Ambulante Therapie – oder kleines bitteres Sammelsurium für Sarkasmuswillige

Tagebuch zum Thema Frust

von  tulpenrot

Wir Therapiebedürftigen liegen auf Kippliegen, haben unsere Ruhezeit nach den anstrengenden Behandlungen, die Augen geschlossen. Die Botschaft, die wir verbreiten, ist doch für alle deutlich zu sehen: Bitte Ruhe! Aber das hindert die Turnstundenfrauen nicht daran unmäßig laut zu sein, ungezogen wie sie sind, diese geschwätzigen Frauen mit ihren kehligen, hellen, schrillen Stimmen. Sie trainieren sicher schon seit Jahren wöchentlich hier, kleiden sich nach der Turnstunde in unserem Ruhebereich um. Es gibt wohl keine andere Möglichkeit. Zu wenig Platz im Rehacenter? Die Räumlichkeiten sind jedenfalls seltsam aufgeteilt. Warum müssen sie so laut palavern? Im Ruhebereich! Eifrig haben sie es, alles ist wichtig für sie, so scheint es. Irgendetwas wird laut und in breitem Alemannisch verhandelt, bis sie nach und nach draußen verschwinden. In diesem Fall bin ich wirklich sehr froh, dass ich schlechte Ohren habe.

 

Auf einmal ist es still, und ich höre sogar den Springbrunnen, der mit seinem Plätschern für Entspannung sorgen soll. Ein glücklich scheinendes, steinernes Mädchen sitzt nackt auf einer Steinkugel, stützt sich mit einer Hand ab und hat den anderen Arm angewinkelt. Ihre Hand ist geöffnet, wohl um anzudeuten, dass der Beobachter sich ebenfalls öffnen soll. Zwischen ihren Unterschenkeln strömt das Brunnen-Wasser in die Brunnen-Schale. Naja… Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.

 

Wir ruhen zu Dritt hier auf den Liegen mit den orangefarbenen Therapie-Wolldecken. Ich habe mir Strickzeug mitgenommen - Socken sollen es werden, für einen Schriftstellerkollegen - und für die Mittagspause Brot mit Teewurst und Mineralwasser. Selbstversorger aus der eigenen Küche. Das gilt aber nur für Privatversicherte, die Kassenpatienten werden mit einer Mittagsmahlzeit aus der Cafeteria bedient. Die Krankenkasse trägt die Kosten. Sie werden auch jeden Tag von ihrem Wohnort hierher gefahren, ich habe einen privaten Chauffeur. Natürlich von mir privat, nicht von der Krankenkasse  bezahlt. Ausgleichende Gerechtigkeit – vielleicht, warum nicht? Ich würde gerne süßen Milch-Kaffee trinken, meine Müdigkeit besiegen oder noch lieber: schlafen. Aber man kommt hier nicht zur Ruhe. Gleich beginnen auch meine Therapie-Behandlungen. Die Zeiten sind eng getaktet. Und der Weg zum Kaffeeautomaten ist weit für eine gehbehinderte Person.

 

Und dann wieder: ein neuer Pulk turnstundenwütiger Leute ist unüberhörbar unterwegs. Sie trampeln geräuschvoll über die schräge Holzrampe heran. In Mantel und Mütze sehen die Menschen halbwegs vernünftig aus, später dann in T-Shirts, Jogginghosen oder Bermudas sehen alle irgendwie bescheuert aus, kein bisschen attraktiv. Ich werde mir demnächst einen neuen Trainingsanzug kaufen. Größe 50. Damit ich mithalten kann.

 

 

22.02.2010



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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (08.01.22, 14:16)
Mit dem, was Du da beschreibst, willlst Du doch wohl nicht mithalten? LG

 tulpenrot meinte dazu am 08.01.22 um 18:40:

... in T-Shirts, Jogginghosen oder Bermudas sehen alle irgendwie bescheuert aus, kein bisschen attraktiv ...
Damit will ich mithalten! Hihi.

Wollte ich, habs aber nicht gemacht. Ist ja alles schon 12 Jahre her.
Ob die Socken noch existieren, die ich aus purer Verzweiflung gestrickt hab?
Ich musste ja viel liegen damals. Ich hatte "Rücken".
Es war eine interessante Zeit, so in der Rückschau.
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