Der Autor bekommt Post

Tagebuch

von  HeBu


1

Der Umschlag fällt dem Autor sofort ins Auge. Sein Mund wird trocken, er schließt die Lider. Mit entschlossenen Bewegung leert er den Inhalt des Briefkastens. In der Küche sortiert er langsam jedes Schreiben. Betrachtet ausführlich jede Werbesendung, bevor er sie zur Seite legt. Die Rechnungen prüft er genau auf ihre Richtigkeit, legt sie auf einen Stapel. Übrig bleibt der Umschlag. Die Werbung wirft er in den Müll. Die Rechnungen heftet er ab. Der Umschlag liegt auf dem Küchentisch verwaist. Der Autor macht sich einen Kaffee und geht zum Schreibtisch. Gerade hatte er eine Idee, die er notieren wollte, bevor sie vergessen war. Sie entzog sich ihm so schnell, wie es für viele Einfälle typisch ist. Kaum versucht er sie auf Papier zu bannen, verblassen sie. Der Postbote, dessen Klingeln ihn aus seiner Arbeit gerissen hatte - er soll in einem Hagelsturm vergehen.

Der Autor trinkt seinen Kaffee; er weiß, dass ihm nichts einfallen wird. Er schreibt: „Mir fällt nichts ein, mir fällt nichts ein, mir fällt nichts ein.“ Es hilft nicht. Er geht zur Toilette, setzt sich, wartet, steht von dem geschlossenen Deckel auf, wäscht sich die Hände.

Bereit für den Umschlag. Der Autor ahnt, was der Umschlag enthält. Unschlüssig nimmt er das Kuvert von seinem Platz.

Es öffnen, nein er wird warten. Seine Frau müsste in Kürze kommen.


2


Des Autors Frau lacht, als sie den Absender auf dem Brief erkennt. Mit dem Schälmesser öffnet sie ihn. Der Autor steht lauernd im Türrahmen.

„Fritz Lang von der ’Morgenpost’ lobt das Buch.“

Der Autor stürzt herbei, reißt das hingehaltene Blatt an sich. Liest es - zweimal.

„Ja, ja genauso wollte ich es verstanden haben“, er liest weiter, „eine interessante Deutung“, man hört seiner Stimme Erleichterung an. „Mich mit einem Kollegen solchen Formats zu vergleichen – nein, an den reiche ich nicht heran.“

Zur zweiten Kopie will seine Frau etwas sagen, doch in seiner Freude und Euphorie beachtet er das nicht. Er entzieht sie ihr.

„Was!“ Er beginnt in der Küche auf und ab zu laufen. „Diese Trulla!“ Er liest laut vor: „Das Thema ist wenig originell, das gewählte Ambiente altbacken, wo, fragt man sich, war der Autor in den letzten Jahren, dass er die Zeit verschlafen hat. Das Buch ist so wenig appetitanregend, wie die Käseigel, die auf den geschilderten Partys gereicht werden.“ Der verkannte Autor wütet weiter: „Diese Zimtzicke, wenn sie das Buch nicht verstanden hat, zwingt sie wohl ihre diabolische Selbstverliebtheit dazu es zu besprechen.“

„Eine gute Rezension - ein Leser, eine schlechte Rezension - zwei Leser“, bemerkt seine Frau sachlich.

Der Autor wirft ihr einen gequälten Blick zu.

Sie lächelt still. Sie weiß, noch ist der Autor wie mit einer Nabelschnur mit den Figuren und Inhalten seiner Geschichte verbunden. Noch fehlt ihm die Distanz, in einem halben Jahr wird er keine Rezensionen zu diesem Titel mehr lesen und über die, welche ihn jetzt in Raserei versetzen, schreiben.



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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (08.06.22, 23:38)
Ein Buch ist wie ein eigenes Kind - darauf läßt man nichts kommen.
Zum Glück vermindern sich Freude wie Ärger nach einiger Zeit. Rezensionen allerdings ebenfalls.

 HeBu meinte dazu am 08.06.22 um 23:53:
Beides ist wahr.
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