen zu bezeichnen. Schwierig, schwierig.
Musik? – Da zucken nicht nur die Unmusikalischen mit den Schultern.
Kunst? – Ein kurzer Ausflug ins Museum verflüchtigt die Idee.
Sprache? – Ansätze gibt es auch bei Tieren.
Mitgefühl? – Längst bei Schimpansen, Delphinen und anderen Tieren entdeckt.

Es bleiben eigentlich nur einige typische, aber ungeliebte Besonderheiten, die eher einen gesellschaftlichen Ursprung haben: Geld, Arbeiten, um Geld zu verdienen, Selbstdefinition über Arbeit und Geld, Sex für Geld … - Das sind wirklich besonders tolle Einmaligkeiten.
Aber die Liebe bleibt uns noch, nicht? – Kein Tier ist in der Lage zu lieben. Außer vielleicht Haustiere mit solchen Ausrutschern wie Hundeliebe.
Dummerweise ist die heiß beschworene romantische Liebe aller Wahrscheinlichkeit nach eine hormonelle Angelegenheit. Viele “menschliche“ Verhaltensweisen der Liebe sind auch bei Tieren anzutreffen und können dort durch Ausschaltung der Hormone beendet werden. Treue, Fremdgehen, Trauer, Einsamkeit, Leichtsinn im Liebesrausch … alles keine menschliche Erfindungen. Und in vielen dieser Bereiche sind Tiere weitaus besser als Menschen.
Was dann noch übrig bleibt ist für viele Menschen sehr fremd, denn sie erleben es nie. Wie könnte das “typisch Mensch“ sein?

Bleibt der Sex, wie so oft. Leider (oder zum Glück) platzten hier auch die allermeisten Einmaligkeiten. Die Missionarstellung gibt es selbst bei Bibern, die Hundestellung … na ja, das sagt der Name schon …, das Kamasutra ist armselig gegen das, was manche Affenart so macht und Vorspiele gibt es so mannigfaltig, dass man/frau neidisch werden könnte.
So galt der Oralsex bislang als kleiner Hort der Einmaligkeit. – Gut, auch hier ist es nicht so, dass jeder Mensch … ähm … aber es gilt als ausgemacht, dass es durch gesellschaftliche Zwänge und Tabus dazu gekommen ist.
Okay, die Bonobos tun es natürlich (was tun die nicht?). Aber die machen es – behaupten die Forscher – nicht ernsthaft, sondern spielerisch (was ein unschönes Licht auf das Liebesleben der Forscher wirft, finde ich).
Aber jetzt ist auch dieses Luftschloss geplatzt: der Kurznasenflughund macht es auch. Und es gibt sogar logisch klingende Erklärungsansätze dafür. So dauert die Kopulation mit Oralsex länger als ohne – und vielleicht dient er hygienischen Zwecken. Letzteres ist allerdings wieder frustrierend, denn als Beweis wird genannt, dass sich die Flughunde nach dem Sex selber ablecken, was Keime vernichten dürfte. Tja, und wieder haben wir etwas, in dem Tiere weiter sind als wir …


 Bericht über die Kurznasenflughunde




Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (26.11.09)
Es ist zwar Usus, bei Kolumnen in den einführenden Sätzen einen gewissen Konsens herzustellen, aber dass Menschen sich so sehr bemühen, sich von den Tieren abzugrenzen, finde ich doch eine etwas gewagte Meinung. Also ich mache das nicht und habe auch kein Bedürfnis danach (Tiere interessieren mich eigentlich nur als Nahrungsmittel) und ich kenne auch niemand, der abends beim gemeinsamen glasbiertrinken auf dieses Thema kommen würde wollen oder je gemacht hat.
Aber nun gut, ich schätze die Kolumnen von Stirnschlagandi allein schon deswegen, weil er immerhin zuverlässig abliefert, was man sonst von kaum einem anderen Kolumnenschreiber behaupten kann.
Ansonsten: Tiere handeln nur und ausschließlich nach ihrem Instinkt. Menschen benutzen wenigstens hier und da mal ihren Geist.
Eigentlich ein philosophisches Thema, z.B. Schopenhauer hat einiges dazu gesagt.
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