Aufgespießt

Unverschämtheiten aus Politik, Promiszene und Alltag


Die Kolumne des Teams " Aufgespießt"

Dienstag, 12. Juni 2012, 00:37
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Künstlerische "Lightheit"

von  Matthias_B


Am Donnerstag lief Christoph Starks "Tabu" im SRK. In diesem Film über Georg und "Gretl" Trakl, der laut Regisseur nicht als allzu dokumentarisch verstanden werden solle, wird die Vermutung über eine inzestuöse Beziehung beider "künstlerisch" aufgewärmt.

Die historisch belegbaren vielschichtigen Gemütszustände Trakls werden inszenatorisch als Schablonenirrealität von der Stange aneinandergereiht, was den Schluss nahelegt, dass man sich weniger intensiv mit der Biographie befasste und dafür die Filmhandlung mehr mit alltäglichen konzeptionellen default-Werten "auffüllte", aber vielleicht soll etwas damit bloß generell anthropologisch wie zugleich exemplarisch wie dazu dumdideldumesk wie noch usw.... dargeboten werden. Die Drehbuchautorin Mauder kippte zudem gleichmacherischen Genderdünger über die realen Ereignisse, indem sie die tatsächlich drogensüchtige und technisch gute Klavierschülerin Margarethe Trakl einfach zur begabten Komponistin und ihren Bruder inspirierenden Muse und Lektorin "hochschrieb". Was noch? Im Dienste der holzschnittartig gemimten Exzentrik der Protagonisten wurden paar Bettszenen eingestreut. Ein bisschen (laut hineingemengte) Verweise- Symbolik darf's auch noch sein, z.B. mittels der Hetäre, diesmal als Krückenträgerin. Alles in allem sieht sich der (wahrscheinlich großflächig leicht enervierte) Rezipient einer für den deutschen Film repräsentativen Produktion gegenüber: Auf halbem ästhetischen Wege wird verkrampft stehengeblieben, sodass es auf eine pseudo- intellektuelle und durch ein paar markige Momente "aufgepeppte" Maggimole mit der Aufschrift "Große Gefühle" hinausläuft. Am Ende des Werkes werden einzelne Sätzchen über die Todesumstände der Geschwister in die reine Weißzeichnung der (semi-versinnbildlichten) leeren Ewigkeit (siehe Filmhandlung) eingeblendet. Dann ist der gepuderte Massenschinken in seiner überzeichnenden Scheinhistorizität* an einem vorbeigezogen. Der neuere Streifen über den jungen "Goethe!" wäre ein weiteres Exempel unter vielen, bei denen Paradigmen aus unserem aktuellen Denksystem einfach einem verfilmten früheren "aufgepfropft" werden, sodass damalige Ereignisse wie Persönlichkeitsmerkmale gemäß dem aktuellen (sozial-)konstruktivistischen Quarkstich erheblich umgebogen oder mit erfundenen Nebensträngen ziellos "anschaulicher" gedeutet werden. Eine künstlerische Weiterführung stellt dies eher nicht dar - dazu müsste es innovativ sein - eher eine seifenbäuchige Rekombination zum Zweck der grenzübergreifenden Allroundverwurstelung; eben "postmodärm". Aber nicht bloß bei uns werden trivial-"(literatur)geschichtliche" Leinwandhotdogs fabriziert; im internationalen Diskurs-McDonald's werden größere "Geschichts(- und Literatur)unterricht light"- Klöpse gebraten **.

* Meiner "Zunft" erscheinen derartige Filmchen schon etwas problematisch, weil viele SchülerInnen die darin fälschlich als in ihren Grundzügen real präsentierten semantischen Relationen für bare Münze nehmen (s. ebenso "literacy" und "Medienkompetenz").

** Mittels "Coco Chanel - der Beginn einer Leidenschaft" wird der mit den Nationalsozialisten zusammenarbeitenden "Mode-Ikone" praktisch rückwirkend ein biographischer "Persilschein" ausgestellt. Ein verheerendes Beispiel findet man im "Blockbuster" "Illuminati". Du bist schlimmstenfalls ein halbes Schuljahr in Geschichte damit beschäftigt, diesen wild zusammengegurkten Eintopf aus gröblich recherchierten Fakten, verschwörungstheoretischen Mythen und horrenden Spinnereien als das zu entlarven, was er ist, bis es auch der Letzte begriffen hat.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (12.06.12)
Ich finde es etwas unglücklich, just diesen Film, Tabu als Anlass und Beispiel für die Probleme der Vermittlung von Geschichte mittels Film und Fernsehen zu nehmen, ist er doch, ich entnehme das nur einem Artikel in der FAZ. einfach ein ambitionierter Film, der sich die Freiheit genommen hat, die unbekannten Leerstellen in Kleists Leben (jaja, ich weiß auch ein Bekannte mit dem Umzug) mit selbstausgedachten zu füllen und Lars Eidinger sieht so gar nicht aus wie Rilke. Aber ich finde, dass ist tolerabel, war kürzlich übrigens auch bei Eastwoods J. Edgar so, welche Teenies gehen schon in Tabu, das kommt ja nicht im Popcorn-Kino!? Hier stellt sich eher die Frage, warum sie derart naiv und breitwillig das Leinwandgeschehen für bare Münze nehmen und einen variablen Interpretationsgedanken nicht verstehen (können).
Das Beispiel des mit hanebüchenen Geschichtsverschwörungskram völlig überladenen Illuminati wäre hier als Beispiel in der Tat sicherlich besser gewesen, ich möchte auch an Roland Emmerichs 30.000 B.C. erinnern, nach deren Präsentation sicherlich nicht wenige Schüler in ihre Geschichtsklausuren schrieben, die ägyptischen Pyramiden seien mit Hilfe von Mammuts gebaut worden...

 Matthias_B (12.06.12)
Selbst in der (bayerischen) gymnasialen Oberstufe (der Film ist ab 16 freigegeben) werden heutzutage keine sonderlich ausgeprägten Fähigkeiten zur diesbezüglichen Differenzierung mehr an den Tag gelegt. Durch die erwähnten Einblendungen am Schluss könnte das Ganze als dokumentarisch verstanden werden, wie gesagt, aber, ja, es gibt schlimmere Beispiele.

 Dieter_Rotmund (13.06.12)
Die Vermischung von Fiktion und Facts nimmt zu und fordert eine höhere Medienkompetenz. Interessanterweise ist die aber offenbar nicht bei unseren achso internetaffinen und medientechnisch versierten Teenagern gegeben, sondern eher bei der Großeltern-Generation, die noch leidlich gut ausgebildet und es gewohnt ist, auch mal kritisch zu hinterfragen, woher diese oder jene Information denn käme...

 Matthias_B (13.06.12)
Naja, bei der reichlichen Mediennutzung (und -gestaltung) fehlt es dann doch - obwohl sie ja gefördert werden solle - an Medienkritik.

 Matthias_B (16.07.12)
Ich habe zwei neue Beispiele:

"Nora" (2000) - es sieht aus, als hätten irgendwelche unkritischen Fans der ungebildeten und raubeinigen Nora Barnacle den Film, in welchem James Joyce eher als neurotischer und dem Alkohol ergebener Verzweifelter als fähiger Schriftsteller, der er war, dargestellt wird, in Auftrag gegeben. Das Problem liegt - wie schon erläutert - in dieser suggerierten (Pseudo-)Authentizität.

"Fetih 1453" (2012) - lief gestern im "Metropolis". Am Anfang der Chose wird sehr hölzern gemimt; überhaupt scheinen die Hauptakteuere zumeist wie frisch dem Hochglanzbad entstiegen. Ein bisschen gender wird mit der frei dazuerfundenen Era, die die "zündende" Idee in puncto Kanonengießen besitzt, dann auch in der Türkei gepflegt. Hasan und Giustiani wirken in ihrem (zu langen) Duell wie zwei Manowar-Bandmitglieder beim martialischen Extremposen mit Schwertern, und die Fahnen-Szene mutet letztendlich nur noch comichaft an. Das Ende, nunja; derart, wie das inszeniert wurde, könnte man (wenn man es nicht besser wüsste) fragen: Weswegen haben all die zigtausend Soldaten eigentlich gekämpft?
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