Beckenbauer

Prosagedicht

von  Redux

Vor drei Monaten begann
Franz Beckenbauer seine Anstreicherlehre.
Morgens um halb sieben, am ersten Dezember,
stand er in seinen weißen Klamotten am Straßenrand
und wartete auf den Firmenwagen seines Lehrbetriebs
Möllers & Söhne, Herne-Wanne,
die Hände tief in den Taschen,
mit einer Fluppe im Mundwinkel,
und fror.

Eine halbe Stunde später erreichten sie die
leer stehende Villa, die ein Zahnarzt erworben hatte,
und Franz durfte im Wohnzimmer
unzählige Lagen alter Tapeten von den Wänden kratzen.
Schon bald blühte eine Blase
zwischen Daumen und Zeigefinger.
Der Griff der alten Spachtel rieb sie ihm auf.
Beckenbauer hatte die Wände nicht ausreichend gewässert;
seine Lehrgesellen, Hermann und Jochen,
verpassten Franz den ersten Einlauf des Tages.

Danach schickten sie Beckenbauer zum Baumarkt:
ein dreieinhalbzölliger Luftquast sollte her,
der Verkäufer spielte mit und grinste:
man führe nur eineinhalbzöllige Luftquaste...
Franz Beckenbauer lief durch den diesigen Dezembermorgen
zur Baustelle zurück
und ließ sich auslachen.

Gegen Mittag waren sein Gesicht und seine Hände
übersäht von der Schmiere alten aufgeweichten Kleisters,
man schickte ihn zum nächsten Kiosk,
vier Halbliterflaschen Schulheiss Bier
plus zwei Schachteln Zigaretten Reval.
Anschließend brüllte Franz durch das leere Haus,
er sei da, einen Ausbildungsberuf zu erlernen,
nicht Bier-und Zigarettenholer zu spielen...
...eine Stunde später stand der Chef vor Beckenbauer;
das Übliche: Lehrjahre sind keine Herrenjahre,
große Fresse während der Probezeit eine Unverfrorenheit,
die es früher nie und nimmer gegeben hat,
außerdem fehlten noch zwei Berichte für das Berichtsheft...

Mittags aß Beckenbauer kleinlaut und deprimiert
seine vier Stullen, zwei mit Schinkenwurst,
zwei mit Emmentaler Käse, und trank den mitgebrachten
Kaffee, der nur noch lauwarm war.

Beckenbauer saß da wie ein verkümmernder Idiot.

Um 16 Uhr 30, als alle Feierabend hatten,
musste Franz die Werkstatt aufräumen,
anschließend führte sein Chef eine Art Abnahme durch.
Dann im Büro stand Franz mit knurrendem Magen
vor dem Schreibtisch des Alten
und bekam noch das:
Und wenn du nicht die einfachsten Dinge,
die man dir beibringen will, erlernst,
dann musst du von Möllers & Söhne Abschied nehmen.
Außerdem erwarte ich von dir jetzt endlich,
dass du deine Berichte schreibst.
Ansonsten rufe ich mal deinen Vater an,
dass er dir das Fußballspielen streicht.

Wenn die das machen, durchfuhr es Franz,
werde ich mich umbringen.

Und sein Chef noch einmal:
Der Beruf geht vor, der steht für dich an Nr.1,
und nicht das Gekicke, klar?

Franz Beckenbauer wollte nur noch nach Hause
und unterschrieb kopfnickend alles.
Zu Hause machte ihn sein Vater lang,
der Chef hatte schon am Telefon gehangen,
gegen zwanzig Uhr quälte er zwei Berichte in das Berichtsheft
Eigenschaften von Stofftapeten,
Tapezieren über Eck.

Kurz vor dem Einschlafen betete Franz zu Gott,
er möge ihm doch das Fußballspielen erhalten;
morgen war wieder Training
und ohne dem nichts mehr wert,
ohne dem könne er gleich aus dem Leben scheiden.

Das Leben war Scheiße!!
Und so schlief er ein.



Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 minze (15.04.23, 16:09)
Ich find's besonders stark bis zu dem Kaffee, weil da einfach die Beschreibungen, die Umstände so stark geschildert sind, so sinnlich fassbar, so, dass man durchgeht, mitgeht, diese nüchterne, diese fiese Wirklichkeit. 

Danach kommt es für mich irgendwie zu erklärend, zu sehr auf eine Pointe hin arbeitend oder so, ich fühle auch nicht so diese Fußballsache, eigentlich lenkt mich diese Pointierung ab von dem ganz griffig erlebbaren "Lehren/Lernen/Verhältnis unter Kollegen-Azubi"...

Mein Eindruck.

Kommentar geändert am 15.04.2023 um 16:10 Uhr

 Redux meinte dazu am 15.04.23 um 17:00:
Es ist ein Text, den ich vor vielen Jahren zu Papier gebracht habe.  So eine Art Versuch den kleinen unbedeutenden Menschen zu beschreiben, in dem die spätere Lichtgestalt steckt.
Danke für deine ehrliche Meinung....smile

 minze antwortete darauf am 15.04.23 um 21:10:
hm sehe ich zu konstruiert, finde aber auch ein Phänomen "Lichtgestalt" weniger ansprechend als einfach einen Menschen.

 Redux schrieb daraufhin am 16.04.23 um 08:28:
Naja, der ganze Text ist ja ein einziges Konstrukt und angesichts der Diskrepanz zwischen Malerlehrling und deutscher Fußballlegende ist die Bezeichnung " Lichtgestalt" ja fast logisch.
Teolein (70)
(15.04.23, 16:18)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Redux äußerte darauf am 15.04.23 um 17:02:
ach ich verstehe, Na klar, Westfalia Herne.
Ich liebe diese alten Traditionsvereine.
Meiner ist der Sc Preußen Münster.
Bald 3. Liga.....
Teolein (70) ergänzte dazu am 15.04.23 um 17:11:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Redux meinte dazu am 15.04.23 um 17:14:
Das sehe ich ganz genauso. Gerade in Westfalen gibt es so viele Vereine mit Tradition, neben dem BVB oder Schalke....und natürlich die Fans dahinter...
Und ich gebe dir auch recht...da könnte viel bewegt werden....

 Didi.Costaire (15.04.23, 18:07)
Ja Wahnsinn, Redux, wenn dem Franz das Fußballspielen gestrichen wird. Dann hätte er wohl von seinem Lehrberuf endgültig die Nase voll.

Mit trockenem Humor beschrieben. Gewundert habe ich mich aber, dass in Herne Schultheiss Bier getrunken wird. Das kann ich gar nicht so richtig glauben.

Beste Grüße,
Dirk

 Redux meinte dazu am 15.04.23 um 18:43:
O mist...DAB oder Stauder Pils oder Ritter Bier...grins

 Dieter_Rotmund (15.04.23, 18:29)
Sorry, aber Beckenbauer ist keine Lichtgestalt. Eher eine Geldgestalt.

Aber der Text hat Pepp, nur verstehe ich die Zeilenform nicht, normale Prosa würde da besser passen, finde ich...

P.S.: " mö ihmge " ?

 Redux meinte dazu am 15.04.23 um 18:44:
Danke Dieter, blöder Fehlerteufel
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram