Sekundenschlaf

Text

von  Erebus

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Hingabe. Niemals zuvor ist ihm Hingabe derart bewußt geworden. Auch nicht das Selbstverständnis der Entgegennahme, ein Zusammenspiel von Zweien, die ohne Worte ein unendlich Gleiches tun.
Ein Gemeinsames ohne Schmerzen, Erinnerung, Ausblick - und er grunzt behaglich.

Es ist eine Kurve der Staatsstrasse 2271, die sich in vollendetem Schwung nach links, immer weiter nach links zieht, den flachen Hügel hinunter zum Ufer des Mains. Und: sie gibt sich ihm hin.
Behutsam kuppelt er den Gang heraus, um das Geräusch des Kleinwagens noch weiter zu senken. Nun hört und fühlt er ihren Asphaltbelag, auf dem er weiter gesogen wird, abwärts, angelehnt, geschwungen, leicht und rauschend.
Es ist viertel nach fünf am 14. Oktober, als rechts neben der Fahrbahn das Gewächshaus aus der Nacht tritt, es tritt in einer kleinen Senke neben der Böschung hervor und beleuchtet mit seinem gläsernem Körper eine Kuhle. Bläulich-rötliches Licht strahlt aus einem Gehäuse für fremdartiges Wachstum, tritt aus der Dunkelheit und fällt dahin zurück.

Nun ziehen ihn die Straßenlampen weiter vorwärts, weiter auf der Fahrbahn, die sich ihm schenkt.
Die Lampen schwanken ein wenig -der Scheitelpunkt der Kurve- er passiert die Abfahrt wie schon hunderte Male, um weiter vorzustoßen: nun ins Dunkel, gezogen vom Licht seiner Scheinwerfer. Hunderte Meter weiter, dort, wo die Schöne zwischen die haselbestandenen Böschungen taucht, erscheint ein Scheinwerferpaar, eine Spiegelung der eigenen Bewegung.
Die Begegnung der Hingabe steht bevor, auf einer Strasse, die er seit viereinhalb Jahren jeden Morgen fährt, die er noch nie so wahrgenommen hat, nie erkannt hat: das sie ihn meint.
Langsam, dann schneller, nähern sich die Scheinwerfer, der Asphalt rauscht unter den Reifen, der Wagen rollt nun langsamer, die Fahrbahn verliert ein wenig Neigung, er wird nicht enttäuscht sein, nein, wenn es jetzt vorbei ist, er konzentriert sich mehr auf das entgegenkommende Fahrzeug, das links an ihm vorbeigleiten wird, gleich, gleich.

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (02.11.08)
Klasse, wie diese unterschwellige Bedrohlichkeit durchkommt, ebenso, wie die Verführung. Die Spannung wird gut aufgebaut.
Einzig das Wort "Partnerin" gefällt mir in dem Kontext nicht so gut, sticht zu sehr raus, überzeichnet. Ich hätte wohl eher irgendwo ein "Sie" eingebaut und dann geschrieben: Sie, das ist die Straße unter ihm. Na, oder so ähnlich. Hm. Und das Adjektiv "grob" (beim Asphaltbelag) eventuell noch mal überdenken, es führt in die falsche Richtung. Uneben?

Liebe Grüße,
Sabine

 Erebus meinte dazu am 02.11.08:
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Liebe Sabine,
ich danke dir sehr für deine Hinweise, ich beherzige alle.
Die Partnerin, klar, was hat mich da greritten? Und auch das grob streiche ich, obwohl ich es nicht als beeinträchtigend empfinde, ich wollte schlicht eine Brücke zur Geräuschentwiklung schlagen aber die gibt es ja sowieso, egal wie der Asphalt beschaffen ist. Andererseits kämpfe mit jedem Adverb und Adjektiv über um seine Notwendigkeit, so kommt mir die Streichung nicht falsch vor.

Lieber Gruß,
Uli
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