Opa Hermann erklärt Amos das Pokemon

Satire

von  Reliwette

„Jaaa ja ja ja – neeee nee nee nee“ (bekanntes Beuys-Zitat )

Opa Hermann stützte seinen Kopf in die Hände. Er hatte einen Becher Kaffee vor sich auf dem Küchentisch stehen. Amos, das Piratenschaf, hatte es sich unter dem Tisch bequem gemacht und schlürfte aus einer Tasse Kakao.
„Was hast du, Opa Hermann, du siehst so nachdenklich aus“, sagte es und schaute seinen väterlichen Freund von unten an.
„Das hält man doch im Kopf nicht aus!“, war die knappe Antwort. Dann schob der alte Herr nach einer Weile eine Erklärung nach: „ Die Welt wird immer verrückter, kein Mittelmaß mehr, nur noch Extreme – und das von allen Seiten!“
„Was genau meinst du, Opa Hermann?“, wollte Amos jetzt wissen. „Na zum Beispiel rennen jetzt so furchtbar viele Menschen, vor allem junge , mit einem so genannten Smartphone durch die Gegend. Sie starren auf das Gerät und achten nicht mehr auf  die Dinge um sie herum. Sie schauen quasi auf den Boden vor sich, so dass jetzt Stadtverwaltungen dazu übergegangen sind, Fußgängerampeln horizontal im Gehweg zu installieren,  also da leuchten Signale direkt aus dem Boden! Oder sie jagen „Pokemons“ mit ihren Geräten!“
„Poke – äh – was?“, fragte Amos.
„Das  ist eine Wortschöpfung aus zwei Begriffen. Pocket  ist mal wieder englisch und bedeutet „Tasche“ und „mon“ ist die Abkürzung von „Monster“. Das sind Taschenmonster oder wie beim „Kaffee to go“ sind das „Monster to go“, also für unterwegs.

„Wie geht das denn?“, bohrte das Piratenschaf hartnäckig nach, denn es war für seine Hartnäckigkeit bekannt. Im Grunde war es verbohrte Sturheit, was bei Schafen schon mal vorkommt, weswegen sie ja einen Leithammel brauchen, der ihnen sagt, wo es entlang geht.

„Also, die Sache ist die“, begann Opa Hermann seine Exploration in die Geheimnisse des GPS.
Das Piratenschaf sagte: „O-o!“ Wenn Opa Hermann eine Erklärung mit „die Sache ist die“ begann, dauerte es erfahrungsgemäß etwas länger.  „Nee, nee, ist schon wichtig! Irgendwelche Menschen programmieren mit dem geografischen Ortungssystem eine  Markierung – in diesem Fall ist es das Taschenmonster – auf einen beliebigen Punkt in unserem virtuellen Kartensystem.
„Häääh?“, fragte Amos verwirrt, „ich kenne nur Seekarten!“
„Ja, ja“, antwortete Opa Hermann, „aber Karten gibt es jetzt schon seit einiger Zeit virtuell, d.h. nicht aus Papier, sondern aus Lichtzeichen im Minicomputer. Neulich sah ich, wie ein junger Mann versuchte, auf dem Marktplatz ein Taschenmonster zu fangen. Er kletterte auf das Zeltdach eines Verkaufsstandes, weil ihm sein Smartphone dort den Aufenthalt des Gejagten anzeigte. Es hätte fast eine Schlägerei gegeben!“
„Haben denn die anderen Leute das Monster auch gesehen?“. Amos war vor Aufregung die Augenklappe verrutscht. „Nein, natürlich nicht, denn da war auch kein Monster. Es befand sich lediglich auf dem kleinen Bildschirm des Smartphones.“
„Dann jagen diese Leute Monster, die es gar nicht gibt?“ Amos tippte sich vorsichtig mit  der rechten Doppelzehe  vor seine Stirn, „Genauuuuuu“, antwortete Opa Hermann, aber das ist ja nur die Spitze des Eisbergs. Viel schlimmer ist, dass die jungen Menschen dieses Spiel alleine mit sich selber spielen. Im Grunde ist es das alte Gesellschaftsspiel „Fuchsjagd“. Hierbei läuft ein Spieler vor und die anderen müssen ihn aufspüren. Dazu legt der „Fuchs“ in Abständen Zeichen, z.B.  Richtungspfeile aus Zweigen oder Steinen auf den Weg. Irgendwann finden ihn die Sucher. Allerdings funktioniert dieses Spiel in einer Gruppe . Frag mal Jugendliche, wann sie das letzte Mal Fuchsjagd mit ihren Freunden gespielt haben oder wann sie das letzte Mal durch ein Labyrinth gelaufen sind.“

Das Piratenschaf wunderte sich schon lange nicht mehr, wenn sein väterlicher Freund so komische Sachen sagte, von wegen Eisberg. Das fiel bei Opa Hermann unter den Begriff„redensartlich“, was Amos nicht verstand. Für ihn war ein langgezogenes „Böööööh“ mehr als nur redensartlich, es war „artgerecht“!
Und demzufolge nahm das Piratenschaf  jetzt eine „artgerechte Haltung“ an.
Wie das aussehen mag, liebe Leser, zeichnet doch mal auf und schickt es  Opa Hermann zu.
Dazu ruft ihr Googlemap auf und sucht den Joseph-Beuys-Gedächtnisgarten in Ostrhauderfehn. Nehmt Euer Smartphone in die rechte Hand und gebt „Opa Hermann“ ein.
Es passiert dann etwas sehr Erstaunliches, nämlich nix! Das mal als kreative Alternative zur Pokemon-Jagd!

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Kommentare zu diesem Text

ZUCKERBROToderPEITSCHE (60)
(01.09.16)
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 Reliwette meinte dazu am 03.09.16:
oooooch - danke, danke -und vielen Dank für den privaten Hinweis auf blancs und doppel "R". Grüße!
H.T.R.

 Bergmann (02.09.16)
Wunderbarer Humor! Einer deiner allerschönsten Texte! Nee nee nee ... (In diesem Sommer war ich in meiner Verwandtschaft mit Pokemon konfrontiert, da fehlte mir aber dein Humor, leider.) ... ja ja ja.

 Reliwette antwortete darauf am 03.09.16:
Lieber Uli, die Welt und ihre (Rand)-Erscheinungen sind bisweilen seltsam. Danke für das Lob - ich werde es meinem Alterego weiterleiten!
Hartmut winkt
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