Die Fesseln unseres Lebens

Text

von  KopfEB

Ich sitze auf der Toilette und rechts von mir tropft der Wasserhahn. Ich sitze da und ringe mit mir, soll ich ihn zudrehen, ganz fest, dann hört es auf, das weiß ich. Aber soll ich es, darf ich es? Es ist doch seine Aufgabe, Wasser zu lassen, seine Bestimmung, darf ich ihm das verwehren?
Schnell richte ich meinen Blick nach rechts, andere Gedanken sind dort, bestimmt, ich sehe die Klobürste, ich sehe eine Schachtel aus Holz, Schmuck in ihr, das Fenster, den Vorhang, eine Blume im Topf. Gegenstände, lauter Gegenstände, Dinge, die ich benutze, ausnutze nach meinem Gutdünken, die nur für mein Leben da sind, die leben weil ich lebe und nur für mich – Schnell drehe ich den Hahn zu, ganz fest, bevor der nächste Tropfen fällt. Da hängt ein Handtuch, der Spiegel, die Badewanne, der Duschvorleger, was soll ich nur tun, alles ist eingesperrt, verhaftet in meinem Leben, durch mein Leben zu meinemSinnerklärt und erscheintmirmiteinemmal soanklagend, erdrückendeLast, wohermeinRecht dieserVerpflichteten, woher, woher nehme ich die Arroganz?
Doch dann, mein Blick, er fällt ... fällt auf die Tube auf dem Waschbecken. Die leere Tube Zahnpasta. Sie ist nicht mehr von Nutzen. Sie entzieht sich mir. Und das beruhigt mich. Ungemein. Ich kann mit ihr nichts mehr anstellen.
Nun, manch einer würde vielleicht sagen, weil ich sie bis auf den letzten Tropfen Sinn ausgepresst habe. Aber das sehe ich gerade anders. Was sollte ich ihr jetzt noch antun, wie sie da so steht, rot und leer.
Ich könnte sie zwar wegwerfen, gut, aber was würde das ändern? Sie wäre immer noch da, nicht mehr in meinem Sichtfeld, aber immer noch in meiner Welt. Das wird sich nie ändern, selbst wenn ich sie zerhacke, zerschredder, zerfetze, sie ist immer noch da, immer da, auch wenn ich sie verbrenne, immer da, das wäre noch viel schlimmer, sie wäre überall, überall, in der Luft um mich herum, überall, die ich atme, in mich aufnehme, überall, sie wäre in mir, würde mich vergiften, mich töten, überall!

Und mit einemmal ist diese Tube Zahnpasta, die leere Tube für mich gar nicht mehr solch eine Beruhigung, sie zeigt mir nicht mehr meine Grenzen auf, sondern mein ende.

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