Wüstenschmerz

Kurzprosa zum Thema Schuld

von  atala

Was nützen mir die Steine in den Taschen, wenn es hier kein Wasser gibt um zu ertrinken. Ich sollte die Brocken auf den Schultern tragen, wie die Schuld.

Wir stehen auf Grund, der aus Sand besteht. Hie und da steht unbeweglich eine Agave wie ein Zeuge. Der heisse Wüstenwind wirbelt nur den Staub auf, doch bringt nie Kühlung. Unsere Welt ist aus Schweiss und Tränen gemacht.

Um essbare Knospen zu finden, bin ich in der mexikanischen Dürre weit gelaufen, doch nie sah ich jemanden mit Augen wie die Rodriguez. Sein blauer Blick umfasste eine mir unbekannte Klarheit. Reflektiert in seinen Augen muss der unendliche Sand wie das Meer aussehen. Das Meer, das ich nie sah.

So klar seine Augen waren, so düster er selbst. Seine Stimme war rau, seine Hände schwarz vom Russ. Rodriguez war kein guter Mann. Er sprach nichts als Lügen und seine Küsse rochen nach scharfen Likör. Mit loser Zunge schwankte er durch den Staub, sein Finger zwischen Gürtel und Revolver. Er nahm gegen die Hitze einen Schluck Mezcal und fand alle Mädchen schön.

Und doch habe ich einst seinen Worten geglaubt und liess mich auf seinen Armen über die Schwelle tragen. In seine tiefen Worten und klaren Augen liess ich mich fallen und nahm alles mit einem Nicken und Lächeln an. Nun warte ich jede Nacht bis zum Morgengrauen, dass er polternd ins Zimmer tritt.

Eines Tages frühen Morgens ging ich zum Markt und kniete mich zu den Maiskolben, die ausgestellt auf den Tüchern lagen. Auf dem staubigen Boden spielte ein nacktes Kind. Als es mich ansah, blickte ich in seine Augen. Sie waren klar und so blau wie der Himmel. Ich ging durch das Dorf und mir begegnete Kinder mit Rodriguez Antlitz und Mütter, die die Augen senkten. Der Wind blies immer nur die Hitze ins Gesicht.

Das Herz ist wie der Wind, sagte meine Grossmutter immer. Es verschlägt es wohin man es nicht steuern kann. Doch sein Herz möchte ich lieber still stehen sehen als überall, als auf den Gesichtern fremder Kinder.

Rodriguez schläft wie ein Toter den ganzen Tag. Seine Hose mit dem Gürtel und der Pistole liegen neben ihm auf dem Holz. Ich löse das schwere Metall vom Gürtel und wiege es in der Hand. Sein schwarzer Revolver glänzt, nachdem ich ihn mit meiner Schürze vom Staub befreit habe. Ich entsichere ihn und küsse Rodriguez das letzte Mal.

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Kommentare zu diesem Text


 Vessel (30.08.15)
ich finde diese geschichte toll. wie ein düsterer western ist sie, und ich mag die anspielungen, die allegorien (agaven wie unbewegliche zeugen usw.). manche sätze würde ich umbauen, denke ich, sie wirken oft so ungeschickt, und dann denke ich wieder, dass gerade das der geschichte etwas leichtes gibt, etwas, das sie auch so braucht. und ich bemerke, dass die augen ein motiv sind, welches sich durch dein schreiben zieht, was wohl dahinter verborgen liegt?
ocean (25)
(11.05.16)
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