Walburga's Seelendefizit, oder manche Wunden heilen nie

Text zum Thema Krankheit/ Heilung

von  Martina

Walburga ist die vernachlässigte Ehefrau. Aussehen unterer Durchschnitt, Niveau irgendwo abhanden gekommen-wahrscheinlich beim Abwehren sexueller Wünsche hres Ehemannes am Anfang ihrer Zeit. Tagsüber sitzt sie in einem schluderigem Büro, versucht im Minirock die Blicke ihres Chefs zu erhaschen, der sie eigentlich anekelt. Aber um sich etwas Selbstbestätigung zu erschleichen, reicht er grad. Walburga's Selbstbewusstsein hatte schon als Kind stark gelitten. Man nannte sie "Walburga- die Wanne, die Möchte-gern-Tanne". Als Kind war sie wirklich fett, sie konnte es ihren Mitschülerinnen im Nachhinein nicht verübeln, wenn sie solche Dinge zu ihr sagten. Heute besitzt sie eine ganz normale Figur, aber die Hänseleien konnte sie nie ganz vergessen. Ihr Leben ist so langweilig wie die Berichte, die sie tagtäglich schreibt. Den Frust schluckt sie hinunter mit ihrem Pausenbrot, welches mit billiger Wurst belegt ist. Sie kauft oft stark im Preis nachgelassene Ware, deren Verfallsdatum am nächsten Tag schon abgelaufen ist. Walburga verdient nicht viel und muss sparen, wo es geht.
Abends macht sie sich völlig genervt von der trostlosen Arbeit auf den Weg nach Hause. Ihr Mann kommt fast zur gleichen Zeit heim. Eine Begrüßung gibt es schon lange nicht mehr. Sie haben sich nicht einmal mehr "guten Tag" zu sagen.
Vielleicht hätten Kinder die Ehe retten können. Ihr Mann hatte sich sehnlichst welche gewünscht. Aber Walburga wollte ihre Schönheit nicht ruinieren, wenigstens die, die sie ihrer Meinung nach besaß. Ihr flacher Bauch war ihr ganzer Stolz, leider konnte sie ihn zu den seltensten Gelegenheiten zur Schau tragen. Ihr Mann schlief immer schon, wenn sie sich im Schlafzimmer bis auf den Slip entblößte. Er hatte schon lange keine Augen mehr für sie. Und obwohl sie ziemlich frigide war, weil "Walburga -die Wanne, die Möchte-gern-Tanne" noch in ihrer Seele hauste, störte es ihr Ego. Nicht dass sie unbedingt Sex brauchte, es war immer nur reinste Pflichterfüllung gewesen. Nein, sie brauchte die Aufmerksamkeit, verlangte schmerzlichst danach, Begehren in Männeraugen zu sehen. Genau dieses Begehren, welches sie in den Augen ihres Mannes sah, wenn er sich im Net hübsche Mädchen ansah. Die Eifersucht zerfrass ihr fast das Hirn.
Um sich etwas abzulenken, verbringt Walburga ebenfalls ihre Zeit am PC. Sie ist einem Schreib-Forum beigetreten und liest Geschichten, die andere Menschen aus Spaß am Schreiben einstellen. Es ist ihr fast zur Sucht geworden, die Menschen mit ihren Texten zu identifizieren. Vor allem, wenn es sich um hübsche Frauen handelt, solchen, denen ihr Mann seine ganze Aufmerksamkeit schenken würde. Diese sollten nun ihren ganzen Groll in Form von linkischen Kommentaren bekommen. Sie wollte ihnen das Leben schwer machen, so schwer, wie ihr eigenes war. Es hílft ihr Genugtuung zu empfinden. Die Last und der Groll schienen erträglicher zu werden. Sie wird sich über diese Frauen an ihrem Mann rächen. Fast akribisch beobachtet sie alles, um sofort zuschlagen zu können. Jeden Text ihrer Auserwählten, jeden Kommentar verfolgt sie genau. Es ist reinste Detektivarbeit, alles muss recherchiert und Vermutungen angestellt werden, und das nimmt Stunden in Anspruch. Aber das ist ihr egal, sie hat so viel Wut wie Zeit. Ihr Profilfoto zeigt nicht sie selbst, nein, sie ist zu unscheinbar, niemand hätte ihm Beachtung geschenkt. Deshalb stellt sie Bilder von gemalten oder fremden Frauen ein, wie sie gerne wäre. Es zahlte sich wirklich aus. Sie hielt Männer einfach für Trottel, aber ihre Texte wurden öfter gelesen und kommentiert, wenn sie Erotik ins Bild brachte. Wenn sie nur wüßten, welch graue Maus sich dahinter verbarg...
Aber so war die Welt des Nets. Hier konnte man der Mensch sein, der man sein wollte. Hier isst sie Kaviar, nur den teuersten. Hier konnte man seine Träume erfüllen. Sie konnte den Schein erwecken, eine der Frauen zu sein, nach denen Männer, besonders ihr Mann, sich heimlich sehnten, weil sie es für ihn im realen Leben nicht sein konnte.


Anmerkung von Martina:

...manche Dinge die man als Kind erlebt hat, können sich für's ganze Leben in die Seele fressen und es belasten...

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

shakti (66)
(29.04.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Martina meinte dazu am 29.04.07:
So sehe ich das auch, liebe Rita...Und es gibt aufrichtige Menschen..ich durfte es auch schon mehrmals erleben und bin dankbar sie kennen gelernt zu haben. Einen schönen Sonntag dir, und viele gute Gedanken zum Niederschreiben. Deine Tina
altma14 (85)
(29.04.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Martina antwortete darauf am 29.04.07:
Da magst du wohl recht haben, meine liebe Marthel... und ich freue mich dass du dir die Zeit für diesen längeren Text genommen hast..deine Tina
Pfauenauge (49)
(29.04.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Martina schrieb daraufhin am 29.04.07:
Nein..dick war ich wirklich nie, eher immer untergewichtig. Und nein..autobiographisch ist er bestimmt nicht (ich denke nicht das ich frigide rüberkomme, im Gegenteil)....einen Teil Wahrheit trägt er aber in sich- über eine Person die ich nur zwangsläufig flüchtig kenne...VG Tina
seelenliebe (52)
(29.04.07)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Martina äußerte darauf am 29.04.07:
Liebe Anne...danke für deine Überlegungen zu meinem längeren Text. Ja, auch ich hab über solche Menschen nachgedacht, was sie bewegen könnte..schön dass du dir die Zeit genommen hast...und noch schöner, dass du auch kommentiert hast...deine Tina
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram