KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Donnerstag, 12. Mai 2011, 22:35
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Januar 1967

249. Kolumne

1967... In einer Fernsehsendung plädierten ein Mädchen und ich für die Anerkennung der DDR. Das war in der Zeit der Großen Koalition unter Kanzler Kiesinger, CDU, mit Außenminister Willy Brandt, der seine Ostpolitik in dieser Regierung noch nicht verwirklichen konnte.

Ich wohnte bei Verwandten in West-Berlin. Als ich nach der Sendung zu ihnen nach Hause kam, sprachen sie kein Wort mit mir. Am nächsten Morgen dann nur: "Wie konntest du uns das antun!"
Man verstand sich ja als "Insulaner" und antikommunistischer Vorposten, umringt von der "Zone" (Ostzone, SBZ, allenfalls "DDR", wie BILD diesen Staat noch nach Brandts Ostpolitik 1969-72 schrieb.

Matthias Walden, erzkonservativer Journalist und später sogar Thronkandidat für den Konzern von Axel Cäsar Springer, war entsetzt und schrieb einen Artikel, in dem er mit dem jungen Mädchen und mir abrechnete (in: DIE WELT Nr. 42, 18.2.1967 – DIE GEISTIGE WELT, S. 1):

Die alten Jungen
Von MATTHIAS WALDEN

... Meine Aufgabe war, sechs junge Leute über Politik reden zu lassen, zwei Mädchen und vier junge Männer. Sie waren zwischen 18 und 20 Jahren alt und hatten, wie man so sagt, ihr Leben noch vor sich. Sechs Leben in Deutschland – auf der freien Seite.

Wir waren geschminkt, damit der Schweiß auf den Stirnen nicht im Scheinwerferlicht reflektierte. Die jungen Männer sahen dadurch etwas mädchenhaft aus. Wir sprachen über Ost-West-Politik, über dieses häßliche Knäuel der Konflikte, das genauso alt – und auch genauso jung – ist, wie es meine Gäste waren.

Was ich erwartet hatte, kam sehr schnell: Das junge Mädchen rechts neben mir riet zur Anerkennung der „DDR“. Die deutsche Einheit, so meinte die Abiturientin, sei nicht so wichtig. Österreich und die Schweiz gehörten ja auch nicht zu einem einheitlichen Deutschland. wichtig sei allein, daß die Menschen in der „DDR“ Erleichterungen erführen, und dazu gebe es nur einen Weg: Verhandlungen mit dem Ziel der gegenseitigen staatlichen Anerkennung.

Ich sprang ein und fragte, ob die Anerkennung denn wirklich als Ziel und nicht vielmehr als Mittel gemeint sei, ein Mittel, das ich für untauglich halte. Aber das Mädchen blieb dabei, daß diese Anerkennung das Ziel sein sollte. Ein junger Mann pflichtete bei. Auch ihm schien vordringlich, diese Anerkennung endlich auszusprechen, und die Argumente dafür waren, es habe alles schon so lange, viel zu lange gedauert, wir seien längst in einer Sackgasse und müßten endlich heraus.

Ich dachte, daß ich nun eigentlich fragen müßte, ob es nicht besser sein kann, in einer Sackgasse zu warten, als sie um jeden Preis zu verlassen, wenn der einzige andere Weg, der offen ist, in einen Abgrund führt. Aber ich fragte es nicht, weil wenig Zeit war und weil ich auch erst einmal herausfinden wollte, ob denn die jungen Leute gar keine Bedenken, keine Hemmungen gegen diesen Schritt hatten. Deshalb erwähnte ich das Unrecht, das dieses Regime begeht, und wollte wissen, ob es sie denn keine Überwindung kostete, Unrecht anzuerkennen, statt sich dagegen aufzulehnen. Aber meine Partner blieben ganz unbewegt und gelassen, so als habe ein alter Onkel ihnen gesagt, junge Mädchen sollten keine Miniröcke und junge Männer keine allzu langen Haare tragen.

Auch meine Frage, woraus sie denn schlössen, daß eine Anerkennung der „DDR“ den Menschen drüben Erleichterung bringen würde, blieb unbeantwortet. Das Mädchen wiederholte nur immer seine Anerkennungsformel, ganz nüchtern oder auch ernüchtert, und kühl wie eine Klimaanlage, die weiterläuft, obwohl das Haus brennt. Ich, der doppelt so alte, fühlte mich jünger als meine jungen Fernsehgäste, denn so thermostatisch temperiert wie sie wollte ich nicht sein. ... die jungen Leute neben mir, die ihre Formeln wiederholten, wirkten auf mich wie große, sprechende Puppen, aber wie gealterte Puppen, die nicht einmal von der Phantasie eines Kindes zum Leben zu erwecken waren.

Es war nicht die erste Erfahrung dieser Art. Oft schon hatte ich mit halberwachsenen Schülern und Studenten dieses Thema hin und her gewendet, und wenn mich der Ekel vor dem System der Lüge, der Erpressung, der Freiheitsberaubung und des Mordens gepackt hatte, war ich nicht selten von den alten Jungen gefragt worden, warum ich die Politik eigentlich so sehr mit Gefühl belastete. ... Die unbeseelten Denkschemata, die von den gemeinten Jungen im Refrain vorgetragen werden, sind zuvor von Älteren gestanzt worden, von einer intellektuell verdrossenen Generation zwischen vierzig und fünfzig. ... Es fehlt gewissen Jungen an einem natürlichen Respekt vor den Älteren, der durchaus sogar ein Respekt vor dem Irrtum Älterer sein kann. Selbst der Jugendliche, der sich im Besitz der besseren Einsicht glaubt, kommt ohne diesen Respekt nicht aus, weil er wissen muß, daß die Erfahrung, die vor ihm liegt, seine Überzeugung in die Erkenntnis eigenen Irrtums führen kann. ...

Gegen eine Erklärung, die sich mir aufdrängt, wehre ich mich noch: Ist dieser Symptomenkomplex verkümmerten Rechtsempfindens vielleicht typisch für eine Jugend, der die Härten staatlicher Gewalt und die Lasten eines entbehrungsreichen Alltags erspart geblieben sind? Halten sie deshalb die eigene, allzu sorgenarme Welt für mies, den Kummer der anderen für lästig und die Sünden der Ungerechten im Mauer-Jenseits für attraktiv? ...
Die heute Zwanzigjährigen haben den Schwerthieb, der ihr Vaterland in zwei Teile schlug, nicht bewußt erlebt. Daß die „Zone“ kein „anderes“ Land ist, haben ihnen nur die Älteren gesagt, Lehrer, Leitartikelschreiber, Redner. Das Unrecht, das den Landsleuten auf der anderen Seite geschieht, sehen sie nicht, sie hören es nicht, sie hören nur davon. Die Aufforderungen, daran Anteil zu nehmen, sich dagegen aufzulehnen, sind durch die Dauer und den Wiederholungszwang zu Stereotypen geworden. Das Bild von einem ungeteilten Deutschland, einem in Freiheit vereinten Volk lebt für die Jungen nur in Schlagzeilen und in der Unerreichbarkeit einer vermauerten Ferne. Jugend ist ungeduldig. Was sie ändern will, muß schnell geändert sein. Geht es über ihre Kraft, sich gegen ein Unrecht aufzulehnen, das ihrer unmittelbaren Einwirkung entzogen ist? ...

Viele der Jungen, Halbreifen, die gegenüber der Freiheit, in der sie selbst leben, pubertär-mißmutig sind, werden in einigen Jahren schärfer zu sehen und genauer zu urteilen gelernt haben.

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 loslosch (13.05.11)
Uli, Du alter Haudegen! Lothar

 Dieter_Rotmund (19.05.11)
Im Schlußsatz manifestiert sich zwar ein optimistisch-idealistisches Zukunftsdenken, aber ansonsten super Kolumne, sehr gerne gelesen, Bergmann!
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