Mit dem Strom

Innerer Monolog zum Thema Allzu Menschliches

von  autoralexanderschwarz

Hätte ich eine Laterne, so würde ich sie verlöschen, ergreifen und auf den Marktplatz rennen. Dort würde ich mich zwischen die Menschen stellen, am liebsten vor eine Buchhandlung und meinem Volk die Wahrheit zurufen, jene Wahrheit, die ich schmerzvoll erkannt habe. „Die Literatur ist tot", würde ich rufen und „ihr ward es, die sie umgebracht habt." Doch was würde es bringen, jene Wahrheit in die Welt zu schreien, nichts als Kopfschütteln, vielleicht Entrüstung oder eine Nacht in der Gummizelle. Viel zu lange habe ich mich belogen, die Bestsellerlisten betrachtet, sie aber nie als das verstanden, was sie sind, als Ausdruck einer Kultur, die derart entartet scheint, dass sie ihren Namen nicht mehr verdient. Was haben wir noch zu bieten, außer einigen nostalgischen Erinnerungen, als die Literatur noch blühte, als sie noch nicht dem Diktat der Marktwirtschaft unterworfen war. „Der Chor tritt an die Rampe", hat y Gasset einmal geschrieben, als er in seinem brillanten Aufsatz den Massenmenschen entlarvte, doch auch ihn habe ich nicht verstanden, habe seine Wahrheit nicht gesehen, weil ich einen Traum hatte. Ich habe gedacht, dass es möglich wäre, jenes Feuer erneut zu entfachen, das in den Anfängen des letzten Jahrhunderts die expressionistische Bewegung zusammenschmiedete, die aus dem Leiden an der Gegenwart die Sprache neu zusammenzimmerte, jene Menschheitsdämmerung die der Krieg dann auseinander trieb. Dabei ist es ja nicht so, dass die Menschen keine Bücher mehr kaufen. Gewaltige Industrien sind gewachsen, die mit ihren riesigen, modernen Druckmaschinen jede Minute Tausende von Seiten füllen und natürlich gibt es auch jene Zeitschriften, „Kulturzeitschriften", die über jene Bücher berichten, sie anpreisen oder verreißen und den Menschen feilbieten. Doch was findet sich in jenen Büchern, eines dicker als das andere, auf denen im farbigen Hochglanzdruck immer kreativere, buntere und größere Bilder über den traurigen Inhalt hinwegtäuschen. Geistliche und Huren, Mittelalter und Vergangenheitsbewältigung, kleine bebrillte Zauberer und Esoterik, Kochrezepte werden auf den Markt geworfen. Bald gibt es zu jeder „historischen" Person ein eigenes Buch, egal wie unbedeutend sie auch war, ganz zu schweigen von all den A-, B- und C-Prominenten, die abends, nach einem geistlosen Tag ihren Ghostwritern ihre Nichtigkeiten diktieren.
„Die Literatur ist tot und ihr ward es, die sie ermordet habt", würde ich jenen Redakteuren entgegenschreien, die sich so sehr bemühen dem Zeitgeist zu folgen, einzig, um ihre Auflagen zu erhöhen, jenen Verlagen, die ständig auf der Suche nach Mittelmäßigkeit, ihre Postfächer durchwühlen. Einfach müssen die Texte sein, für jeden zu bewältigen, ob in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder nach einem anstrengenden Tag im Bett, um den unterdrückten Geist schläfrig zu machen. Bloß keine langen Sätze, keine Introspektive, die Konformität wird zum Leitziel erhoben. Die uniforme Belanglosigkeit wird in eigenen Sendungen gefeiert, „Literaturexperten" bieten sich feil, um der Kultur ihr Grab zu schaufeln. Fast möchte man lachen, wenn man jene „Schreibschulen" sieht, jene „Autorenwerkstätten" in denen die Industrie ihren Nachwuchs züchtet und mit obskuren Regeln indoktriniert, wann und wo welches Satzzeichen, welche Wirkung bei welcher Zielgruppe erreichen kann. Und überhaupt ist es ja auch viel einfacher ausländische Autoren zu übersetzen, deren Verkaufszahlen bereits genaue Kalkulationen ermöglichen. „Die Literatur ist tot und ihr ward es, die sie umgebracht habt."

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