Aufgespießt

Unverschämtheiten aus Politik, Promiszene und Alltag


Die Kolumne des Teams " Aufgespießt"

Samstag, 30. Juli 2011, 22:42
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Und täglich beglückt die Schizophrenie

von  Matthias_B


(Dritte Liedtextkolumne)

Kennt ihr das: Es wird zu einer rhythmischen Schlagfigur (und sporadischem Sirenengeheul) bar Instrumentierung strophenweise zunächst in einem ruhigen bis hin zum psychotischen Tone* geredet? Richtig, es handelt sich um "They´re coming to take me away, ha- haaa!" von Jerry Samuels - bekannt als Napoleon XIV. Weil der "liedermachende" Produzent mit dieser Single 1966 in der englischen und amerikanischen Hitparade durchstartete **, nahm er eine LP (die sogar eine musikalische "Antwort" einer angeblichen Josephine XV enthielt) in diesem Stil auf, aus welchem "I live in a split-level head" vorgestellt wird:

Analog zum Prinzip der erfolgreichen 45er- Single ist das von dem Komiker Jim Lehner geschriebene Lied strukturiert: Eine - diesmal durchgängig hochgepitchte - Sprechstimme gibt zum monoton stampedigen Schlagzeug (zu welchem eine "Löffelklick" - Schleife lappt) als einzigem Musikinstrument Einzelheiten - und diesmal ausschließlich Vorteile - der derangierten geistigen Verfassung ihres Erzeugers preis.
Das Sprecher- Ich schildert in der ersten Strophe, wie es vorher "in apartments" bzw. "in a home [gelebt hat]" und aufgrund seiner Wanderlust "in trailers" herumgereist ist, bis die mentale Zäsur das Dahindümpeln im Dasein grundlegend verändert hat: Niemals würde jenes wieder derart leben wollen. Als Begründung wird die Refrainzeile "cause I´m happy, I live in a split-level head" angegeben. Sodann werden die Vorteile dieses Zustandes geschildert: Ein gepflegter Hedonismus, "no worries, no care", und solle jemand enervieren, dann "[klettere es] little stairs way up to a level [im Geiste]", wo keine Bedrohung mehr zu registrieren sei. Das Bild unserer Umwelt wird ja mittels der Verarbeitung der Sinneseindrücke im Oberstübchen (de)konstruiert. Drittens wird aufgezeigt, dass es sich nicht mehr an das alltägliche Korsett (z.B. "rush[ing] for busses") abhängig zu binden beabsichtige. Sollte der dem eventuell skeptisch gegenüberstehende Adressat das noch nicht richtig verstanden haben, wird es im vierten Teil abstrahiert wiederholt: " I like how I´m living, I´m nobody´s slave", wobei das Wortspiel "my head´s above water, so don´t make a wave" diese These nochmals unterstreicht. Zum Fünften wird der Nutzen der Immobilität "[with] no landlord to fight", z.B., beschrieben, die sich zudem in einem Genuss von Steuerfreiheit niederschlägt. Da hat man wohl endlich tatsächlich "mehr Netto vom Brutto". Im sechsten Abschnitt verhöhnt der personifizierte Irrsprudel, dass die Normalgeistigen "[ihre] ulcers [and] ills", die sie "[sicher nicht haben müssten]", für sich behalten könnten. Damit erstrahlt die evaluative Distinktion auf den Kopf gestellt besungen: "you think I have problems, but you do instead". Ähnliches könnte man nach einer Beschäftigung mit Rilkes "Irren" ebenso schlussfolgern. Natürlich herrscht - wie im siebten Komplex ausdrücklich betont wird - Gleichberechtigung zwischen den "two people [der Persönlichkeit]": "I like both of them, he likes both of me and I like both of him, they´re my alter- egos and to them I´m wed". Zuletzt sei der Sprechinstanz ihr zivilrechtlicher Status egal, da sie sich eh "[nicht an der Spitze sehe]" und sich entweder leicht widersprüchlich zur vierten Strophe treulich "[mitführen lasse]", oder gerne als "Blei" am Fleckchen verharre ("lead"/"led").
Sodann werden die Strophen wiederholt, wobei im linken und im rechten Kanal jeweils zwei jener durch den Stereoton gegenpositioniert *** werden und das einzige verbindende Element zwischen dieser simultanen Aufspaltung der somit gedoppelte Refrain darstellt. Jeweils minimal zeitversetzt beklagt sich zum blökenden Ende die eine Seite, dass sie nicht verstanden habe, was die andere verlauten lassen habe. Auf dem insgesamt recht unkonventionell geratenen Album singt Napoleon XIV übrigens auch, z.B. bei "Photogenic, schizophrenic you" (Text und (mehr) Musik von Jim Lehner und Bob Gosh). Letztendlich war das Ganze vermutlich etwas zu modern für die zeitgenössische Rezipientenkultur ausgefallen, obwohl jene danach mehr und mehr mit tonalen Bewusstseins- und Drogenwerken aus der psychedelischen Sparte der späten 60er konfrontiert wurde. Samuels ist - trotz Ladenhütereintütung seiner folgenden Erzeugnisse - der Nonsense- Schiene weiterhin treu geblieben, z.B. mit der Klamauk- Single "I owe a lot to Iowa pot" (mit besserer B- Seite "Who are you to tell me not to smoke marijuana"). In den Neunzigern veröffentlichte er zum Re- release des 1966er Werkes noch vereinzelte Neuaufnahmen, die jedoch in der manic regression versandeten.

Zitiert aus: Napoleon XIV - "I live in a split-level head"

* Das liegt an unterschiedlichen Geschwindigkeiten verschiedener Bandmaschinen beim Abspielen der Sprachaufnahmen. Bei "Bats in the belfry" wird diese Vermischung auch besonders gut vorgeführt.

** Zumindest bis die großen Radiostationen das Lied wegen vorgeblicher Verhöhnung von Geisteskranken (wie nennt man das eigentlich heutzutage im teflontologischen "Neusprech"? Personen mit Senilitätsverrenkung?) nicht mehr über den Äther schicken wollten. Samuels hatte übrigens - so resümierte er später - schon bei der Abfassung befürchtet, dass ihm dieser Vorwurf gemacht werden könnte.

*** (linke Spur - rechte Spur) : 1. - 5., 2 - 6., 3. - 7., 4. - 8., 5. - 1., 2. - 6., 3. - 7., 4. - 8.

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