andi(e)stirnschlag

Kleinlichkeiten


Eine archivierte Kolumne von  AndreasG

Donnerstag, 14. Oktober 2010, 05:37
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Nettiquette

Wenn es um die klassische Menschheitsfrage geht, um die Frage, was die Menschen von Tieren oder Computern unterscheidet (was zur Sinnsuche offenbar nötig ist), wird neben dem Verstand meist das Gefühl genannt. Früher ging das so weit, dass allem nichtmenschlichem Leben jedes Empfinden abgesprochen wurde. Dann sickerten langsam die Beobachtungen des Alltags und wissenschaftliche Ergebnisse in die allgemeine Meinung. Inzwischen wird Tieren wohl gemeinhin ein “niederes“ Gefühlsleben zugesprochen, aber das “höhere“ Gefühl ist selbstverständlich den Menschen vorbehalten.

Gut, der extrem hohe Einfluss der Hormone (und anderer Botenstoffe) hat sich auch herumgeschwiegen, wobei dieses Wissen noch eher von Comedians (deutsch: Komiker) und anderen Unterhaltern genutzt wird. Da werden die Gefühlsschwankungen in den Wechseljahren thematisiert, Endorphine als Synonym für Freude und Glücksgefühl benutzt und die Launen der Pubertät durch den Kakao gezogen.
Auch wenn das vielleicht unwichtig erscheinen mag, so zeigt das doch eine recht hohe Akzeptanz, da Leute nur über etwas lachen können, das sie aus eigener Beobachtung nachvollziehen können (was nicht bedeutet, dass diese Beobachtungen richtig sind) oder was sie als Tatsache anerkennen (was zum Wahrheitsgehalt auch nicht viel aussagt) oder was sie schlichtweg glauben (wollen)..

Den Spagat zwischen der arroganten Abgrenzung zu Tieren und zur Anerkennung biologischer Funktionen schaffen die allermeisten Menschen dennoch problemlos. Es ist vielleicht eine besondere Fähigkeit der Menschheit auch widersprüchliche Meinungen gleichzeitig vertreten zu können. Denn: die Kategorien der klassischen Gefühlswelt haben nach wie vor einen hohen Stellenwert, auch wenn das Bewusstsein der Subjektivität längst angekommen ist.
Das gilt für das Gerechtigkeitsempfinden, für Geschmack, Freundschaft, Glück und auch für die Liebe. Irgendwie wird das eigene Gefühl immer als Maßstab genommen, obwohl die Variationen durchaus bekannt sind.
Jeder kennt jemanden, der Liebe nur temporär verteilt oder sich grundsätzlich nur in jemanden verliebt, der Geld/keinGeld, Status/keinenStatus oder einen Waschbrettbauch/Waschbärbauch hat. Auch die Abenteurer(-innen) und die Unbekanntenliebhaber(-innen) sind allgemein bekannt, genau so wie die Treulosen und die Kletten. Dennoch wird ein generelles Bild der “wahren“ Liebe aufgestellt, das wie in Stein gemeißelt einen allgemeingültigen Anspruch erhebt.
Liegt es daran, dass niemand sich vergegenwärtigen möchte, dass das Gegenüber mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine andere Einstellung zur Gerechtigkeit oder Liebe haben könnte? Dass also ein näherer Kontakt irgendwann zu Problemen führen könnte?

Eigentlich müsste uns inzwischen klar sein, dass Gefühle subjektiv sind und somit Kriterien wie Freundschaft, Sympathie, Liebe oder “Nettiquette“ keinen allgemeingültigen Anspruch haben. Trotzdem wird immer wieder solch ein Anspruch definiert … was die Kluft zu tierischen oder maschinellen Hintergründen zementieren soll, aber dann doch eher gummiert. Vielleicht ist auch wieder nur ein Beispiel dafür, dass es langfristig keinen Sinn macht, nur nach dem eigenen Empfinden zu urteilen.

Was diese Kolumne soll?
Nun … wie wäre es, wenn anstatt Abgrenzung mal Verständnis das Kommando übernehmen würden? Nicht immer die anderen als “tierisch“ und böse empfinden, sondern die – angeblich – menschlichen Eigenschaften nutzen. Was will der andere sagen? Was will jemand sagen? Warum ist das Gegenüber so grantig und schlecht gelaunt?
Es ist einfach zu protestieren ... zu einfach?




Andreas Gahmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Anifarap (14.10.10)
JA! Es ist zu einfach! *volle Zustimmung*

 Dieter_Rotmund (14.10.10)
Schade, dass es in der Kolumen praktisch gar nicht um die Nettiquette geht!
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