BlackHört

Un-Erhörtes aus der Musikwelt


Eine Kolumne von  BLACKHEART

Sonntag, 07. August 2016, 19:47
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BlackHört feat. ...

...  Melodia

Metal in China

Vor einigen Wochen gab es eine Kolumne über die Einbindung der nordischen Mythologie im Heavy Metal. Die Herkunft der Bands beschränkt sich folgerichtig vor allem auf (Nord)Europa. Doch es gibt auch in anderen Ländern Musiker und Bands, die sich mit ihrer Kultur und Geschichte auseinandersetzen. Prominenteste Vertreter sind aus Brasilien  SEPULTURA und  SOULFLY, beide Bands von Max Cavalera gegründet. Damit zeigt sich bereits, dass sich die Musikrichtung auch außerhalb ihres westlichen, sprich europäisch-nordamerikanischen Ursprungs verbreitet hat. Genau genommen auf der ganzen Welt.

Selbst in Ländern, in denen man vermutlich am wenigsten mit Metal rechnen würde gibt es Bands, die sich thematisch und/oder musikalisch mit ihrer Kultur befassen. Dadurch kommt es manchmal auch zu einer Vermischung von Musikstilen, da es sich beim Metal um ein Import handelt und in den meisten Ländern weder Blues- noch Klassikanleihen Teil der indigenen Musikkultur sind. Beispiel hierfür sind z.B.  ORPHANED LAND aus Israel,  MYRATH aus Tunesien,  SKINFLINT aus Botswana oder  CONFESS aus dem Iran. Leider findet diese Amalgamation nicht immer ohne Konflikte statt, da oft auch Kritik am Staat und der Gesellschaft geübt werden, wie man am Beispiel von CONFESS leider feststellen muss. Und doch gibt es auch in China mittlerweile eine große Metalszene.

Metal in China ist ein erst relativ junges Phänomen. Mit dem Tod Mao Zedongs 1976 und damit dem Ende der Kulturrevolution, kam es zur allmählichen Öffnung Chinas, die eine globalisierte Medientechnologie mit sich brachte, wodurch Menschen der Zugang und die Verbreitung von westlicher Musik vereinfacht wurden. Denn auch wenn der Staat weiterhin eine strenge Kontrolle ausübt, so fördert er gleichzeitig auch die kulturelle sowie wirtschaftliche Öffnung und Liberalisierung des Landes, wodurch parallel individuelle Freiheiten bestärkt werden. Durch diese Lockerungen, die u.a. auch den Medienmarkt und die Verbreitung des Internets betreffen, konnte die szeneinterne Struktur der Metalkultur aufleben und ihre Grenzen weiter ausreizen. Gleichzeitig erschweren es modere Technologien und Vertriebswege der Partei stete Kontrolle zu gewährleisten.

Die Globalisierung und Kommerzialisierung Chinas begünstigte die Entwicklung der jungen Subkultur. Mitte der 1990er Jahren gelangen durch zurückkehrende Studenten, Touristen und primär durch Cut-outs immer mehr westliche CDs nach China und revitalisierten nicht nur die alte Rockszene neu, sondern lieferten auch die nötigen Impulse für das Wachsen der Metalkultur. Bei den Cut-outs handelt es sich um Schallplatten oder CDs, die eine Plattenfirma aus ihrem Sortiment nimmt und diese mit einem Schnitz versehen, so dass sie offiziell nicht verkauft werden dürfen. Allerdings befinden sich diese Einschnitte lediglich am Rand, wodurch nur die letzten Lieder Makel aufweisen, sonst aber weiter abspielbar sind. Diese Cut-outs kamen meist als Schmugglerware in die Volksrepublik, wurden illegal verkauft und waren oft die einzige Quelle für Musiker und Fans, um an nicht-chinesische Musik zu gelangen. Auf diese sogenannten Dakou-Generation, sowie dem Internetboom, ist die massive Welle von Bandneugründungen im Metalbereich ab dem Jahr 2000 zurückzuführen, die gleichzeitig auch eine größere Fragmentierung und Subgenrevielfalt mit sich brachte, da man sich nun gezielter gegen die stetige Kommerzialisierung der Musik abheben wollte.

Zwischen der chinesischen Metalkultur und seinen okzidentalen Vorbildern gibt es eine Vielzahl von inhaltlichen Entsprechungen. Diese sind subgenreabhängig und spiegeln sich beispielsweise in der Ästhetik der Bands, sowie in ihren visuellen Elementen, wie Bandlogos und CD-Cover wieder. Lange Haare, schwarze Kleidung, Tätowierungen und andere Metal inhärente Komponenten lassen sich genauso wiederfinden, wie markante, kantige bzw. monochrom, ornamentale Embleme, oder subgenrebedingte Bilder auf den Bookleteinbänden. Allerdings entdeckt man gleichzeitig Merkmale der chinesischen Kultur, wie sie sich auch in einigen Bandnamen widerspiegeln.

So gibt es etwa Gruppen mit Namen wie TANG DYNASTY oder SPRING & AUTUMN, nach wichtigen Epochen der chinesischen Geschichte benannt, oder Bands wie TENGGER CAVALRY und INNER M (meist eher als EGO FALL auftretend), die auf ihren (inner)mongolischen Ursprung hinweisen. Chinesischen Subgenres sind thematisch mit ihren westlichen Vorbildern kohärent und praktisch alle Lieder, sowohl inhaltlich als auch akustisch, lassen sich zuordnen. Jedoch bedient sich die Bildsprache weniger am Westen, sondern bezieht ihre Ideen größtenteils aus der chinesischen Kultur. So wird die eigene Vergangenheit zelebriert: Historie und Legenden lassen sich in ihren Texten genauso wiederfinden, wie metaphorische Bilder, die sich mit traditionellen Symbolen interpretieren lassen. Ferner werden in einer archaisch anmutenden Sprache unter anderem Ahnen, ein Drache, heilige Schriften, die Wüste Gobi und Helden erwähnt, was einem Sehnen an glanzvolle Zeiten gleichkommt, zumal die Texte emotional gehalten sind und sich in ihnen Hoffnungslosigkeit widerspiegelt. Diese Verehrung der Historie veranschaulicht aber auch die darin enthaltene Kritik an der Gegenwart und der Sorge eines Kulturverlustes. Darüber hinaus weisen fast alle ein zentrales Merkmal der chinesisch-konfuzianischen Weltordnung auf: Der stetige Kampf zwischen Chaos und Harmonie.

Die musikalische Ergänzung durch traditionelle Instrumente und Klänge, wie den Kehlkopfgesang, sowie die thematische Begrenzung auf die mongolische Mythologie, lässt die Band TENGGER CAVALRY als chinesisches Gegenstück zum nordeuropäischen Viking Metal erscheinen, dass mit dem Begriff Nomadic oder Shaman Metal wohl am besten umschrieben ist. Einige Gemeinsamkeiten weisen jedoch alle Bands auf, wie z.B. die Verwendung des Chinesischen für ihre Texte, die höchstens vereinzelte Passagen oder Wörter in einer anderen Sprache aufweisen und somit ein Unikum im Metal darstellen. Die meist bevorzugte Verwendung der englischen Namensgebungen und Albumbezeichnungen, lässt einen starken globalen Bezug vermuten.

Chinesische Musiker haben innerhalb relativ kurzer Zeit Metal, inklusive seiner Kultur, kennengelernt und sich darin schnell zurechtgefunden. Cut-ous, Downloads und Raubkopien waren bzw. sind noch heute entscheidend beim Vertrieb und der Promotion der eigenen Musik, da man damit die Zensoren der staatlichen Musikindustrie meidet. Trotz der fortwährenden staatlichen Kontrolle hat sich die Situation für Musiker, selbst für Metalheads, in den letzten Jahren enorm verbessert. Allumfassende Repressionen gegen Musiker, wie sie noch während der Kulturrevolution herrschten, gehören mehrheitlich der Vergangenheit an. Die Öffnung des Landes, der Wohlstand, eine Art von Selbstzensur seitens der Bands, sowie der Einfluss der chinesischen Geschichte, ihren Traditionen und deren Zelebration in weiten Teilen der Populärkultur, lassen den Metalmusikern weit mehr Freiheiten, als beispielsweise ihren Kollegen in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens.

Der Metal in China wurde zwar nicht vollkommen neu erfunden, doch Themen, Symbole, Instrumente, sowie die chinesische Sprache verschmelzen wie selbstverständlich subgenreübergreifend mit dem Metal und schöpfen ihre eigene kulturelle Legitimität. Dementsprechend wäre es korrekt die Subgenres in China mit einem vorhergehenden Chinese zu versehen, um der kulturell geprägte Subkultur Ausdruck zu verleihen.

Den Metalheads mag dies gleichgültig sein, solange es gute Musik ist.


TOP 5 der Chinese Metal-Lieder

Platz 5:  SCREAMING SAVIOR – "Star of Fatality"
Platz 4:  SPRING & AUTUMN - "Legend"
Platz 3:  YAKSA – "You are not the Loser"
Platz 2:  TENGGER CAVALRY – "War Horse"

und

Platz 1:  EGO FALL – "The Spirit of Mongolia"

Rock on!

Euer Melodia

Fun-Song zum Thema:  PURGATORY (schlechte Band, aber die Dame muss man hören)

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Graeculus (69)
(22.03.16)
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