Kalte Hände

Kurzgeschichte zum Thema Liebe, lieben

von  Judas

Er stapfte vor mir durch den Schnee. Ich sah auf seinen Rücken. „Die Welt!“, begann er, stapfte, fegte mit den Händen die Luft weg und begann erneut, „Die Welt ist so groß! Wie viele Lebewesen und Wunder wir hier noch nicht entdecken konnten, allein in der Tiefsee finden sich fast täglich neue, bisher unbekannte Lebensformen. Es ist erstaunlich, dass hier, im eiskalten Poleis Plankton lebt. Lebt, Ann’, lebt!“ Wieder stapfte er euphorische zwei Schritte. Ich lächelte zustimmend und sah auf seinen Rücken. „Folin, die – “ „Ja, Ann’, die Welt, unsere Welt. Gigantisch. Phänomen. Faszinierend. Wir schießen Raketen ins All und suchen dort nach Leben, dabei versteckt sich so viel davon hier. Bisher unerkannt!“
Ich hauchte meinen Händen warme Luft zu. Das war sinnlos. Erstens, weil sie in Handschuhen steckten. Zweitens, weil sie nicht kalt waren. Mir war nie kalt, wenn ich Folin ansah. „Aber bei all der Industrie schmilzt dieses kleine, geheime Eisreich langsam. Ozonlöcher und so. Du weißt.“, fuhr er fort. Ich sah auf seinen Rücken. Er breitete die Arme aus, als wolle er die ganze Antarktis umarmen. „Folin, aber die – “ „Ja, Ann’, du hast Recht.“ Ich sah ihn nicken. „Die Industrie ist nicht Schuld, sondern der Mensch, der sie baut und nutzt.“
Ich schwieg. Er ist ein guter, sehr guter Polarforscher, dachte ich, du darfst es ihm nicht übel nehmen. Ich erschrak. Er sah es nicht, er hatte mir den Rücken zugedreht. Was nahm ich ihm übel? Dass ich ihm nicht von der Wärme erzählte, die mir inne wohnte? Wegen ihm? Die Sonne ließ den Schnee glitzern. Ich hielt den Atem an und ging durch das Weiß zu ihm. Es war sein Moment des Glücks. Es sollte auch mein Moment des Glücks werden. Ich wollte es so.
„Folin, die Liebe… Folin… - “ Er drehte sich um. Seine Augen leuchteten mich an, sein Lächeln war magisch. „Ann’, wir müssen unsere Erde wieder lieben und respektieren.“, sagte er leise. Legte mir seine Hand auf die Schulter und drückte sie. „Folin, nicht nur die Erde…“ Er nickte, lächelte, drehte ab und stapfte voller Glück durch den Schnee.
Sein Nicken galt der Erde.
Sein Lächeln galt dem Plankton im Eis.
Sein Glück dem Schnee zu seinen Füßen.
Ich sah seinen Rücken an und ging hinter ihm her. Meine Hände waren kalt.

Illustration zum Text
Kalte Hände
(von Judas)
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Kommentare zu diesem Text

nessy (24)
(22.01.07)
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 Judas meinte dazu am 22.01.07:
Dankefein...
Finde ich gut, dass ich es geschafft habe, zu sagen, was ich sagen möchte.
The_black_Death (31)
(22.01.07)
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 Judas antwortete darauf am 22.01.07:
Viel mehr unsere Mitmenschen.
Danke für dein Kommentar, lieben Gruß!

 michelle (12.02.07)
starker inhalt und besondere zeilen.-.---....... trotz alle liebe, meine finger erfrieren.-..... glg m.

 Judas schrieb daraufhin am 12.02.07:
Auf eine polareisige Weise hart, ich weiß.
Liebe Grüße zurück

 Isaban (20.02.07)
Tscha, Gelegenheit verpasst. Aber man kann ja immer noch die Welt lieben. *g* Oder die nächste Gelegenheit abpassen.

LG, Isaban

 Judas äußerte darauf am 20.02.07:
Danke für die Empfehlung :)
Und naja... wer weiß... wär' ich eine Frau, würde ich jetzt sagen:
"Männer! *hmpf*" ;>

 Isaban ergänzte dazu am 20.02.07:
Kluge Frauen denken sowas höchstens und lächeln leise.
MinusMalMinusIstPlus (25)
(15.07.07)
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 Judas meinte dazu am 16.07.07:
Ich hab mich noch gar nicht bedankt :)
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