Herbst

Text zum Thema Stimmung

von  shinai

Die Venus balanciert auf ihrem Sockel im dünnen Morgennebel, elegant und unberührt von Kälte und Wind; nur das Spinnennetz unter ihrem linken Arm zittert im müden Wind, und die Spinne darin krümmt sich so klein zusammen, als müsse sie für die Venus mitfrieren, weil die es nicht kann. Getrimmte Buchsbaumhecken umstehen symetrische Beete ohne Blumen, die Kieswege schneiden militärisch gerade durch die immergrüne Ödnis und halten das Leben gefangen, damit es nicht ausbricht und sich ungezügelt verbreitet. Nur ganz hinten, dort wo er niemanden stört, steht ein Barbar, ein knorriger Apfelbaum mit zerzausten braunen Blättern an den Ästen, und winkt trotzig mit den Zweigen. Seine Früchte liegen faul im Gras, zerfressen und saftend und düngen das Gras. Den lässt man stehen, weil er schon immer dort gestanden hat.

Da stapft der Gutsherr den Weg entlang, mit mürrischem Tritt und sorgenvoller Miene blinden Blicks an der Venus vorbei, weil sie nichts hermacht. Das Pilzragout vom Abend gärt glucksend in den Därmen und der Herr fragt sich, ob die Köchin wohl einen giftigen Pilz übersehen hat. Wohl gar mit Absicht? Ärgerlich tritt der Herr ein verirrtes Blättchen aus dem Weg und zieht den Mantel enger um den prallen Bauch. Er mag den Herbst nicht, der alles grau färbt und einem die Gäste aus dem Haus treibt, in die Stadt hinein. Er würde auch gehen wenn er könnte und noch darüber hinaus. Aber die Frau, ach die Frau, die lässt ihn nicht. Jetzt ist ihm noch kälter als zuvor, den Kragen also hochgeschlagen und schnell den Weg zum Haus genommen, den Hügel hinauf über den Rasen. Die perfekt geschnittenen Halme quietschen unter den Schuhen. Da liegen ja schon wieder Blätter, braun und spröde. Der Herr weiss genau, wem er das zu danken hat und wirft dem Apfelbäumchen einen bösen Blick zu. Fällen sollte er es lassen, so kahl und schäbig, wie es ihn angrinst, weil es weiss, dass er nicht darf – die Frau, die mag es, darum wird es bleiben. Der Herr schnauft und hält sich den Bauch. Er wird der Köchin mehr zahlen, das wird er tun, damit sie ihn am Ende nicht noch vergiftet.

Während er sich krümmt und stöhnt, bricht die Sonne durch die Wolken und schiebt ihr Licht an ihm vorbei, über das Grün hinweg, am künstlichen Wasserfall der Brunnenkaskade entlang, über die Kieswege zur Venus und dem elenden Apfelbäumchen, weiter bis zum fernen Wald – und die Welt jenseits des tristen Gartens erstrahlt. Wie Feuer brennen die bunten Kronen der Bäume, der Tau auf den Spinnenfäden glitzert und der Herr kneift die Augen zusammen, weil er meint, die Venus hebe den Arm zum Tanz. Vergessen ist der kriegerische Magen, die Kälte weicht ihm aus den Gliedern und der Dichter in ihm hebt sein Haupt und bettelt um ein Tintenfass und eine Feder. Aber der Herr ist kein Poet, der Herr beherrscht die Worte nicht und kann nicht bejubeln, was er sieht. So bleibt er stumm und schaut, wie das Leben sich noch einmal regt, sehsüchtig vom Sommer singt und dann schweigt, weil die Sonne ihm das Licht wieder nimmt und in die Wolken zurücksinkt. Noch einen Augenblick, einen langen, bleibt der Herr; dann hebt sich der Magen von neuem und er seufzt, dreht sich um und geht davon, zur Frau in die warme Stube.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram