anders herum

Kurzprosa zum Thema Selbstverwirklichung

von  Erebus

""Träumst du?"
"Manchmal"
"Das wird nicht reichen." Er sieht in meine Richtung, als habe ihn eine Bewegung gelockt, doch sein Blick umfließt mich, als wäre ich nicht da.

"Ich träume nie." Das sagt er so abschließend, dass ich wieder den Ärger spüre, Ärger über ihn und seine geheimnisvolle Art, seine Andeutungen, Zweideutigkeiten, seine Unklarheit.
Ich will Klartext, und er foppt mich.
In seiner Gegenwart fühle ich immer eine Unruhe in mir. Etwas zieht mich irgendwo hin, zu völlig unbekannten und doch unendlich vertrauten Gebieten. Die ich nicht betreten kann.
Als würde ich von einem fremden Kind an der Hand gefaßt, das zerrt mich mit vielen Gesten und Geschrei in unbekannter Sprache irgendwo hin. Vielleicht zu einer Prostituierten, vielleicht in eine Falle, zu einem unverschämten Glück oder zu einem entsetzlichen Unheil. Ich will mitgehen, widerwillig-willig und sollte doch nicht.
Dann stehe ich an einem Graben: ich bin eigentlich schon zu weit gegangen und habe vergessen, den richtigen Anlauf zu nehmen. Ich will hinüber und es geht nicht.

"Ich springe" meint er. Scheiße.
Ich hasse Idole. Ich hasse alle, denen ich nicht vertrauen kann, denen ich gerne etwas abgucken würde, alle, von denen ich gerne etwas lernen würde. Weil die sich dann doch nur als Arschlöcher entpuppen, schließlich und am Ende.
Ich glaube, ich hasse Vorbilder, weil ich maßlos bin. Alle meine Vorbilder haben letztlich versagt, im entscheidenden oder in einem nebensächlichen Moment versagt. Ich wende ihr Versagen dann rückwirkend auf alles andere an, was sie je für mich verkörperten oder hätten verkörpern können. Ich will ein Vorbild von A bis Z, ohne Wenn und Aber - keinen sexbesessen Ashramleiter.
Ich sehe mich am Graben stehen, mit den Armen rudern und "dann woll'n wer mal" rufen, bevor ich abspringe und an der gegenüberliegenden Grabenseite in den Matsch klatsche, nach unten rutsche. Immer tiefer. Ob ich noch einen Versuch frei habe? Tank, das Sprungprogramm!

"Ich springe," sagt er, "weil es nicht wichtig ist. Du hast Angst zu springen, weil du wichtig bist."
Zu gerne würde ich das 'wichtig' so verstehen, dass es im Zusammenhang mit irgendeiner Aufgabe gemeint ist. Dass mir aus wichtigen Gründen keine andere Wahl bleibt, dass ich mich sozusagen aufsparen muß. Mir geht irgendetwas durch den Kopf, von wegen aufsparen. Warum ausgerechnet Hiob. Mußte der erst glücklich sein, um nachher in unendliches Leid getränkt zu werden, damit die Bibel eine gute Story bekam? Während ich darüber nachdenke wird mir langsam klar, dass er recht hat.
"Wie kann ich denn unwichtig sein?" frage ich, naiv. Ich hätte mir die Frage besser überlegen sollen.

"Träume!" Das sagt er, als habe er es schon die ganze Zeit sagen wollen. Die logische nächste Frage verkneife ich mir. Warum soll ich träumen, während er nie träumt?
Er 'springt' - er stürzt sich also mitten hinein ins Getümmel, komme was wolle, mit tatarischem Lebensmut und ohne Interesse an der Rechnung - oder wie?
Vielleicht sieht er ja bei mir irgendeine Beschränkung, eine geringere Entwicklungsmöglichkeit, als bei sich selbst. Für mich muss Träumen reichen, oder wie? Toll! Vielleicht ist es aber auch grade umgekehrt. Ich bin für höhere Weihen vorgesehen, er ist nur der Saaldiener, der Stiefelputzer. Im selben Moment schäme ich mich auch schon für den Gedanken.

"Du bist verrückt.", sagt er. Er lacht mich an, diesmal bin ich tatsächlich im Fokus seines Blickes. In diesem Moment erinnere mich an einen Traum, den ich als Kind oft hatte. Ein Löwe hetzte mich  immer um ein Bett herum. Kopf- und Fußteil des Bettes aus verschörkeltem Messing ragten hoch hinauf, wie Gitter, dazwischen lag eine weiße Matratze. Und Immer ging es im Kreis herum und herum, der Traum machte mich panisch vor Schrecken.
An den Löwen erinnere ich mich eigentlich gar nicht, solange er lief. Der war immer nur verwischt hinter mir her. Aber der Abstand verringerte sich. Da kam ich endlich auf die Idee, quer übers Bett zu flüchten. Ich warf mich in vollem Lauf über die Matratze, drehte mich um und schaute ihm ins Gesicht. Er hatte seine Jagd unterbrochen und grinste mich von der anderen Bettseite her an. Mit einemal hatte ich das Gefühl, einen Sieg davongetragen zu haben. Jetzt konnte ich nach links oder rechts ausweichen, es ging nicht mehr nur um und um. Ich wußte zwar, die Hetzjagd würde weitergehen, aber dann blieb der Traum aus und seither habe ich immer das Gefühl gehabt, das ich meine Träume beeinflussen kann. Der Löwe steht auf der anderen Bettseite und das Spiel scheint ihm kolossalen Spaß zu machen.


Anmerkung von Erebus:

Mit Dank an Isaban für ihre Mithilfe

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Kommentare zu diesem Text

Sanatanas (43)
(23.02.08)
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 Erebus meinte dazu am 23.02.08:
Hallo Sanatanas,

ich weiß, ich bin selber Schuld, dass der Bhagwan in den Vordergrund drängt.

Dabei hatte ich den ursprünglich nur für diesen einen Ashram-Satz im Sinn. Wenn ich eine esoterische Beheimatung des Textes sähe, dann wohl eher bei Castaneda.
Am schönsten aber wäre es, weder den einen noch den anderen Bezug zu setzen, sondern ganz einfach und schlicht im Alltag zu belieb.

Ich hatte ursprünglich nicht vor, noch etwas am Text zu machen, erfahre jedoch durch Kommentar und Rückmeldung, dass das wohl sinnvoll sein könne.

Herzlichen Dank!
LG
Uli
Sanatanas (43) antwortete darauf am 23.02.08:
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ich (41)
(23.02.08)
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 Erebus schrieb daraufhin am 23.02.08:
Hallo Sylvia,

ganz herzlichen Dank für Deinen eingehenden Kommentar!
Allerdings scheiden sich bei der Wichtigkeit des letzten Satzes Geister ...
Ja, es geht darum, Springen zukönnen, die Furcht vor dem Sprung abzulegen, seinen Träumen zu folgen und diese nicht anzupassen. Weil man dann nicht mehr träumt. So etwas läßt sich wohl nur in Geschichten audrücken, darüber zu theoretisieren kommt mir unmöglich vor.
Denn: nö, Du verstehst den Text nicht falsch.

LG
Uli
Anima D. (39)
(04.03.08)
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 Erebus äußerte darauf am 04.03.08:
Hallo la Deva,

ich danke dir sehr für die intensive Auseinandersetzung mit dem Text. Es wäre für mich hilfreich zu erfahren, welche Zeilen du meinst, bzw. was dir nach dreimaligem Lesen als essentiell erscheint.
Einen Text mit Potenzial zu verbessern ist ja sehr reizvoll.

Den Schluß der Geschichte liest du ganz richtig, dass Traum und Realität ebenso ein Spiel miteinander treiben wie Guru und Löwe mit dem Protagonisten.
In einer Ursprungsversion stand das dezidierter, aber du schlägst ja den Weg des Verständnisses ein, der intendiert ist, also denke ich, dass es richtig war, den zu genauen Hinweis zu tilgen.

Herzlichen Dank
LG
Uli
Anima D. (39) ergänzte dazu am 04.03.08:
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