Klein Zaches genannt Zinnober - offensichtlich nicht offensichtlich

Interpretation zum Thema Literatur

von  Holzpferd

E.T.A. Hoffmann: Klein Zaches genannt Zinnober. Rowohlt, Reinbeck bei Hamburg 1994

Klein Zaches genannt Zinnober setzt als ungeliebtes Kind bei Fräulein  von Rosenschön ein gutmenschliches Entwicklungsprogramm in Gang. Durch einen Pfarrer wird er seiner Mutter entzogen und zur Universitätsreife geführt. Zaches katapultiert sich, nun genannt Zinnober, wie ohne Zutun ins höchste Staatsamt. Es ist ein Staat, darin „von Stund an die Aufklärung eingeführt sei, und ein jeder sich darnach zu achten habe.“ (21) Ein Staat, in dem man weiß, bevor man könne „die Kuhpocken einimpfen lassen, ist es nötig, alle Leute von gefährlichen Gesinnungen, die keiner Vernunft Gehör geben und das Volk durch lauter Albernheiten verführen, aus dem Staate zu verbannen.“ (23) Nach seiner Entzauberung endet Zinnober als Minister in einem silbernen Nachtgeschirr, das ihm der Fürst hinstellte.

Offensichtlich handelt es sich bei Klein Zaches genannt Zinnober um ein Märchen von E.T.A. Hoffmann. Da legt der Text Wert drauf. Beim Schabernack in dieser fabelhaften Welt lässt E.T.A. Hoffmann den geneigten Leser nichts Arges denken, sondern macht den Schabernack an der unglücklichen Figur des Klein Zaches genannt Zinnober fest.

Wer oder was, um Himmels Willen, ist Zinnober??

Zunächst ist Zinnober die Verbindung von Quecksilber und Schwefel ein zornrot-zwielichtiges Zufallsprodukt. In alchimistischer Tradition steht Zinnober im Volksmund für einen großen, meistens unnötigen Aufwand. Und auch hier wollen wir nichts Arges denken, um uns die Frage zu stellen, wer denn Klein Zaches genannt Zinnober sei. Gibt es bei der hässlichen Kunstfigur eine seelische Entsprechung, an die wir anschließen können?

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Klein Zaches genannt Zinnober, „was man auf den ersten Blick sehr gut für ein seltsam verknorpeltes Stückchen Holz hätte ansehen können“ (7). Der Verständige für Ungeheuerliches, ein Warner vor der Aufklärungs-Polizei (120), Prosper Alpanus, vermutet in Zinnober ein Wurzelmännchen (93). Ein Wurzelmännchen, wie ich selbst eins als Zimmerschmuck mein eigen nennen darf.


Mitgehend mit Hoffmanns Märchen kommt mir Klein Zaches genannt Zinnober von Beginn an bekannt vor. Auch ich hatte eine frühzeitig gestörte Beziehung mit meiner Mutter. Anfangs wohl geliebt, war es über Jahre meiner Entwicklung so, dass ich ihr ein „kleines Untierchen“ gewesen sein dürfte, „das sich wie eine böse unheimliche Last“ (8) an sie hängte. Um sie vom Arbeiten abzuhalten. So mein Rückblick. Wunderlich und nicht immer mit rechten Dingen ging es bei mir fernerhin zu, wie ich zur Universität und darüber hinaus kam. Als Schelm, der sich Arges denkt.

Nun bin ich alt und will gemäßigt sein. Es gelingt mir nicht recht. Wenn ich Klein Zaches genannt Zinnober lese, kommt mir z.B. so einer wie Christian Drosten in den Sinn. Weiß noch jemand, wer Drosten war?? Bei dem wurde so getan, als sei er unser Erlöser aus der Not mit dem Virus, das der chinesischen Fledermaus in die Schuhe geschoben wird. Nichts ist bewiesen, nichts ist geklärt, Drosten tut auch einen Teufel, in den Regierungsrat für Aufklärung beim Notstand einzutreten, - hat aber schon demonstrativ den Orden vom Staatsoberhaupt angeheftet bekommen: „„Nein! – solch ein Mann – solch ein Talent! – solcher Eifer – solche Liebe – es ist zu viel – zu viel“ […] „Ich muß“, sprach der Fürst, „ich muss Sie, mein lieber Zinnober, gleich Ihrem hohen Verdienst gemäß auszeichnen; empfangen Sie daher aus meinen Händen den Orden des grüngefleckten Tigers!“ (109).

Dabei ginge es beim Rat zur Evaluierung der Corona-Maßnahmen um nix, als den rechten Sitz der vom Staatsoberhaupt vergebenen Orden im Nachhinein festzustellen. Um den Sitz des Ordens zu verbessern, heißt es im Märchen, war ein Ordensrat einberufen worden. Wo die Ordensräte, „Philosophen und Naturforscher ihre Sitzung halten sollten, […] durfte auch nicht getrommelt, Musik gemacht, ja nicht einmal laut gesprochen werden in der Nähe des Palastes. […] Der Fürst, ganz ungeduldig, schickte einmal über das andere hin und ließ ihnen sagen, es solle in Teufels Namen ihnen doch endlich etwas Gescheutes einfallen. Das half aber ganz und gar nichts.“ (111) Und wie bei Zinnober der Rat beschloss, „an Brust und Rücken sollten nämlich eine gewisse Anzahl Knöpfe angebracht, und das Ordensband daran geknöpft werden“ (112), zwei, drei oder zwanzig.  - … -  So und nicht anders wird man auch heuer beim Rat aus Philosophen und Naturkundigen vorschlagen, uns rund um die Uhr aufzuklären und mit zwei, drei oder zwanzig Nadelstichen solidarisch Teile von laborbekannten Fledermausviren oder Affenpocken einimpfen zu lassen.

Christian Drosten als Spezialmännlein (103) gesetzt, fallen mir etliche Personen und Wunderlichkeiten in der deutschen Geschichte ein, wo Leute fatalerweise gehypt werden, um krachend zu scheitern. Denkend an das klammheimliche Förderprogramm für Klein Zaches genannt Zinnober, drängt sich mir das Programm Young Global Leader vom World Economic Forum auf, das uns die Creme der Gesellschaft serviert. Wie ein Elefant im Raum. Klein Zaches genannt Zinnober macht das Spukhafte von Förderprogrammen so offensichtlich, dass nur ein Schelm unnötigerweise Arges dabei denkt, oder, Gottseibeiuns, an Verschwörung glaubt.

Beenden wir unser Einsetzungsverfahren, wer Klein Zaches genannt Zinnober in unserer deutschen Volksseele wohl sei, dahingehend: E.T.A. Hoffmann überzeichnet den kleinen Wicht schon äußerlich dermaßen, dass man erinnert sein kann an alle üblen Überzeichnungen, die man sein Lebetag mitbekommen musste. „Der Kopf stak dem Dinge tief zwischen den Schultern, die Stelle des Rückens vertrat ein kürbisähnlicher Auswuchs, und gleich unter der Brust hingen die haselgertdünnen Beinchen herab, daß der Junge aussah wie ein gespaltener Rettich.“ pp (7).

Aufgeklärter Weise wissen wir, das Überzeichnen ist politisch unkorrekt. Wenn es von den staatlichen Vorgaben abweicht. Immer diese boshaften körperlichen Überzeichnungen. In der Welt von ministeriell begnadetem Zinnober heißt es noch Spinnenbeinchen (6). Das würde heute kein aufgeklärter Mensch mehr sagen. Und man weiß von Klein Zaches genannt Zinnober, dass es bei derlei äußerlicher Zuschreibung nicht bleibt, sondern man sich weiter im Text sein Teil denkt. Spuk statthat. Und sich mithin fürchterliche Abgründe auftun. Ob man will oder nicht. Offensichtlich nicht offensichtlich. Wie von Geisterhand geschaffen staatstragender Spuk. Vernebelung, Spinnweb. Die Überzeichnung Klein Zaches genannt Zinnober ist uns ein Märchen. Je aufgeklärt desto mysteriös. Eine Offenbarung, die einübt hinzusehen, und uns um so beklommener zurücklässt.

 




Anmerkung von Holzpferd:

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Kommentare zu diesem Text


 Fridolin (25.06.22, 03:35)
... kann man nur sagen: Lest unsere Klassiker!
Herzlichen Dank für diesen Hinweis.

 AchterZwerg (25.06.22, 06:13)
Ungeachtet der vertretenen Meinung ist dir eine interessante und schlüssige Interpretation gelungen, deren Bebilderung überzeugt.

Mützchenschwenkende Grüße
der8.

 Holzpferd meinte dazu am 25.06.22 um 10:39:
Kann ich was gegen meine etwaige und unmaßgebliche Meinung machen??, frage ich mich, danke AchterZwerg.
Mützeschwenken, Du hast es gut.
Ich z.B. ziehe mir am liebsten solche bunten Decken drüber, wie früher die Ritter damit in Tournier stürmten, und mit sowas sah ich immer toll aus. Heute zu alt. Zu heiß. Zu schwül.
wiehernd
das Holzpferd

 AchterZwerg antwortete darauf am 25.06.22 um 19:47:
Ruhig, Brauner, ruhig ... ;)
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