andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 26. März 2009, 09:14
(bisher 1.133x aufgerufen)

rotes Fleisch

Jetzt ist es also klar: rotes Fleisch ist böse. Es erhöht die Gefahr von Herz- und Kreislauferkrankungen und ist krebserregend.

Die Vegetarier und Geflügelfleischesser können jubeln, die Steakfanatiker müssen hingegen beschämt ihr Haupt senken … mit der Gewissheit, dass die Klinge des Schnitters über ihrem Nacken schwebt.
Der Dank für diese Erkenntnis gebührt dem National Institutes of Health (NIH), das in der bisher größten Studie zu diesem Thema zehn Jahre lang die Ernährung und die Gesundheit von 545.000 US-Amerikanern beobachtete.
Das sind so große Zahlen, dass das Ergebnis einfach richtig sein muss. Nicht wahr?

Leider hat es aber in der Geschichte der Statistik immer wieder problematische Studien gegeben (wobei wir jetzt mal einfach vergessen, dass “Studie“ im wissenschaftlichen Betrieb der Begriff für die Testläufe ist, die vor der eigentlichen Untersuchung stattfinden). Oft genug erwiesen sich die Ergebnisse als falsch oder doch zumindest sehr fragwürdig. Manches Mal widersprachen sich Studien auch oder konnten unterschiedlich gedeutet werden.
Woran das liegt? – An dem untersuchten Thema natürlich. Je komplexer die Zusammenhänge sind, um so schwieriger wird eine statistische Erfassung. Und es kommt immer auf die Perspektive an, aus der die Ergebnisse betrachtet werden.
Nehmen wir als Beispiel gleich das rote Fleisch. Es ist ein Nahrungsmittel und stammt von den klassischen Säugetieren, die vom Menschen gegessen werden: Schwein, Rind und Schaf. Zwar gehören auch Pferde- und Kängurufleisch dazu, aber für eine Auswertung dieser Fragestellung sind sie ohne Belang. Sie werden nicht erfasst oder besser: “herausgerechnet“. Genauso wenig spielt die Frage eine Rolle, ob jemand ausschließlich Rindfleisch isst oder nur koscheres Fleisch verzehrt. – Leider ist aber trotzdem bekannt, dass sich auch das Fleisch der Tierarten unterscheidet … so gilt Schweinefleisch gemeinhin als besonders ungesund. Egal, auch das wird herausgerechnet.
Ein weiteres wichtiges Kriterium müsste die ergänzende Ernährung sein. Wird Gemüse gegessen? Gibt es nur Fastfood? – Wir kennen doch alle diese klassischen Fleischpflanzen, die sich fast ausschließlich von tierischen Proteinen ernähren und an den Beilagen nur nippen. Ihr Lieblingsspruch „ich mag Möhren schon … wenn sie durchs Schwein gegangen sind“ ist legendär und langweilt regelmäßig komplette Freundeskreise. Andere Fleischesser essen sehr gerne Gemüse oder Salat, wieder andere essen nur Kartoffeln oder Brot zum Fleisch …
Dann spielt die Menge an Fleisch eine Rolle. In der Studie heißt es, dass besonders die Männer und Frauen, die täglich mehr als 250 g rotes Fleisch aßen, eine deutlich höhere Sterblichkeit aufwiesen. Nun ja, bei 250 g am Tag sind wohl die meisten Lebensmittel nicht mehr gesund. Ich denke da nur an jemanden, der täglich so viele Möhren verschlingen würde. Müsste darum nicht gerade die einseitige Ernährung herausgerechnet werden, weil sie gar nicht gesund sein kann?
Modeerscheinungen bei der Ernährung wurden offensichtlich nicht berücksichtigt. Gerade die konservativen Esser neigen zum Einerlei und schießen sich die “sonstigen Stoffe“ per Pille in die Blutbahn. Wurde das abgefragt? Und kann davon ausgegangen werden, dass eine reine Befragung auch wahre Ergebnisse dazu liefert?
Wobei wir auch gleich bei der Art der Ergebnisfindung sind: Befragungen sind problematisch. Entweder sie sind zu kurz, oder sie stellen die falschen Fragen, oder sie sind zu kompliziert, oder sie laden zum Flunkern ein, oder sie sind so lang, dass die Befragten die Lust verlieren und sehr fahrig antworten.
Auch stellt sich die Frage, ob die Probanten die Fragestellung hinter der Untersuchung kennen und die Ergebnisse dadurch vielleicht unabsichtlich verfälschen. Und: wie ist die Fragestellung überhaupt? Oft genug werden Ergebnisse aus Studien gezogen, die mit der Grundfrage nichts zu tun haben und dementsprechend auch nicht korrekt erhoben wurden.

Aber weiter: die Probanten waren zwischen 50 und 71 Jahren alt und sie waren über einen Zeitraum von zehn Jahren befragt worden. Am Ende der Studie waren rund 71.000 der Teilnehmer gestorben. – Nun gut, die Sterblichkeitsrate in diesem Alter ist nicht gleich Null und umgerechnet in Prozenten lesen sich 13 % gar nicht so schlecht. Immerhin wird nicht angegeben, ob die Probanten zu Beginn oder Ende der Studie zwischen 50 und 71 Jahre alt waren und wenn ich mir eine 80-jährige Dame vorstelle, die jeden Tag mehr als 250 g Fleisch isst, so kann ich mir schon vorstellen, dass der Organismus belastet wird.
Welcher Bevölkerungsgruppe und welchem Menschentyp entsprachen die Probanten? US-Amerikaner sind zwar kein homogener Typ, aber dennoch sollte man vorsichtig damit sein, die Ergebnisse auf die gesamte Weltbevölkerung hochzurechnen. So gemischt sind auch die Amerikaner nicht.
Gerade bei der Ernährung kommt es aber sehr stark auf den Typ an. Inuit oder Massai seien da nur als extreme Beispiele genannt: sie sind durch hunderte Generationen so auf eine spezielle Ernährung geeicht, dass für sie keine allgemeinen Richtlinien gelten dürfen. Sie vertragen nicht, was allgemein als “gesund“ bezeichnet wird.

Aber … nun gut. Es ist zwar ein sehr komplexer Haufen von Menschen, die hier unter der Kategorie “Rotfleischesser“ zusammengewürfelt wird und sonderlich klinisch lief die Studie auch nicht ab, aber alle anderen Faktoren (rauchen, Alkohol trinken u.a.) konnten herausgerechnet werden. Niemand verrät uns wie dieses Herausrechnen funktioniert, doch bei so großen Prüfmengen fallen genügend Daten an, die unter dem Tisch landen können.

Das Ergebnis: esst weniger als 250 g rotes Fleisch am Tag oder der Tod klopft früher als gewollt an der Tür (wobei: was heißt schon “gewollt“?).
Ähm … das hört sich ein wenig an, als würde jemand sagen: neue Untersuchungen haben ergeben, dass Raucher ein erhöhtes Sterberisiko haben.

Ich will doch mal hoffen, dass es nicht das einzige Ergebnis dieser teuren Studie sein wird.



Andreas Gahmann

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag

Angelika Dirksen (62)
(26.03.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
wortverdreher (36)
(26.03.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Theseusel (26.03.09)
Ich glaube nur den Statistiken, die ich selbst gefälscht habe!
Plagius Flabius Churchill.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram