Film & Fußball

Eine cineastische Mannschafts-Kolumne


Die Kolumne des Teams " Film & Fußball"

Mittwoch, 15. Mai 2013, 11:43
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In den Farben Gelb und Blau

von  Didi.Costaire


Heute möchte ich ein besonders beliebtes Kurzgedicht vorstellen, das regelmäßig in gesungener Form, nach der Melodie von „Oh my darling Clementine“, allerdings relativ tief in der Stimmlage, vorgetragen wird. Seit Jahrzehnten ertönen immer dann, wenn Eintracht Braunschweig spielt, nach siebenundsechzig Minuten folgende Zeilen:

Deutscher Meister, Deutscher Meister
In den Farben Gelb und Blau
Neunzehnhundertsiebenundsechzig
Das war unser BTSV


Bereits im ersten Vers wird deutlich, dass es dem Schöpfer dieser Zeilen besonders wichtig war, die Wortkombination „Deutscher Meister“ hervorzuheben. Es heißt nicht etwa, wie es auch möglich gewesen wäre, „Deutscher Meister, Eintracht Braunschweig“. Stattdessen werden die Worte wiederholt. Warum, darauf werde ich später eingehen.

Im zweiten Vers kommt Farbe ins Gedicht, und Farben sind in der Lyrik gleichermaßen von Bedeutung wie auf den Wimpeln von Fußballclubs. Gelb steht beispielsweise für Gier, Gold und damit Ewigkeit, oder es wird mit dem Gelben Trikot des Spitzenreiters bei der Tour de France in Verbindung gebracht. Blau steht unter anderem für die endlose Ausdehnung des Himmels und daraus folgender Zufriedenheit, aber auch für den eher melancholischen Blues, außerdem für Sehnsucht und Klarheit.

Mit diesen Farbdeutungen kommt man schon ein ganzes Stück weiter, doch wollen wir uns nun ansehen, wie ein gewisser Johann Wolfgang von Goethe, dem es aufgrund seiner frühen Geburt nicht vergönnt war, ein Fußball-Sachverständiger zu werden, die Kombination beider Farben deutete:

„Zur Farbenlehre: Gelb und Blau
Dieses ist die einfachste von solchen Zusammenstellungen. Man kann sagen, es sei zu wenig in ihr: denn da ihr jede Spur von Rot fehlt, so geht ihr zu viel von der Totalität ab. In diesem Sinne kann man sie arm und, da die beiden Pole auf ihrer niedrigsten Stufe stehn, gemein nennen. Doch hat sie den Vorteil, daß sie zunächst am Grünen und also an der realen Befriedigung steht.“

Von dem, was der Altmeister damit ausdrücken wollte, habe ich natürlich keine Ahnung, davon jedoch reichlich. In Bezug auf Eintracht Braunschweig muss man ihn in einem Punkt korrigieren, denn neben den Farben Blau und Gelb befindet sich das fehlende Rot direkt auf dem Vereinswappen, in Form eines Löwen. Die reale Befriedigung, die auf dem grünen Rasen bevorsteht, hat J.W. jedoch schon frühzeitig ganz richtig erkannt.

Auffällig ist auch die Reihenfolge der beiden Farben im obigen Vers, denn wenn von der Eintracht die Rede ist, spricht man üblicherweise eher von den Blau-Gelben als den Gelb-Blauen. In einem anderen Fangesang der Braunschweiger kommt sogar der gleiche Wortlaut in umgekehrter Gliederung vor („…In den Farben Blau und Gelb/ Den schönsten Farben dieser Welt…).

Im hier besprochenen Gedicht allerdings ergibt sich die Reihenfolge nicht nur aus dem späteren Reimwort, sondern benennt auch in logischer Art und Weise zuerst die Farbe des Trikots und dann die der Hose. Ein zusätzlicher Effekt ist das Wort „Blau“ am Ende des Verses. In Verbindung mit der Tatsache, dass viele der Sangesbrüder nach anderthalb Halbzeiten bereits einige Kannen Wolter Pilsener im Kopf haben, sorgt diese Vokabel mit ihrem Diphthong in langgezogener Aussprache für zusätzliche Breite im Klang.

Im dritten Vers kommt Butter bei die Fische. „Neunzehnhundertsiebenundsechzig“ (der Bestandteil „sieben“ in der zweistelligen Zahl wird betonungsmäßig stimmig zu einer Silbe zusammengezogen). Es handelt sich also um eine Meisterschaft, die schon ein paar Jährchen her ist, genaugenommen sechsundvierzig Jahre.

Das wiederum führt zu einer erweiterten Interpretation der ersten Verszeile. Eintracht Braunschweig war nur einmal Deutscher Fußballmeister und doch werden die Worte wiederholt. Hier ist also einmal vom Meister ‘67 die Rede, beim zweiten Mal davon, dass so ein Titel für die Ewigkeit besteht. Die Tatsache, dass es danach keinen vergleichbaren Erfolg gab, sorgt so für eine Art Unsterblichkeit der Mannen um Trainer Helmuth Johannsen und macht sie zur Legende.

Dabei gab es Mitte der Siebziger Jahre die wohl beste Eintracht-Mannschaft aller Zeiten, die nicht nur über eine ausgezeichnete Defensivabteilung verfügte. Branko Zebec hieß der Trainer, und Hochkaräter wie Karl-Heinz Handschuh, Danilo Popivoda, Wolfgang Frank und Bernd Gersdorff sorgten damals für nie dagewesen Offensivschwung in der Stadt Heinrich des Löwens. Trotzdem ist es das vergleichsweise biedere Team aus der Saison 1966/ 67, das sich in die Geschichtsbücher eingeschrieben hat: Die Elf um die kantigen Abwehrrecken Joachim Bäse (Ausputzer) und Peter Kaack (Vorstopper), mit dem Mittelfeldmotor Lothar Ulsaß als einzigem wirklich überdurchschnittlichen Spieler und einem Mittelstürmer namens Gerd Saborowski, der nur acht Tore erzielte – die allerdings weiland völlig ausreichten, um den begehrten Titel zu holen.

Seitdem lebt die Meistermannschaft in den Herzen der Eintracht-Fans weiter, nicht nur in der heutigen Zeit, in der insbesondere die starke Innenverteidigung mit Mustafa Dogan und Ermin Bičakčić sowie die Offensivleute Dennis Kruppke und Domi Kumbela als einsame Spitze aus einem Team der mehr oder weniger Namenlosen herausragen und zusammen mit der herausstechenden mannschaftlichen Geschlossenheit an alte Zeiten erinnern.

Die letzte Verszeile schließlich wirkt auf den ersten Blick melancholisch. Sie beginnt mit „Das war“, in der Vergangenheit. Dass sich das in absehbarer Zeit ändern würde, glaubt wohl selbst der eingefleischteste Eintracht-Fan nicht. Die Endworte „unser BTSV“ verdeutlichen aber zum einen die starke Identifikation der Fans mit dem Verein, zum anderen klingt aus der leicht aus der Metrik schlagenden Buchstabenverbindung am Schluss heraus, dass der Braunschweiger Turn- und Sportverein Eintracht kein Club wie jeder andere ist und seine Anhänger stolz macht, selbst wenn der größte Erfolg der Vereinsgeschichte ewig lange zurückliegt und der Club im vergangenen Vierteljahrhundert überwiegend in der Drittklassigkeit herumdümpelte.

Das wird ab August anders. Dann stellt sich für die anderen siebzehn Erstligisten die Frage „Wolters oder Wolters nicht“ nicht. Unter der Leitung von Manager Marc Arnold und Trainer Torsten Lieberknecht hat es die Eintracht geschafft, nach achtundzwanzig Jahren wieder in die 1. Bundesliga aufzusteigen. Nicht nur die Mannschaft wird da sein, auch die Braunschweiger Fans, und die werden ihre Verse – die obigen und viele andere - lautstark und selbstbewusst zum Besten geben, nahezu unabhängig davon, wie die Situation auf dem Spielfeld und in der Tabelle sein wird.

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Kommentare zu diesem Teamkolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (16.05.13)
„Wolters oder Wolters nicht“ -Hahaha, herrlich!

 Didi.Costaire (20.05.13)
Du hast dich bis zum Schluss durchgekämpft.
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