Unterbestimmtheit

Kurzprosa zum Thema Philosophie

von  Matthias_B

Meinereiner saß wieder einmal auf der Parkbank des Uni-Areals in einer kultivierten Vegetation und träumte von Steingärten, als Chloe, eine der typischen niederbayerischen Lehramtsstudentinnen, die scheinbar überall am Campus als aufgeblähte Egozentrismen formloses Halbwissen daherplappern und dann im Beruf wenig erhaben austicken werden, wenn die Schülerinnen dasselbe tun sollten, sich ungefragt neben einem platzierte und losschnatterte, anstatt mir Grüntee in die Schale zu gießen.
" Hast du nicht ´mal gesagt, dass die Gegenstände, deren Bilder uns durch die Sinne gehen, nicht wirklich da sein müssten?"
§ Chloe, diese Bilder werden mental erzeugt und stehen zudem auf dem Kopf, wobei das Gehirn jene dreht.§

Chloe riss ein Blatt von dem nicht sonderlich üppigen Wildwuchs ab und hielt es mir wedelnd vor die Augen.
" Stimmt. Du hast dann noch gemeint, dass wir uns, z.B., die Festigkeit dieses Blattes da, auch nur einbilden könnten, weil sie das Gehirn, samt Bild des Blatts, erst erschafft?"
§ Die Möglichkeit, Klo-e, sie besteht doch, dass wir uns das nur selbst erschaffen würden, weil in jedem von uns ein übergeordnetes System richtiggehend eingepflanzt worden sein könnte, mittels dessen wir Kategorien wie "real", "falsch" etc. bemessen würden, was aber nicht bedeuten würde, dass aufrgund des anwendbaren Daseins jener die augenscheinlich dazugehörige Realität existieren würde."
" Weil wir nicht außerhalb unseres Bewusstseins 'was erfassen würden?"
§ Ja, denn du kannst ja nicht aus deinem eigenen heraustreten und objektiv, außersinnlich bzw. allumfassend prüfen, ob das Blatt wirklich fest oder gar ein Blatt selbst sein solle, nein, sondern nur anhand deines Bewusstseinsinhaltes glauben, dass es jenes als feste Form geben sollte, da du dich ja nicht in das Blatt, sofern es jenes geben würde, versetzen könntest.§
" Aber ich halte es in meiner Hand und du siehst das!"
§ Was ist wessen Konstruktion? Das Blatt und das Bild von mir deine oder du und das Blatt und du, die es hält, meine? Ist die Umgebung des Einzelnen außerhalb des Bewusstseins dessen gelagert und somit wirklich, ja, existent?§

Chloe lachte. " Na schön, dann pass' auf: Meine Tante ist umgezogen und ich hab´ mir ihr neues Häuschen angesehen, folglich eins, das ich vorher nicht hätte kennen können, nicht wahr?"
§ Es ist in der materiellen Gestalt noch nicht in diesem Perzeptionsbewusstsein verankert worden, das stimmt.§
" Redest du auch so, wenn du mit deinen Mädels grünen Tee trinkst?"
§ Och, beizeiten, aber das variiert, denn es sind ja manchmal schon manche und Diversität, auch bezüglich des Sprechcodes, ist die Vielfalt des Lebens.§
" Wieviel Tee hast du denn zuletzt durchgebracht?"
Ich verschwieg ihr lieber, dass ich im letzten Monat mit drei Studentinnen selbigen aufgegossen hatte, denn das momentane Thema erschien mir ergiebiger.
" Dann schweig´ halt drüber; also, um auf das zurückzukommen: Ich war im Keller, den ich auch noch nie vorher gesehen hatte, klar?"
§ So klar wie der eventuell ihr zugehörige Schein dieser sengenden Glutsonne am Firmament.§
" Komm 'mal runter, Junge. So! Der Keller war fast total dunkel, gell? Da war nur eine Tür noch gerade so zu erkennen und die habe ich aufgemacht. Dahinter war's total finster. Das heißt, ich bin in einen Raum gegangen, in dem kein Licht strahlte und deswegen nichts zu sehen war, hmja? Und dieses Zimmer habe ich vorher noch nie gesehen und jetzt konnte ich es nicht sehen."
§ Völlig unbekannt, ja, wir wissen´s so langsam, Chloe. Du hattest folglich keine Muster zur Verfügung, zu begreifen oder zu erkennen, wann du die Wahrheit über diesen ominösen Raum erfassen hättest können?§
" Ja, vielleicht und trotzdem: Ich bin vorwärts gegangen und im Dunkeln an die Wand gestoßen, woraus folgt, dass sie da war und dass sie fest war, hab' ich recht?"
§ Nicht unbedingt.§
" Was soll das jetzt wieder? Ich bin danach in eine andere Richtung gewandelt und was ist passiert, rate ´mal?"
§ Du hast dir hoffentlich nicht wehgetan, als du gegen die scheinbare Wand geprallt bist?§
" Lenk´ nicht ab, Bua; ich bin wieder an eine geknallt. Die Wand, die das Zimmer eingrenzt, ist real gewesen und das heißt, sie besteht auch außerhalb meines Bewusstseins. Genauso wie das Zimmer, über das ich vorher nichts wissen konnte"
§ Es ist in der ideellen Gestalt aber schon in deinem Bewusstsein gewesen.§
" Nein, ich hatte den Raum noch nie gesehen, also kann ich den gar nicht gekannt haben, du Eso-Böckchen!"
§ Doch. Wir besitzen dieses System gewissermaßen in uns einprogrammiert, anhand dessen wir die scheinbaren Dinge in unserer scheinbaren Umwelt kategorisieren könnten. Und mittels des Gebrauchs dessen müsste es für dich wahrscheinlich ausfallen, dass ein Zimmer, das heißt ein so gut wie ausnahmlos an sich als begrenzt verstandener Raum, eben diese Grenzen haben müsse, Chloe. Das könnte doch heißen, dass es anhand dieser konstruierten inneren Logik eine Begrenzung geben müsse, innerhalb der Dreidimensionalität durch die vier Himmelsrichtungen und oben und unten?§
" Du willst jetzt aber nicht annehmen, dass ich wegen dieser Festlegung gedacht haben musste, dass irgendwann unweigerlich ´ne Wand kommt?"
§ Dies schon, Chloe. Die Inhalte unserer Perzeption - so sagt man - seien davon unterbestimmt, durch den durch diese Logik als Überbau bewusst erzeugten Bezug zu Raum und Zeit, der unserer subjektiven Interpretation, von dieser weitere Zustände des Subjekts abhängig seien, unterliege.§
" Die Prellungen waren ein Produkt meiner Wahrnehmung?"
§ Die Erfahrung jener entsteht in selbiger Instanz, die anhand übergeordneter Muster schlussfolgert, dass irgendwann eine Begrenzung oder ein Wall zum Vorschein kommen müsse, gleich ob man jene auch perzeptiv erfassen könne. Der Schmerz entzündet sich in deinem Bewusstsein, Chloe, könnte man deswegen trotzdem gänzlich ausschließen, dass die Wand ebenso in deinem Bewusstsein entstanden sein könnte, ohne objektiv dagewesen zu sein?§
" Das gibt wieder einen Denkanstoß, gell?"
§ Auch das Denken geschieht nur innerhalb des Bewusstseins, außer -§
" Kommst du jetzt wieder mit den Zen- Geschichtchen?"
§ Nein, ich würde jetzt viel lieber zu der Teezeremonie....§

Der Gang zur Mensa schien endlos, aber nachdem wir uns niedergesetzt hatten, nestelte sie gleich an ihrer Teedose. Der erste Aufguss. Sie ließ die Zunge über die Dampfschwaden des grünen Tees gleiten, sog jene ein, in immer stetigerem Tempo.
Der Tee säuselte. * So ist es gut, Chloe, ja....und außerdem kannst du mich viel besser einschenken als Amanda oder Julie.....*, stöhnte jener innerhalb seines jasminwürzigen Bewusstseins.
§ Bitte schenke auch den Rest ein, wenn es - Scherz! - chloethisch vertretbar sei.§
In ihrer porzellansamtenen und engen Teekanne tönte das Auf- und Abgleiten des Tees fast wie in einem Windkanal, der bei voller Stärke in eine blutschleierhafte Trance versetzen würde. Viel verflüssigter Tee gluckste aus jener in die Schale. Könnte es sein, dass der Höhepunkt der Teezeremonie außerhalb des Bewusstseins stattfände? Ich lugte in den Gang hinein und erspähte Katha.
§ Ähm, Katha, murmelmurmel, cheguevara, Mensa, bopdoowop usw.§
Daraufhin hüpfte die Angesprochene lächelnd zu uns, während ich Chloe mit einem ordentlichen Handkuss darum bat, ihren Platz für sie zu räumen.
+ Wie willst du's denn haben?+, fragte Katha, woraufhin ich jener sanft die vollen Lippen mit Tee einrieb. Sie goss sich behutsam den Mund mit dem grünen Getränk voll und ich schaute nochmals auf die Uhr, in dem Versuch, die vorhin aufgeworfene Frage mittels des Instrumentariums des subjektiv eingegrenzten Bewusstseins ansatzweise zu vertiefen. Katha leckte sich über die Lippen, von denen noch Tee tropfte, wohl bemerkend, dass ich abwesend war: + Wolltest du diesmal dessen Entfaltung nicht lange herauszögern?+
§ Naja, ich werde heute noch zu tun haben, es war aber schön zu verfolgen, wie du jene umschmeichelt hast.§
Indem sie sich erhob, demonstrierte sie - wohl ungewollt - dass sie sich bei der Auswahl ihres "Campus"-Pullovers in der Größe ein bisschen verschätzt hatte.
+ Danke. Wir sehen uns.+
Darauf konnte ich nichts mehr äußern; zumindest nicht verbal, glaube ich.


Anmerkung von Matthias_B:

28.04. und 05.05.2010, bearbeitet

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