Hermanna Lünter

War mal wieder in den alten Kirchenbüchern unterwegs

auf der Suche nach denen, die im Dunkel des Vergangenen

schon fast nicht mehr existierten und doch alles für mich waren,

denn hätte es sie nicht gegeben, gäbe es mich nicht

auf der Suche in Büchern, die kaum jemand liest,

auf der Jagd nach Daten, die in keinem Geschichtsbuch stehen,

in fieberhafter Kleinarbeit, bis aus Jahreszahlen und Namen

ein nicht sichtbarer Mensch im Nebel der Zeit sichtbar wird:

gestern Abend war`s, schon viel zu spät, als sie meine Urmutter wurde:

Hermanna Lünter.

Sie trug Ahnenkennziffer 729.

Redux die 1.

Sein Papa die 2.

Dessen Mutter, also Redux Oma die 5.

Davon die Mutter die 11.

Davon der Papa die 22.

Davon die Mama die 45.

Davon die Mama die 91.

Davon der Papa die 182.

Davon der Papa die 364.

Davon die Mama hieß Hermanna Lünter.

Kalt war es in dem Schuppen, in dem sie lebte.
In dem ich sie besuchte.

Nebenan schliefen ihr Mann Bernhard und die Kinder,

daneben die Kuh und in einem weiteren Raum die zwei Schweine.

Der Wind pfiff und zerrte am Dach.

In der Mulde des Herdfeuers glomm rote Glut.

Unter ihren Kleidern lag das jüngste Kind an ihrer Brust.

Sie hustete schwer und stetig.

Es war der Januar 1704.

Ein Jahr lang sollte sie noch leben.

Sie war erst 37.

Ich ging hinaus ins Freie.

Der Mond schien grell und kalt in die Winternacht.

Er schien, wie die Zeit selbst, ewig zu sein.