KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Mittwoch, 11. November 2015, 17:46
(bisher 1.074x aufgerufen)

Zu Heidegger

487. Kolumne


Einerseits:
Der Literaturwissenschaftler Armin Erlinghagen schrieb bei literaturkritik.de nach der Lektüre der veröffentlichten Bände von Heideggers sogenannten Schwarzen Heften (1931-39; 1942-48):

„Die akademische Philosophie macht es sich allzu leicht, wenn sie die Diskussion von Heideggers »Schwarzen Heften« auf die Frage nach dessen Antisemitismus ... fokussiert. In Frage steht ... nicht der Antisemitismus Martin Heideggers als Person, sondern der nationalsozialistische Charakter seiner Philosophie, deren inhärenter Antisemitismus ... ein untergeordneter Aspekt dieser Philosophie ist – kein »randständiger«, ... sondern ein signifikanter. ...
Die (teils inhaltlichen, teils strukturellen) Korrespondenzen zwischen zentralen Versatzstücken der nationalsozialistischen Ideologie und Heideggers Philosophie, auf die u. a. bereits Günther Anders hingewiesen hat, sind unübersehbar und m. E. nach Vorlage der »Schwarzen Hefte« auch kaum mehr bestreitbar. Bewundernswert ist die Treffsicherheit, mit der Karl Jaspers als ausgewiesener Psychopathologe aufgrund der späteren Schriften Heideggers bereits in den 60er Jahren solche in den »Schwarzen Heften« manifest werdenden Korrespondenzen namhaft machte, wenn er »die Denkungsart derer, die den Nationalsozialismus mit Enthusiasmus ergriffen – das Diktatorische, das Behauptende, das sich überlegen Dünkende, das eine allein Wahre, die Neigung zum Absurden, die primäre Aggressivität, Verneinung, der Machtwille [...] in der Philosophie Heideggers und seiner Anhänger [...]« namhaft macht (»Notizen zu Martin Heidegger«. 1978, Notiz 251). Alle diese Merkmale der späteren Philosophie Heideggers und ähnliche sind in den »Schwarzen Heften« vielfach belegbar. ...
Der Inbegriff der Gewaltsamkeit von Heideggers Denken, das in autistischer Manier sich selbst von den Regeln der Logik dispensieren zu können meint; das sich selbst als unkritisierbar konstituiert; das nichts außer dem von ihm selbst dekretierten engen Corpus kanonischer Schriften gelten lässt, das wortreich Schweigsamkeit postuliert – liegt in dessen Umgang mit der deutschen Sprache, mit der er, wie totalitäres Handeln mit Menschen und Sachen überhaupt, nach Gutdünken verfahren zu können meint. Die Hässlichkeit der von dem angemaßten Dichter Heidegger produzierten sprachlichen Grotesken – usurpatorische Eingriffe in unser aller Sprache – ist das Signum ihrer Unwahrheit.“


Andererseits:
Die Kriterien gegen Heidegger ließen sich auch gegen jeden großen starken Künstler ins Feld führen. Sie verurteilen auch die dichterischen Aspekte von Heideggers Philosophie und werfen ihm verunglimpfenden Sprachgebrauch vor (Alogisches, Absurdes, Willkürliches, Hässlichkeit ...). Ich denke, dass wenigstens das frühe Werk Heideggers anders betrachtet werden kann/sollte.
Patchwork-Charakter seiner Philosophie: überzogen und zugleich mit dem Begriff Patchwork polemisch. Ohne ‚Patchwork’ ist weder Philosophie noch Kunst noch Dichtung möglich.
Die befremdende Verweigerung Heideggers, sich öffentlich entschuldigend zu rechtfertigen (vgl. das berühmte SPIEGEL-Gespräch!), lässt sich auch anders deuten – Heidegger nicht vorführen als Sturkopf, die Sache ist diffiziler, historisch und individualpsychologisch.

Dass Heidegger verführt wurde und sich selbst verführte, dass er irrte und nie ganz aus dem Irrtum wieder herausfand - wer wollte das bestreiten. Wichtig erschiene mir herauszuarbeiten, was an der gesamteuropäischen Faschismus_Bewegung einen Denker wie Heidegger so faszinierte, dass er seine (frühe) Philosophie mit politischen Aussagen partiell diskreditierte.
Dies alles wende ich nicht ein, um Heideggers faschistische Entgleisungen zu verteidigen.
Für romanische Denker, insbesondere die französischen Existentialisten, war Heidegger wichtig. Vielleicht überschätzten sie ihn und übersahen allzu sehr die Fehler. Ob er ein Epigone - besonders Nietzsches - ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Was Heidegger - zum Beispiel - über die Angst geschrieben hat, das hat Bestand. Von den französischen Existentialisten wurde er als Verkünder der Selbstbestimmung und der Mündigkeit gesehen, das kann man ihm lassen (das muss man nicht ins nazistische Schubfach tun).

Was mich betrifft, so ist mir Nietzsche wichtiger, klarer, auch als Dichter. Ob Heideggers Sprachumgang eine gewisse Nähe zur écriture automatique hat, ließe sich noch erkunden und ist wahrscheinlich schon erforscht worden - ob nämlich das Philosophieren sich zu einem Teil wie von selbst vollzieht im teils rational (bewusst), teils irrational (unbewusst) laufenden Prozess des Denkens/Schreibens. So ließe sich auch ein Teil der Einflüsse erklären, die Heideggers Denken und seine Entwicklung beeinflussten. (Heideggers Selbstumdeutungen verstehen sich so vielleicht besser.)
Der Fall Heidegger ist ein Fall, der auch mich bestürzt, weil er zeigt, wie brüchig der Glaube an die Wahrheit der eigenen Philosophie ist, wie relativ überhaupt alles Philosophieren ist, weil sie nie ganz frei wird von unseren subjektiven Wünschen, Sehnsüchten, Hoffnungen, Erfahrungen, Verletzungen und Wunden, von historisch-politischen, literarischen, wissenschaftlichen Kontexten - und manches mehr.
Ich sehe, wie die Lektüre der Schwarzen Hefte Sie bestürzt hat. Ich sehe auch die Berechtigung Ihres Motivs, Hermann Heideggers Verteidigung und die anderer in Zweifel zu ziehen. Ich bin vermittelnd gestimmt - und würde das retten, was Rettung verdient, und das ist doch einiges.

Ein großartiges Theaterstück, am Bonner Schauspiel 2008 aufgeführt: DIE BANALITÄT DER LIEBE von Savyon Liebrecht. Es untersucht die Faszination der Philosophie Heideggers für die junge Hannah Arendt, ihre Enttäuschung als Erwachsene, ihre geistige Loslösung von Heidegger (die schon mit der Hinwendung zu Jaspers in ihrer Studienzeit begann) und ihrem eigenen Weg - das sehr konventionell geschriebene Stück ist eine Meisterleistung. Keine bittere Abrechnung, kein Verriss der Heideggerschen Philosophie, abgesehen von satirischen Spitzen gegen den Sprachgestus, der sich auch mimisch und körperlich niederschlug beim Schauspieler, der Heideggers Rolle hatte. Emanzipation von Heidegger wäre ein passender Untertitel.

Heideggers Wahrheiten liegen in der gesamten Spanne von Einerseits und Andererseits.

Ulrich Bergmann, 1.10.2015

-

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 loslosch (11.12.15)
heidegger und das gestell:

"Das Wesen der Technik ist das Gestell, das Wesen des Gestells ist die Gefahr, das Gefährliche der Gefahr ist das sich verstellende Wesen des Seins selbst." (SPIEGEL, 1950.)

so war er. als 1933 die uniformierten nazis in der ersten reihe saßen, um ihm zu lauschen, hielt heidegger stur an seinem "deutsch" fest. nach einigen wochen waren sie weg. die nazis hatten sich geirrt. so einfach darf man martin aber nicht davonkommen lassen. hannah arendt weiß mehr ...

 mathis (11.12.15)
Heideggers sogenannte Philosophie ist Sprachsadismus; er zwingt der Welt und der Sprache eine eigenlogische,
unkritisierbare Zwangsvorstellung auf die auf der eigenen Überlegenheit und etymologischen Deutungshoheit beharrt. Aus diesem sadistischen Kerngefühl hat sich Heidegger im Faschismus gut aufgehoben gefunden und hat sein eigenes dünnbraunes Süppchen in der grossen braunen Suppe mitgekocht. Sein Hochschulaktivität im dritten Reich hat er nicht etwa aus Widerspruch zum System aufgegeben, sondern weil ihm dieses in der Verheideggerung der Wissenschaft nicht weit genug ging. Seiner sogenannten Philosophie fehlt alles Philosophische: Klarheit, Größe, Tiefe ? Fehlanzeige. Wie Hannah Arendt (vermutlich) unfreiwillig vernichtend bemerkt: "Heidegger denkt nie über etwas, er denkt etwas."

 FRP (11.12.15)
Heidegger ist für mich kein Philosoph, sondern ein Scharlatan.
Er gehört in den Müllsack der Geschichte. Und dann ordentlich drauf geschlagen, bis er zu Max und Moritz zermahlen wird. Immer wieder köstlich, was Thomas Bernhard über ihn schrieb, über die Heidegger-Schafe, die selbstgestrickten Mützen und Handschuhe aus Heidegger-Schafswolle. Wie der Heidegger bei Kerzenlicht vor dem Heidegger-Haus im Schwarzwald sitzt. Wie gesagt, köstlich.
Graeculus (69)
(11.12.15)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Graeculus (69)
(11.12.15)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch (11.12.15)
aha! das zitat kannte. von dir!

zu den heidegger-schülern: man unterscheidet zwischen heideggerini, heideggerelli und heideggerazzi.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram