KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Sonntag, 31. Mai 2015, 23:50
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Qingdao - eine neue Welt (3/11)

454. Kolumne


Die Busfahrt von Fushan nach Yushan dauert eine Ewigkeit, nicht nur wegen der kleinen Staus auf den überlasteten Hauptstraßen. Die Fahrt ist weit, die Stadt ist riesig. Sofort nach dem Einsteigen gibt mir eine nicht mehr junge Frau sofort ihren Platz, ohne Blick, ohne Geste. Hin und wieder stehen Passagiere für ältere Leute auf.

An Qingdaos 40 Kilometer langem Strandpromenadenweg machen Hochzeitspaare gern Fotos vor der Weite des Meeres. Margrit führt uns zum Haus, in dem Jiang Kai-shek vor seiner Überfahrt nach Taiwan lebte, in die parkähnliche Anlage der „Ba da guan“, der Acht Straßen.

Im Sun-Zhong-Shan-Park blühen im ‚Kleinen Westsee’ die Lotusblumen, viele Blüten sind verwelkt, an einem Rand des Sees sind die Blätter und Stengel schon verdorrt, woanders sind die Blütenknospen noch gar nicht aufgegangen.

Wir gehen zum Yushan-Campus, der in der ehemaligen deutschen Kaserne untergebracht ist. Yushan heißt Fischberg. Die Gebäude sind über einhundert Jahre alt. Die Anlage wirkt mit den vielen alten Bäumen romantisch. Dort treffen wir Dawn, die vom Literaturkurs Professor Kepsers kommt. Die Studenten schrieben kleine Gedichte, Elfchen, auf deutsch. Ich kaufe in der kleinen Campus-Poststelle Ansichtskarten und Briefmarken.

Es ist schon halb zwei. Dawn kennt ein gutes Fischrestaurant in der Nähe, wo die Studenten gern hingehen. In China isst man um 12 Uhr zu Mittag, wie in Deutschland. Auf dem Weg zum Restaurant kommen wir durch ein Stadtgebiet mit Gebäuden aus der Zeit der deutschen ‚Schutzherrschaft’ und zugleich typisch chinesischen Häusern – eine bunte Welt mit vielen kleinen Läden und Imbiss-Ständen am Straßenrand. An den Fassaden leuchten in grellen Farben chinesische Zeichen.

Ein Chinese spricht mich an, er will wissen, wie alt ich bin. „Sie sehen gesund aus“, meint er freundlich. Nun, ich bin weder dick noch schlank. Ich zeige auf meinen Bauch und sage ihm mein Alter: Liu shi jiu sui. Er sagt, er sei 11 Jahre jünger, „Sie sind gut gebaut.“ Wir verabschieden uns: Zai jian. Kurz darauf wird Taitai von einer Frau angesprochen und erhält das gleiche Kompliment wie ich ... Dawn erklärt, solche freundlichen Gesten gegenüber Fremden gibt es in China.

Wir betreten das Restaurant. Es ist leer, die Mittagszeit ist schon lange vorbei, aber wir werden bewirtet. Die Tische sind einfach. Auf den Trennwänden stehen weiße Blüten, sie beherrschen den ganzen Raum, in einer Nische hängt der Gott des Geldes in einem offenen Schrein an der Wand. Wir bestellen zwei ganze Fische, die in einer scharf gewürzten Sauce braten. Die Wirtin stellt acht Schalen mit Gemüse, Nüssen, Knoblauch, Morcheln, Kartoffelstreifen und allerlei mehr auf den Tisch. Die Schale mit den Seetangfäden schmeckt besonders gut. Ich esse mit Stäbchen, zum ersten Mal in China, es gelingt mir aus dem Fisch kleine Stücke zu lösen. Als wir das Lokal wieder verlassen, entdecke ich an der Eingangstür eine mit Wasser gefüllte Glaskugel, kaum größer als ein Marmeladenglas; darin schwimmen drei oder vier kleine Zierfische ...

Gegenüber dem Restaurant entdecken wir einen Teeladen (chá diàn). Wir brauchen eine Teekanne für unsere Campus-Wohnung. Li Meifang, Teeladenbesitzerin aus der für ihren Tee berühmten Provinz Fújiàn, zeigt uns einige Glaskännchen, wir kaufen zwei, dazu kleine Teegläser und zwei verschiedene Teesorten. Li Meifang lädt uns nun zum Tee ein, vier Hocker werden herangerückt, sie führt uns vor, wie man Tee kocht, aufschüttet, einschenkt und trinkt und erklärt uns die Kultur des Teetrinkens: Tee säuft man nicht wie die Kuh das Wasser, sondern vor und nach dem Kochen soll man den Tee riechen und schmecken, um ihn dann in kleinen Schlucken genießerisch zu trinken. Sieben Mal werde der Tee in den kleinen Glaskännchen aufgegossen – den ersten Aufguss schütte man weg, sagt sie, das sei Brauch.

Wir warten auf den Bus nach Fushan. Ein kleiner Junge beobachtet uns neugierig, dann kommt er nah an mich heran und schaut von unten zu mir hoch. Plötzlich merkt er, wie er uns auffällt, schüchtern läuft er weg, kommt aber wieder. Ich frage ihn: Wie alt bist du? Er macht mit den Fingern das Zeichen für die 6. Nun steht er wieder dicht bei mir. Ich frage ihn: Wie heißt du? Er sagt seinen Namen, ich kann ihn nicht gut verstehen und beuge mich zu ihm herab, und er sagt ihn noch einmal, dann rennt er wieder weg.

Den ganzen Tag regnet es. Der Internetzugang in der Wohnung ist immer wieder gestört. Kepser meint, der chinesische Kampf gegen den inneren Terrorismus spiele da eine Rolle, weil die aufgerufenen Internetseiten andauernd gescannt würden. Ich schreibe die ersten Postkarten. Dann gehen wir in das kleine Campus-Café „red door“, wo es Espresso und Capuccino gibt. Dort kommen wir gut ins Internet.

In dem kleinen, ziemlich verwahrlosten ‚Supermarkt’ auf dem Campus kaufen wir ein Geschirrspülmittel, sonst nichts. Der shop führt vor allen Dingen jede Menge Knabberzeug und verpackte Nahrung, Schnaps und ein paar Haushaltsmittel. Außerhalb des Campus sind ein paar kleine Läden, da bekommen wir Salz, Haferflocken, etwas Wurst. In einem anderen Laden kaufen wir rote Trauben, Bananen und Äpfel, an einem Stand daneben verschieden gefüllte Baozi (Teigtaschen).

In den kleinen Geschäften und Restaurants beim Fushan-Campus der Ozean-Universität und dem Nord-Campus der Qingdao-Universität werden die Einflüsse der amerikanischen Imbisskultur deutlich. Es gibt Bäckerläden, in denen europäische oder amerikanische Waren verkauft werden, Marmeladen, weiches französisches Weißbrot (french bread), Kuchen, Torten, Snacks, belegte Toastbrote in Plastikfolie, und viele Süßigkeiten. Hier verliert sich, zum Glück noch in den Anfängen, eine Kultur an eine urbane Globalisierung, wie sie in den europäischen Ländern schon seit den 60er Jahren im Gange ist. Am deutlichsten wird dies an der Kleidung der jungen Leute, bei den Mädchen und jungen Frauen im kosmetischen Design. Nicht selten wird der Versuch unternommen, die asiatische Physiognomie zu mildern. Bei den Frisuren ist man noch vorsichtig, leichte Färbungen oder gar punkartige Ansätze, etwa bläuliche Schimmer im Haar, sind das Äußerste. Gothic, Irokesenhaarschnitt, Tätowierungen, Piercings oder auch Ohrringe sind nicht en vogue. Es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, dass sich das ändert. Jeans, Blusen und andere in Europa und in den USA übliche Kleidungsstücke sind in China inzwischen selbstverständlich, zumindest bei Leuten unter 40.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Graeculus (69)
(24.04.15)
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 Melodia (25.04.15)
Toll, jetzt habe ich Fernweh... für echte Baozi oder Jiaozi würde ich sogar ein Monat auf Pizza verzichten!

Das mit den Tattoo und Piercings etc. trifft aber nicht zwingend zu. In Beijing z.B. sieht man das schon relativ oft. Viele Chinesen sind Tätowiert, aber meist an Stellen, an denen man es nicht sieht.

Wieder gern gelesen!
Graeculus (69)
(25.04.15)
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 Melodia (02.05.15)
Weil ich selbst tätowiert bin und man in so ins Gespräch kommt. Mir wurden eine Menge Tattoos gezeigt: Schulterblätter, Oberarme, Brustbereich...

Ach ja und letzten Samstag habe ich dann noch selbst Jiaozi gemacht^^

LG
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