andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Mittwoch, 12. August 2009, 22:54
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Schweinerei

Manchmal braucht etwas nur einen Namen, damit es uns auffällt. Nicht, dass es vorher nicht da gewesen wäre oder durch den Namen eine besondere Qualität bekommen würde … nein, eine wirkliche Veränderung findet nicht statt.
Dennoch bekommt es eine andere Bedeutung in unseren Köpfen, einen anderen Stellenwert, eine besondere Qualität, wenn man so will. Es wird herausgehoben aus der Masse und kann auf einen eigenen Stellplatz einsortiert werden, um dann mit einer Definition und einer Wertung versehen zu werden.
Das klappt bei Menschen, wenn sie etwa einen Titel bekommen oder vorher Unbekannte einen Namen. Das funktioniert bei Tieren (vor “Flipper“ war ein Delfin nur ein fischiges Wesen, vor “Manfred“ war ein Mammut nur ein ausgestorbener und wolliger Elefant, vor “Skippy“ waren Kängurus nur uninteressante Hopser aus Australien …), bei Pflanzen (“Vor meinem Haus steht irgend so ein großer Baum“ hört sich anders an als: “Vor meinem Haus steht eine Platane“) und bei allen anderen Dingen. Es klappt auch bei Krankheiten.

Schweinegrippe? – Ja, davon haben wir alle gehört. Gegen diesen Namen klingen Influenza und Grippe in unseren Köpfen nur fad und normal. Dabei ist an den einzelnen Teilen des Wortes gar nichts Besonderes, sie hören sich sogar recht durchschnittlich und harmlos an. Aber: Zusammengesetzt hat es inzwischen die Wirkung eines Donnerschlages.

Schweinegrippe! – Schweinegrippe! – Die schreckliche Epidemie, die Pandemie, die Seuche.
Fragt man jemanden auf der Straße, so ist es die große Gefahr des Jahres 2009. Alles andere muss drei Schritte nach hinten gehen, wenn die Schweinegrippe kommt. Und schon einer Erwähnung folgen die drei Schritte nach hinten im nicht metaphorischen Sinne: die Leute gehen körperlich auf Abstand und machen den Eindruck, als würden sie am liebsten noch magische Abwehrzeichen in die Luft malen.
Es macht den Eindruck, als wäre es mancherorts nicht mehr weit zu einer Massenpanik. Mundschutzpflicht für Erkrankte und ihre Angehörigen wird gefordert. Die Betroffenen sollen ihre Wohnungen nicht verlassen und die Fenster geschlossen halten. Jede Erkrankung soll gemeldet und untersucht werden. Selbst Ärzte und Krankenhäuser stellen inzwischen Ferndiagnosen am Telefon und fordern dazu auf, nicht persönlich vorbei zu kommen. Und die Medien bringen eine Horrormeldung nach der anderen.

Und?

Die Fakten (soweit man davon sprechen kann) klingen beunruhigend. Mehr als 10.000 Infizierte in Deutschland, akute Ansteckungsgefahr bei näherem Kontakt, schon 40 Tote in Europa, sogar die Schulferien sollen verlängert werden (oder doch nicht?), die Schweinegrippe ist mit der spanischen Grippe verwandt (die vielleicht mehr als 25 Mio. Menschen tötete), schon jetzt mehr als 150 Tote in Mexiko und 353 Tote in den USA (laut BZ), die USA fürchten zudem noch Zehntausende Tote durch die Schweinegrippe …

Vielleicht sollte erwähnt werden, dass die Zahlen in Sterbestatistiken ziemlich schwierig zu deuten sind. Je nach Lesart – sprich: Interpretation – können da nämlich sehr unterschiedliche Zahlen herauskommen.
Krankheitserreger kommen nicht alleine und sie verdrängen nicht alle anderen Keime, um dann als Monopolisten im Menschen wüten zu können. Vielmehr findet sich bei jedem Menschen ein großer Fundus an Erregern, der sich sehr individuell und unterschiedlich austobt. Darum ist auch nur die Rede von einem “typischen Krankheitsverlauf“, von “Symptomen“ und einem “Gefahrenpotential“.
Wird dazu noch einberechnet, dass sich Viren rasend schnell vermehren und dabei verändern (also jeder Angesteckte schon etwas andere Viren abbekommt), die Patienten sich grundlegend unterscheiden und gar nicht alle Faktoren bekannt sind, so wird das noch schwieriger.
Und? Wie war das noch bei Verstorbenen? Werden alle Toten gründlich untersucht und wird genau nach der Ursache gefahndet? – Quark, schon in die Datenerhebung fließen ungefilterte Messergebnisse, Fehldiagnosen und Schätzungen mit ein. Hintergrundinformationen und weitere Befunde bleiben da außen vor. Denn für eine lesbare Statistik dürfen die Datenmengen nicht zu groß werden.

2007 gab es in Deutschland – man beachte: nicht durch die Schweinegrippe – entweder 99 Todesfälle durch Grippe oder 21.883 durch Grippe und Lungenentzündung (  Gesundheitsberichterstattung des Bundes ), - wobei die 99 Toten noch aufaddiert werden könnten. Auch die 88 Toten mit “Grippe, Viren nicht nachgewiesen“ und diversen anderen Umständen (siehe Tabelle), die nach typisch deutscher Gründlichkeit fein säuberlich aufgelistet werden, könnten, je nach Deutung, mitgezählt werden.
Da ließen sich leicht Meldungen zusammenschustern, die zwischen “100 Grippetote im Jahr 2007“ und “2007: rund 30.000 Grippetote“ schwanken. - Jeweils mit dem Hinweis auf offizielle Angaben des Bundes!

Es darf also gedeutet, spekuliert und geschätzt werden. Daran beteiligen sich auch die Fachleute bei der “Gesundheitsberichterstattung des Bundes“, denn es auch sie versuchen die Fälle abzuwägen, bei denen ein Influenza-Virus (Grippe) eine bedeutende Rolle spielte. Das Ergebnis:

In Deutschland sterben jährlich 7.000 bis 13.000 Menschen an Grippe.
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Was sagt das zur Schweinegrippe aus?
Bisher in Deutschland: mehr als 10.000 Infizierte, aber keine Toten. Der Verlauf wird von der WHO als moderat bezeichnet und sie korrigiert die mexikanischen Todesfällen auf die Zahl 7 herunter. (  tagesschau.de )

Und das alles nur, weil der Grippe ein Name gegeben wurde. Niemand regt sich über 10.000 Grippetote auf, aber ein fantasieloser Kunstname und eine krumme dreistellige Zahl taugen dazu, in der Bevölkerung einen Hype auszulösen, der im Hintergrund schon brennende Scheiterhaufen für die Infizierten erahnen lässt.
Vielleicht sollte man sich daran erinnern, wenn bei der nächsten Geschichts-Doku der Drang entsteht ungläubig mit dem Kopf zu schütteln, weil im Mittelalter hochgepuschte Menschenmengen Unschuldige gelyncht haben, alte Frauen verbrannten oder gesellschaftliche Randgruppen verfolgten.
Vielleicht wäre auch für das Jahr 2009 der Name Hexengrippe passender gewesen …



Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Jorge (13.08.09)
Lieber Andreas, wie so oft sehr informativ.
Heute vielleicht zu informativ. Da stellen sich ja die Nackenhaare hoch.
Man möchte es am besten aus seinem Bewußtsein verdrängen - wie so vieles in dieser verrückten Welt.
Danke für deine Arbeit,
LG Jorge

 Dieter_Rotmund (13.08.09)
Schöne Einleitung, dann aber leider zum extrem drögen Thema gewechselt!

Wobei ich den Bekanntheitsgrad von "Flipper" nicht den mit "Manfred" (der tatsächlich im Original genauso heißt) aus "Ice Age" gleichsetzen würde. "Skippy" ist mir völlig unbekannt...
krebs (53)
(13.08.09)
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