Die Rocker und der fliegende Tisch

Kurzgeschichte zum Thema Aggression

von  Koreapeitsche

Ich kam Freitag aus Berlin zurück, ging noch ins Subway, um mir einen zu brennen. Ich war ziemlich voll, als ich mit dem Bus nach Hause fuhr und mich ausgepowert ins Bett legte. Wie gewohnt kam ich am Samstag erst gegen Mittag aus dem Bett. Im Halbschlaf lag ich in den Federn. Es war August, das Fenster zur Terrasse stand offen. Plötzlich hörte ich meinen Großvater auf der Terrasse rufen. Jutta, der Andreas ist tot. Meine Mutter kam an die Terrassentür. Sie haben Andreas tot im Fördehochhaus gefunden. Er hat eine Überdosis Heroin genommen. Als ich das hörte, lag ich wie paralysiert im Bett. Es war, als wären alle Lebensgeister aus meinem Körper gewichen. Ich drückte meinen Kopf ins Kissen und verließ das Bett nicht. Ich kauerte mich zusammen und zitterte am ganzen Körper. Mir war nicht bekannt, dass mein Cousin Heroin nahm. Erst gegen Abend schaffte ich es das Bett zu verlassen.

Die folgenden Tage verbrachte ich in tiefer Trauer. Am nächsten Freitag fuhr ich in die Stadt, wieder in die Bergstraße, wieder ins Subway. Die Depri-Musik war genau das Richtige für meinen Zustand. Schließlich machte ich die Nacht durch und fuhr nach Sendeschluss im Subway ins Nachtcafé in der Eggerstedtstraße. Als ich den Laden betrat, saßen links an der Wand drei Rocker an einem Tisch, die ich aus Friedrichsort gut kannte, mit denen ich befreundet war. Ich war immer noch aufgelöst vom Tod meines Cousins, ging in Richtung der drei, die an dem großen runden Tisch mit dem Rücken zur Wand saßen und in den weiten Raum des Nachtcafés hineinschauten. Das Café war gut besucht, mit Nachtschwärmern, Taxifahrern, die eine Pause einlegten, Pärchen, die zu zweit an Tischen saßen und vermutlich Zivilpolizisten, wie es in diesen Läden um die Uhrzeit meiner Einschätzung nach üblich ist. Ich ging zu den drei Rockern und versuchte mich mit ihnen zu unterhalten. Mir war klar, dass sie bereits wussten, dass mein Cousin vor einer Woche in dem Hotelzimmer im Fördehochhaus gestorben war. Denn das spricht sich in unserem Stadtteil in Windeseile herum. Ich erkannte es auch an ihren betroffenen Blicken, an den traurigen Augen, denn sie kannten Andreas schließlich auch. Ich versuchte mich zu sammeln, geriet ins Stottern und hielt mir den Rücken des rechten Zeigefingers schräg unter das linke Nasenloch. Da sprang einer der Rocker auf, ein Hüne mit halblangen, blonden Haaren. Was hältst du dir den Finger so unter die Nase? Er baute in Sekundenschnelle unfassbare Aggressionen auf, griff mit der rechten Hand die Tischkante und warf den Tisch weg, als wäre er aus Watte. Der Tisch flog meterweit durch die Luft und landete mit einem Scheppern vor der Wand, an der sich auch der Tresen befand. Es war ihm egal, dass auf dem Tisch Gläser standen. Er sah mich an, und es war ihm egal, wo der Tisch hinflog. Ich hätte niemals gedacht, dass ein Mensch solche Kräfte entwickeln und einen Tisch so durch die Luft wirbeln kann. Das wirkte, als hätte der Mann übermenschliche Kräfte. Er redete aufgebracht auf mich ein, lief auf mich zu und packte mich am Oberkörper. Er riss mich in Richtung der großen Fensterscheibe links neben dem Ausgang. ER legte so mit mir rund sechs oder sieben Meter zurück. Mir war nicht klar, was jetzt passieren würde und was das Ganze sollte. Alle Besucher des Nachtcafés schauten mit weit aufgerissenen Augen. Die drei Personen hinter dem Tresen, Rike, Jeanny und Lutz arbeiteten zwar weiter, kümmerten sich um den Ausschank oder trockneten Gläser ab, doch sie starrten währenddessen immer wieder gebannt auf das, was sich auf der Straßenseite des Cafés abspielte. Der Rocker setzte sich auf einen der Stühle mit dem Rücken zur Fensterscheibe, riss mich währenddessen runter auf die meine Knie, nahm meinen Kopf, zog ihn runter zwischen seine Knie und Oberschenkel und presste seine Beine mit voller Kraft zusammen. Ich kniete vor ihm und konnte mich nicht mehr aus dieser Position befreien. Mein Kopf saß fest wie in einem Schraubstock. Ich rief, was soll das? Dachte, ich bekäme jeden Augenblick einen Schlag in den Nacken. Ich erkannte, dass ich in einer aussichtslosen Situation war. Doch es passierte weiter nichts. Erst jetzt bemerkte ich, wie angespannt ich war. Der Tod meines Cousins überstieg meinen Verstand. In dieser Position atmete ich aus, und es fiel eine Zentnerlast von meiner Seele. Ich dachte nur „Warum?“. Es wirkte, als wollte der Rocker mich eine Weile in dieser Position festsetzen, bis die Anspannung aus meinem Körper gewichen war. Ich atmete wieder regelmäßig und rhythmisch, aber immer noch stark angespannt, wie nach einem Sprint mit Zieldurchlauf. Alles in mir fing an sich zu normalisieren. Nach mindestens einer Minuten in dieser Position oder vielleicht noch sehr länger ließ er locker, hielt mich aber noch fest. Er zog einen weiteren Stuhl heran und sagte, ich solle mich daraufsetzen. Das tat ich. Währenddessen rief er eine Kellnerin und bestellte zwei Tassen Kaffee, die sofort gebracht wurden. Zwischen uns stand ein ganz kleiner Tisch, auf dem die Kellnerin das silberne Tablett mit den zwei Tassen Kaffee abstellte. Wir saßen mit dem Rücken zur großen Fensterscheibe und tranken den Kaffee. Die Leute schauten immer noch fassungslos zu uns herüber, als trauten sie ihren Augen nicht. Es kann sein, dass wir zwei uns unterhielten. Falls ja, weiß ich nicht mehr worüber. Nach dem Kaffee stand er auf, ging zu den anderen zwei Rockern, und sie verließen das Nachtcafé. Ich hatte plötzlich den Tod meines Cousins und den großen Schmerz darüber verwunden. Ich bin mir sicher, dass sie die Rechnung nicht bezahlten. Ich trank noch ein Bier, ohne mich viel zu unterhalten und fuhr nach Hause. Das Bier hatte ich gleich am Tresen bezahlt. Ich konnte in der Nacht gut schlafen. Der Kaffee blieb unbezahlt.

      Den Ober-Rocker aus dem Nachtcafé kannte ich seit seiner frühen Kindheit aus unserem Stadtteil. Ich kondolierte ihm damals, als sein Vater gestorben war. Vor allem kannte ich ihn aus dem städtischen Bus, wenn er abends vom Wing Tsun-Training nach Hause fuhr und ich auf dem Rückweg von meiner Zivildienststelle war. Wir unterhielten uns jedes Mal und verstanden uns ganz gut, lachten auch zusammen. Ich erzählte ihm von den zwei Rollstuhlfahrern, die ich betreute. Er hörte sich das ganz betroffen an. Einiges nahmen wir mit Humor. Mit seinem älteren Bruder spielte ich früher sogar im Jugendbereich Fußball. Mir wurde später erzählt, dass der Rocker Wing Tsun-Meister wurde, jedoch danach nur noch privat boxte. Da war er schon Präsident eines großen Motorradclubs.

Später fragte ich mich, was das mit dem eingeklemmten Kopf für eine Bewandtnis hatte. Wollte er mich tatsächlich zur Ruhe bringen? Wollte er sich einfach nur abreagieren? War es einfach nur ein überhitzter Angriff?

Ich war lange Zeit überzeugt, dass es ein typisches Rockerritual war, auf das ich mir etwas einbilden konnte. Doch später, als ich an der Uni Karate trainierte, fragte ich eine Gefängnis-Psychiaterin, die Mitglied in diesem Karate-Verein in Berlin war und den Schwarzen Gürtel besitzt. Sie äußerte sich nicht direkt zu dem Akt des Kopfeinklemmens, sagte aber ganz klar, dass es sich dabei um eine Demütigung handelte. Selbst heutzutage muss ich hin und wieder an den Vorfall im Nachtcafé denken.

Da der Rocker später sogar in der Rotlichtszene aktiv war, vermutete ich, das Kopfeinklemmen sei eine Methode, um Leute, vielleicht sogar Frauen und speziell Prostituierte, zu brechen und gefügig zu machen. Ich kann es nicht beurteilen.

Mit einem anderen der drei Rocker von dem Vorfall im Nachtcafé war ich zu Jugendtreffzeiten näher befreundet. Mit ihm sprach ich nach der Schulzeit ebenfalls über meinen Zivildienst. Ich erwähnte, dass einer der von mir betreuten Rollstuhlfahrer als Folge eines Motorradunfalls unter Alkoholeinfluss an den Rollstuhl gefesselt war. Als direkte Reaktion sagte der junge Rocker: Dann lieber gleich tot. Wie das Schicksal es wollte hatte dieser Jugendfreund später tatsächlich selbst einen schweren Motorradunfall – und war sofort tot.



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Kommentare zu diesem Text


 uwesch (01.10.22, 14:03)
Der Text ist an vielen Stellen zu "ichlastig"
Da kannst Du einige ersetzen! Z.B.
"Ich kam Freitag aus Berlin zurück, ging noch ins Subway, um mir einen zu brennen. Ich war ziemlich voll, als ich mit dem Bus nach Hause fuhr und mich ausgepowert ins Bett legte."

Am Freitag aus Berlin zurück ging ich noch ins Subway, um mir einen zu brennen. Ziemlich voll fuhr ich mit dem Bus nachhause und fiel ausgepowert ins Bett.
In dem Sinne!
LG Uwe

 Koreapeitsche meinte dazu am 01.10.22 um 18:11:
Danke Uwe, das hilft mir weiter.
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