Der Bär, das Schwein und der Bär

Kurzgeschichte zum Thema Menschen

von  fritz

»Auf jeden Fall prägnant!«, sagte der Kritiker. »Aber etwas bereitet mir Bauchschmerzen. Es erinnert, bei aller Expertise, und vielleicht gerade ihretwegen, zu sehr an Pralinen. An feine Häppchen, ja Delikatessen für den kleinen Hunger in der Pause der Opernaufführung. Ich sehe schon – es wollte nichts sein als ein kleiner dreckiger Schriftzug auf einem schattigen Mauervorsprung bei Nacht. Aber jemand hat ihn abgezogen, in eine goldene Frischhaltefolie gepackt und in der Umkleide ein Opernfilet daraus gezaubert. Natürlich fallen alle darauf ein, aber ich doch nicht!« Und dann noch: »Nichts ist weniger Fragment als gewolltes Fragment.« Ich lauschte seinem Mantra und hatte damit zu tun, mir die Langeweile nicht anmerken zu lassen, die immerzu von innen heraus in einem Gähnen sich auszudrücken versuchte. Ich fragte, um mich wieder in Stimmung zu bringen: »Was haben Sie eigentlich gegen Oper?«  Der Kritiker sah mich verdutzt an und schien sich, bevor er antworten könnte, erst zurechtrücken zu müssen. Ein Häppchen in seinem Mund wäre jetzt gut gewesen, um seiner Verlegenheit ein Käsekleid zu geben. »Sie scheinen mich nicht verstanden zu haben.«, bröckelte es aus ihm heraus. »Dass ich gegen Oper nichts habe, es sei denn, die Aufführung ist schlecht, verrät schon mein Beruf.«

Nun, dachte ich, hatte ich ihn erwischt, ließ es mir aber noch nicht anmerken. Es schien mir zunächst angebracht, wieder über den Text, und zwar ganz konkret, zu sprechen. »Was schlagen Sie vor, am Text zu verändern?« Offensichtlich atmete er innerlich auf, nun wieder auf sicherem Terrain zu sein. »Bitte verstehen Sie das nicht falsch, aber es beginnt schon im Titel. ›Der Bär, das Schwein und der Bär‹ – das wirkt doch arg konstruiert, was soll ich mir als Leser darunter vorstellen?« Ich nahm mich zusammen und versuchte, ruhig zu bleiben. »Nun, ich gebe zu, der Titel ist ein bisschen merkwürdig, aber in Hinblick auf den Text selbst ist er doch so, und ich denke sogar nur so, angebracht. Die ganze Struktur des Textes wird so im Titel bereits vorweggenommen, ebenso wie die Grundthematik, also das Changieren zwischen Identität und Differenz.« »Ach sehen Sie, das ist die Grundthematik? – Ich hätte Sie das als nächstes gefragt. Für mich kam das nicht durch. Für mich kam, offen gesprochen, überhaupt nichts durch. Das einzige, was für mich deutlich war in diesem Text, ist die räumliche Anordnung der drei Protagonisten, die sich nicht verändert, obwohl sie miteinander sprechen. Was zugegebenermaßen ein origineller Einfall ist.« Ich hatte Mühe, mich nicht zynisch zu bedanken. »Sonst ist Ihnen nichts begegnet im Text?« Ich wunderte mich über diese sperrige Formulierung, die meinen leicht zittrigen Lippen entglitt.

Bevor er antworten konnte, wurden wir gestört. Eine grimmig dreinschauende Frau erweiterte unsere Dyade, ohne darüber selbst besonders glücklich zu sein. »Darling, ich kann Julien nicht finden.« Der Kritiker sah sie flüchtig an. »Darf ich vorstellen, meine Frau Helen.« »Sehr erfreut«, fiel sie mir ins Wort, während sie mir ihren dünnen Arm zum Gruß reichte. Ich gab ihr einen leichten Händedruck und freute mich insgeheim darüber, der üblichen Manier nicht gefolgt zu sein, auch wenn es schlicht aus Überforderung so geschah. Ihr war das offensichtlich egal, so wie sie auch mir relativ gleichgültig war. »Darling, möchtest Du mir diesen jungen Mann nicht vorstellen?« »Ach, verzeihen Sie – das ist Marvin Seuer, ein aufstrebender Autor mit Hang zum Abstrakten. Wir besprechen gerade einen seiner Texte.« Helen schien gelangweilt, überspielte das aber gekonnt, indem sie mit einer leichten Seitwärtsdrehung zu gehen ankündigte. »Oh, dann will ich nicht stören. Oder ist es nicht zufällig jener Text, über den wir im Taxi sprachen?« Sie sah ihren wenig begeisterten Mann aufdringlich an. »Ja, der ist es.« Helen lachte spöttisch auf, ohne dass es ihr unangenehm zu sein schien. »Nun, Herr Seuer, da ist Ihnen ja eine ganz vorzügliche Gedankenakrobatik gelungen. Nur habe ich keinen blassen Schimmer, wovon der Text eigentlich handelt.« Ich wollte antworten, da platzte dem Kritiker, mit kritischem Seitenblick auf seine Frau, direkt eine Entschuldigung heraus. »Sie müssen verzeihen, meine Frau ist geneigt, sehr direkt Ihre Meinung kund zu tun.« »Oh, das soll mir ganz recht sein.« Nun hatte ich mich vergessen …

»Denn wissen Sie, es trifft mich nicht einmal an der Schale, wenn ein Mensch meine Texte nicht versteht. Es verrät mir immer genauso viel über ihn wie die Texte. Verstehen Sie mich dabei ruhig falsch, oder wie immer Sie wollen. Der Text handelt von einem Bären, einem Schwein und einem Bären. Es werden drei Kuscheltiere beschrieben, die in unveränderter Form auf einem Bett platziert sind, weil der Mann, der an einer Stelle flüchtig erwähnt wird, lange schon allein lebt und die eine Betthälfte komplett unberührt bleibt, vom Wechseln des Lakens abgesehen. Sollte Ihnen das alles beim Lesen entgangen sein? – Doch weiter. Die Bären liegen mit dem Gesicht nach unten, das Schwein liegt auf der Seite, sodass es den größeren der Bären sehen kann und mit dem Rücken zum kleineren liegt. Weil das Schwein immerhin etwas sieht, beginnt es zu sprechen. »Hey Du Ding da!« Es bekommt keine Antwort. Also noch einmal: »Hey Du da!« Immer noch keine Antwort. Da plötzlich hört das Schwein ein leises Grummeln, das von hinten kommt. »Was hast Du gesagt?«, fragt es. Da wieder ertönt das Grummeln. »Ich verstehe Dich nicht, kannst Du etwas deutlicher sprechen?« »Es ist dunkel hier, machst Du Licht?« Das Schwein überlegt. »Wie macht man Licht?« »Das weiß ich nicht.« »Ich kann kein Licht machen, tut mir Leid.« »Schade.« Das Schwein überlegt. »Aber merkwürdig ist das schon, dass es bei Dir dunkel ist, bei mir aber nicht.« »Wie? Bei Dir ist es hell? Oh, wie ich Dich beneide!« »Ja, frag mich nicht warum, aber hier ist es hell.« »Erzähl mir, was siehst Du?« »Ach, so spannend ist das nicht. Ich sehe etwas, das ich nicht weiter bestimmen kann. Dann noch eine Bettdecke, einen Schaukelstuhl, zwei Pflanzen auf dem Fensterbrett und das Fenster selbst. Da die Rollos unten sind, kann ich leider nicht sehen, was draußen ist.« »Aber immerhin, Du siehst!« »Ja, immerhin das.« »Bei mir ist alles dunkel.«

»Hey, aber Du hörst doch meine Stimme, hörst Du auch, woher sie kommt?« »Na sicher, von dort, also links ist das glaub ich.« Mit diesen Worten dreht sich der Bär in die Richtung, aus der die Stimme des Schweins kommt und plötzlich wird es hell, ja grell sogar, sodass er sich zunächst die Pfoten vor die Augen halten muss. »Hilfe ist das hell!« »Siehst Du etwa?« »Ja, ich habe mich umgedreht und plötzlich kann ich sehen. Und dieses rosa Ding da, das bist Du, oder?« »Ja, das bin ich, ich heiße Schwein. Steig mal über mich drüber, dann können wir uns ansehen. Der Bär lief wackligen Schrittes in Richtung auf das Schwein zu, stieg vorsichtig drüber und die beiden konnten sich sehen. »Hallo, wie heißt Du?«, fragte das Schwein glücklich. »Ich bin Bär, hallo Schwein.« »Hast Du Dich inzwischen etwas besser an das Sehen gewöhnt?« »Ja, es wird. Sag mal, was liegt denn da?«, fragte der Bär und zeigte auf den anderen Bären. »Das weiß ich nicht, ich habe es angesprochen, und dann hattest Du geantwortet und zuerst dachte ich, er wäre das, aber dann hörte ich, dass die Stimme ja von drüben kam.« »Es bewegt sich nicht.« »Vielleicht muss man es antipsen. Probier’s mal.« »Gut.« Der Bär ging zu dem Bären und tipste ihn an. »Hallo Du da, hörst Du mich?« »Da grummelte es leise.« »Er hat gegrummelt«, sagte der Bär zu dem Schwein.« »Versuch es weiter, vielleicht kann er ja sprechen und dann kann er vielleicht auch sehen.« »Hallo Du da, sag mal was!« »Es ist dunkel.« Da drehte der Bär den Bären vorsichtig auf die Seite und die beiden sahen sich an. »Hey, Du bist ja auch ein Bär!« »So sieht es aus«, sagte der Bär und hielt sich die Pfoten vor die Augen.« »Du wirst Dich schnell daran gewöhnen.«

So lachten die beiden lange miteinander, wobei sich ihre Gesichter zu Grimassen verzogen, die immer hässlicher wurden. Und obwohl das Schwein verzweifelt versuchte, auf sich aufmerksam zu machen, wurde es weder gehört noch gesehen. Alle seine Versuche, sich zu drehen und aufzustehen, scheiterten. Es blieb auf seiner Seite liegen, als die Zwei, Arm in Arm, verschwanden und wartete, bis er nach Hause kommen würde, um die Rollos hochzuziehen und ihm eine neue Aussicht zu geben. Die Umrisse der Bären, die nun immer weniger voneinander zu unterscheiden waren, wurden zunehmend blasser, bis sie schließlich ganz mit dem schattigen Samtrot des Teppichs verschmolzen – und überhaupt nichts mehr zu unterscheiden war. Das arme Schwein aber blieb, mit einem zerknüllten Zettel in der Hand, zurück.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (05.12.20)
Gefällt mir nicht. Die Protagonisten werden lächerlich gemacht und der Ich-Erzähler ist der große Auskenner und Allesversteher, der sich über die anderen moralisch erhebt und diese abfällig beschreibt.
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