andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 26. August 2010, 03:57
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Es kommt auf die Größe an?

Nach der letzten Kolumne kam mehrfach eine Frage auf, die offenbar auch heute noch viele Menschen beschäftigt: ist der Größenunterschied zwischen Mann und Frau nicht ein Zeichen für eine angeborene Rollenverteilung?
Geschlechtsdimorphismus ist das Schlüsselwort in diesem Zusammenhang. Der Begriff gehört seit Jahrzehnten zum Lehrstoff in den Schulen und er wird immer wieder mit dem geschlechtsspezifischen Verhalten bei Tieren in Zusammenhang gebracht.
Beispiele und “Vergleichstiere“ sind beliebt, hier vor allem durch die Befürworter der These, dass (Menschen-) Männer den Frauen gegenüber eine gewisse … nun ja, hier brechen die meisten Thesenvertreter ab (zumindest solange sie nüchtern sind). Gemeint ist eine Vormachtsstellung, die sich aus der Beschützerfunktion ableiten soll. Warum sonst sollten Männer durchschnittlich größer und kräftiger sein als Frauen?
Das ist natürlich reinster Biologismus, der sich ja dadurch auszeichnet, dass biologische Besonderheiten als Argumente für schon vorher gefasste Meinungen herangezogen werden. Man schaut auf die Struktur der heutigen Gesellschaft und begründet sie dann mit den Dingen, die man beobachten kann. Das hat den Vorteil, dass es die meisten Zuhörer sofort nachvollziehen können, weil es sich so logisch anhört.
Um das Ganze noch zu festigen, gibt es dann die Beispiele aus dem Tierreich: Löwen, Wölfe (wahlweise Hunde), Hirsche, Pferde, Elefanten … ja, sogar Ratten werden genannt.
Etwas gründlichere Thesenvertreter führen die Menschenaffen an, denn auch bei Schimpansen, Orang Utans und Gorillas ist der Geschlechtsdimorphismus zu erkennen: bei Orang Utans sind die Männchen sogar fast doppelt so schwer.
Das Problem mit den Vergleichstieren ist jedoch, dass es ziemlich fahrlässig ist ein Detail herauszupicken - und den gesamten Rest einfach wegzulassen. Um nämlich einen glaubhaften Beweis zu haben, muss das Vergleichstier das gleiche Sozial- und Geschlechtsverhalten aufweisen. Immerhin soll doch das menschliche Verhalten damit erklärt werden. Oder?
Dumme Falle. Wie ist denn das “natürliche“ Verhalten des Menschen? Der Mann, der auf die Jagd geht und die Frau, die Nüsse und Beeren sammelt, um danach das Lagerfeuer zu hüten und die Trophäen des Mannes abzustauben? Schauen wir doch mal auf die so gerne genannten Tiere:

- Löwen bilden ein Rudel, das aus Löwinnen besteht, die fast immer nah verwandt miteinander sind. Zu diesem Rudel stößt der Pascha (oder auch zwei Pascha-Brüder), bringt den jungen Nachwuchs um und versucht in wenigen Monaten bis Jahren so viele Nachkommen wie möglich in die Welt zu setzen. Viel Zeit bleibt dem Pascha nicht, denn die Konkurrenz lauert schon. Da ist es nur logisch, dass er sich selten an den Jagden des Rudels beteiligt, denn dabei könnte er sich verletzen und …

- Wölfe bilden ein Rudel, das aus Wolfsrüden besteht, die fast immer Brüder oder nahe Verwandte sind. Der Chef ist der Alpha-Rüde, was sogar schon in den normalen Sprachgebrauch eingeflossen ist. Was fehlt? – Ach ja: die Mädels.
Es gibt ein Mädel, ein Wolfsrudel hat fast immer nur eine einzige Wölfin. Sollte es mal eine zweite geben, die nicht sofort von der Alpha-Wölfin vertrieben wird (was in sehr großen Rudeln vorkommen kann), so zeigt sich, dass sie keinen Nachwuchs bekommt oder nur sehr schwache Würfe zustande bringt. Den Begriff Alpha-Wölfin gibt es darum nicht, weil eine Nummerierung blödsinnig wäre. Und wer hat wohl in dem Rudel die Hosen an?
Bei Hunden ist das übrigens auch zu beobachten: in den Würfen sind deutlich mehr Jungs als Mädels und es sind nicht die Rüden, die sich durchsetzen.

- Hirsche bilden auch Rudel. Diese Rudel werden Kahlwildrudel und Hirschrudel genannt und trennen sich klar in weibliche Tiere (darum Kahlwild) und männliche Tiere. Einzig zur Brunftzeit kommt es zu einer Veränderung, weil sich die männlichen Rudel auflösen und als Einzeltiere ein Frauenrudel zu erkämpfen versuchen. Bis auf diese wenigen Wochen im Jahr bleiben die Geschlechter strikt getrennt. Innerhalb der Rudel folgen die Tiere einem Leittier freiwillig und scheren sich dabei wenig um ein Rangverhalten oder um die Größe des Leittiers.

- Pferde bilden Herden, soweit das bei so stark durch den Menschen geprägte Tiere überhaupt noch sagen lässt. Dabei bieten die wilden Pferdearten wenige Anhaltspunkte, weil Zebras und Wildesel sehr unterschiedliche soziale Gruppen bilden. Bei den Przewalski-Pferden, den vielleicht einzigen Wildpferden, und den verwilderten Hauspferden (Mustangs) zeigt sich eine Tendenz zu rein weiblichen Herden, die von einem Hengst “begleitet“ werden – und reinen Hengstherden. Bei den Przewalski-Pferden scheinen die weiblichen “Familienherden“ von einem Hengst geführt und beschützt zu werden, bei wild lebenden Hauspferden gibt es Leitstuten und Hengste, wobei die Hengste nur wenig sozialen Kontakt zu den Mitgliedern der Herde haben.

- Elefanten leben in Herden aus weiblichen Tieren (die miteinander verwandt sind) und deren Nachwuchs. Männliche Tiere kommen immer mal wieder dazu, werden aber vom Paarungswunsch (es gibt keine feste Brunftzeit) und nicht vom Wunsch auf soziale Nähe angezogen. Sie gehören also nicht zur Herde, sondern sind eher Einzelgänger.

- Ratten bilden sehr unterschiedliche soziale Gruppen aus, je nach Art, Nahrungsangebot und Raubtierdruck. Gemeinsam scheint zu sein, dass sie zu großen Gruppen neigen, in denen sich jeweils die weiblichen und männlichen Tiere auf Rangordnungen “einigen“. Paarbildung scheint es nicht zu geben und der Einfluss des Ranges auf die Nachwuchszahl wollte bisher offenbar niemand wissenschaftlich erforschen.

Sechs der häufigsten Beispiele für Tiere, bei denen die Männchen größer sind als die Weibchen, mehr als sechs Formen des sozialen Verhaltens und der Geschlechterrolle. Die einzige Gemeinsamkeit scheint zu sein, dass die Männer miteinander konkurrieren, auf eine Führungsrolle innerhalb der Gruppe scheint das kaum einen Einfluss zu haben.
Bei den Menschenaffenarten sieht das ähnlich aus (“Matriarchat“ bei den Bonobos, “Patriarchat“ bei den Schimpansen …), wobei die Gibbons als einzige paarbildende Art praktisch keinen Größenunterschied haben.
Warum also soll beim Menschen aus dem Größenunterschied der Geschlechter mehr herausgelesen werden als ein gewisser Konkurrenzdruck innerhalb des jeweiligen Geschlechter?
Weil es so ist – oder weil wir wollen, dass es so ist?


Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 AlmaMarieSchneider (26.08.10)
Wieder einmal mit Interesse gelesen. Dein Titel läßt allerdings Anderes vermuten. OK, ein Schalk wer Schlechtes denkt.
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