andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 22. Januar 2009, 00:40
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Hitlers Erbe

Da auch auf kV mal wieder die Diskussionen zum Thema “rechts“ und “links“, “Kommunismus“, “Nationalsozialismus“, “Faschismus“, “Antisemitismus“, “Diktatur“ und ähnlichen Schlagwörtern aufbranden, mag ich mal einige kurze (und mit Sicherheit eher unbeachtete) Kolumnen zu den Themen Wortbenutzung und Wortherkunft schreiben. Irgendwie haben sich da Wörter in den politischen Sprachgebrauch geschummelt, die in ihrer Bedeutung offenbar nicht klar sind.

- Nationalsozialismus ist ein absichtlich irreleitendes Kunstwort. Die Intention ist leicht abzulesen und die Widersprüche liegen schnell auf der Hand, sobald die beiden Einzelbegriffe “Nation“ und “Sozialismus“ aufgedröselt werden.
- Nation kommt von natio (lateinisch) und hat drei Bedeutungen: Geburt (hier auch die Göttin der Geburt), Volksstamm und Klasse/Art. Schon hier wird deutlich, dass dieser Begriff ziemlich schwammig ist und guten Nährboden für Missverständnisse bietet. Nehmen wir die gängige Definition eines Volkes (gleiche Sprache, Tradition, Sitte, Gebräuche, Abstammung), so stoßen wir gerade in Deutschland auf ziemliche Probleme, die immer wieder die Frage aufwerfen: wo setze ich die Grenzen? Aber auch die Definition “Geburt“ ist nicht einfacher … Benutzt wird dieser Begriff darum für eine Gemeinschaft von Menschen, die eine gemeinsame und unabhängige politische Führung (Regierung) haben. So können auch mehrere Völker eine gemeinsame Nation bilden (etwa: Schweiz) oder ein Volk mehrere Nationen. -> ein nationaler Sozialismus ist demnach ein Sozialismus, der sich auf die Mitglieder dieser Gemeinschaft bezieht.
- Sozialismus kommt von societas (lateinisch) und bedeutet: Gemeinschaft, Bündnis, Verbindung und Teilnahme. Soziale Arbeit ist also Arbeit für die Gemeinschaft. Sozialismus wäre demnach das Prinzip der Gemeinschaftlichkeit. -> Nationaler Sozialismus ist also das Prinzip der Gemeinschaftlichkeit, die sich auf die Gemeinschaft bezieht … ähm … winkt da eine Tautologie?
- Nationalsozialismus 2 stellt sich als immer noch anhaltender Missbrauch zweier Begriffe heraus. Zumindest bei der Sprache hat eine Rehabilitierung der Opfer nicht einmal angefangen. Stattdessen ist das Opfer gebrandmarkt und wird weiterhin vergewaltigt und missbraucht. - Na ja, so geht es vielen Opfern. In der Beschwerdeschlange wird es sich wohl ganz hinten anstellen müssen.
- Faschismus bezieht sich auf fascis (lateinisch – nicht das italienische fasces, wie es so oft geschrieben steht. Die Bedeutung ist allerdings ähnlich, wobei fasces nichts weiter als Bündel heißt) und bedeutet Rutenbündel; speziell: das Rutenbündel mit Beil, das als Symbol der Strafgewalt (nicht der Macht!) des römischen Imperiums stand. Im Hintergrund lauert also die Motivation das römische Imperium zu erneuern, was der Übertragung im internationalen Rahmen einen leicht lächerlichen Unterton verschafft. Später wurde fascis umgedeutet zum Symbol für “Volkssouveränität“ oder “Staatsmacht“ … Übrigens gibt es auch das italienische fascia, das unter anderem auch Windel bedeutet. Sind deswegen alle italienischen Säuglinge Faschisten?
- Antisemitismus wird heutzutage immer im Klang “Judenhass“ verwendet, was eine lange Tradition hat (auch schon vor 1933). Leider entpuppt sich bei näherer Ansicht auch dieses Wort als missbraucht: Mit “Semiten“ sind nämlich nicht nur Juden gemeint, sondern eine viel größere Gruppe von Menschen. Drei Definitionen stehen zur Auswahl.
- Semiten 1 – Semiten sind aus sprachwissenschaftlich/völkerkundlicher Sicht eine Sprachengruppe, zu der neben Hebräisch auch Aramäisch und Arabisch gehören. Verbreitet ist sie in Nordafrika, auf der arabischen Halbinsel und im nahen Osten. Demnach sind auch Palästinenser Semiten …
- Semiten 2 – Semiten leiten sich religiös/völkerkundlich von einem gemeinsamen Stammvater ab. Sem gilt als ältester Sohn Noahs und diejenigen, die sich als Nachfahren des Abraham sahen, bezeichneten sich selber als “Söhne des Sem“, Semiten. Religionswissenschaftlich sind somit Juden, Moslems und Christen Semiten.
- Semiten 3 – Semiten als Rasse innerhalb der Indogermanen, die sich besonders innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft erhalten haben soll. Diese Meinung ist sehr weit verbreitet (auch und besonders bei Menschen jüdischen Glaubens) und führt dazu, dass heutzutage die anderen beiden Erklärungen völlig zurück gedrängt sind. Semite wird fast immer synonym für Jude verwendet! – Genetisch, völkerkundlich und religionswissenschaftlich ist das zwar ausgemachter Unsinn, aber aus der Psychologie kennt man auch das Phänomen, dass Vergewaltigungs- oder Missbrauchsopfer die Gewalttat als Zeichen interpretieren, dass sie etwas Besonderes seien.

Soweit erstmal.

Vielleicht sollte bei den Opfern des Nationalsozialismus auch die deutsche Sprache akzeptiert werden. Viel zu oft hat sich das Gedankengut dieser Sprach-Windelträger tief in unsere Sprachbenutzung gegraben und beeinflusst uns dadurch auch heute noch. Ein Bewusstsein dafür tut not.




Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 IngeWrobel (22.01.09)
Eine sehr gute Aufklärung, Andreas, die hier und da ein "Denk-Aha" beim Lesen auslöste. Oft genug bin ich nämlich über Begriffe gestolpert, die mir in dem Zusammenhang falsch erschienen. Dann war ich immer traurig, weil mir (das) Latein oder Alt-Griechisch als Basis zum Verstehen fehlen.
Danke Andreas, bitte fortsetzen!
Inge
wupperzeit (58)
(23.01.09)
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 Jorge (23.01.09)
Eine Kolumne, die es in sich hat.
Selbst Politikwissenschaftler und Historiker und viele selbsternannte
Fachleute werfen gerade bei diesem Thema oft viel durcheinander.
Andreas, du hast dir viel Mühe gemacht. Aber es lohnt sich, wenn wenigstens einige Leser und Autoren in ihrem Verständnis bereichert wurden.
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