KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Samstag, 23. März 2013, 12:06
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Bilder des inneren und äußeren Wahnsinns: „Zerbombt“ (Stücke 3)

347. Kolumne

„Es gibt nichts, was sich auf der Bühne nicht darstellen ließe. Wenn man behauptet, etwas nicht darstellen zu können, dann hieße das, darüber nicht sprechen zu können, zu leugnen, dass es existiert.“ (Sarah Kane)

Die evidente Wahrheit dieser These hämmert der Text mit harten Nägeln einer drastischen Bildlichkeit auf die Bühne – die gegenseitigen Vergewaltigungen der Bühnenfiguren, die äußerlichen Verletzungen und Selbstverletzungen ereignen sich in einem aseptischen Raum: Ein Hotelzimmer mit Kühlschrank, Bett und abgeteilter Dusche - alles weiß und klinisch rein - der Schein von Unschuld und Korrektheit in einer Welt, in der der Mensch sich selber zur Ware macht. Cate muss ihre Debilität herausschreien, sie ist enttäuscht und verletzt, absolut einsam und auf sich selbst zurückgeworfen, beinahe entmenscht - Cate ist der seelisch zerstörte Körper. Ian, das unbefriedigte Tier, bleibt ebenso einsam wie die Geliebte, die er nicht lieben kann, die ihn auch nicht liebt. Die Verletzungen dringen vom Körper in die Seele ein. Der nackte Körper Ians zeigt die entblößte Seele.
Das Stück setzt darauf, dass die naturalistisch gezeigten Verletzungen, Vergewaltigungen und Befriedigungsversuche vom Zuschauer als ‚Realmetaphern’ verstanden werden, die er als innerliche Konflikte deutet. Kane, die noch stärker als Kafka unter den Widersprüchen von Geist und Körper litt, dekliniert diese Konflikte zunächst auf der realen Handlungsebene eines ernsten Boulevardstücks. Einsamkeit, Kommunikationsunfähigkeit, gegenseitige Verletzungen werden in äußerlich wahrnehmbaren Handlungen zunehmend ins Groteske und Absurde gesteigert: Wirkliche Liebe oder Nähe scheitert, auch in der Szene, wo Cate Ian zur Selbstbefriedigung verhilft.

Wenn der Soldat mit einem Donnerschlag im Zimmer steht, mit dem Gewehrlauf auf Ians Brust, da steht die ganze Gesellschaft, der äußere Feind, der Krieg im Raum. Auch hier muss das Äußere zugleich als Projektion des Inneren verstanden werden: „Der Feind ist unsere eigene Frage als Gestalt.“ (Carl Schmitt)
Bildhaft gemeinter roher Naturalismus: Der Soldat saugt Ians Augen auf und isst sie. Er zeigt Ians Blindheit als Journalist, seine Erkenntnisunfähigkeit als Mensch, und den eigenen Hunger nach Erkenntnis. Der Hunger nach Liebe (der Soldat vergewaltigt Ian, weil er Cate nicht bekommt: Ersatz und Abreaktion) wird realistisch dargestellt und zugleich in surrealistische Bilder gesteigert. Das Stückes endet, wie es begann, nur ist jetzt klar, dass Ian blind ist. Aber blind war er schon zu Beginn.
Die alptraumhafte Bilderflut des Wahnsinns steckt nun in Ians Kopf: Cate kommt aus dem Bad zurück und trägt ein totes Baby im Arm. Ian begräbt es unter den Parkettbohlen im Hotelzimmer. Später holt der an seinen Verletzungen Sterbende es wieder heraus und isst es vor lauter Hunger nach Liebe auf - das erzeugt die ganze Wirklichkeit des Stücks, die Imagination des inneren Wahnsinns und seine Konsequenz - der Weg in den Freitod, den Sarah Kane in „4.48 Psychosis“, ihrem letzten Werk, erklärt.

Ulrich Bergmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 EkkehartMittelberg (07.04.13)
Mir scheint, dass der Leser/Zuschauer hier das Maximale an naturalistischer Darstellung aushalten muss. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man die von dir dargestellte Drastik mit dem L’art pour l’art –Konzept rechtfertigen kann. Also geht es Sarah Kane um eine Botschaft engagierter Literatur. Vermutlich darum, gesellschaftliche Verrohung so penetrant darzustellen, dass der Hartgesottenste genagelt wird und über die Grenzen von Empfindungsunfähigkeit/Brutalität nachdenkt. Das kann temporär gelingen.
Aber auf Dauer ist eine deformierte Gesellschaft immer grausamer als ihre Darstellung. Letztere hinkt also hinter der Brutalität her. Wenn das richtig ist, frage ich mich, ob diese Kunst irgendetwas außer einer Überreizung der Nerven erreichen kann.
Meine Frage ist nicht abwehrend kritisch gemeint. Ich weiß wirklich nicht, wie ich diese Entwicklung einschätzen soll.
Ekki
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