KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Samstag, 23. März 2013, 12:05
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Zufall und Nichts als Helden: „Warten auf Godot“ (Stücke 1)

345. Kolumne

Zufall und Nichts als Helden

„Warten auf Godot“ von Samuel Beckett

Stilisierung ins Komische, dieser Zwangshumor, der gegen die ganze Lebens-Sinnlosigkeit gequantelte Tragik anschaffen will, verfehlt die Tiefe des Un-Sinns, das reine Spiel der Kunst. Der Manierismus der aus der Zeit gefallenen Situationstragik zeigt mir: Nur die Kunst hat in diesem Stück noch Sinn.
Der Zuschauer sieht in Becketts Stück die Hölle des eigenen Lebens, und zwar im Spiegel einer Bühne, auf der die Dimensionen des Ichs sich in einem Himmel langweilen müssen, als wär’s die Hölle. Zwischendurch scheint so eine Idee auf: Wenn Didi und Gogo stumm dastehen, während ihr Gedächtnis oder ihre ‚Seelen’ (Pozzo und Lucky) sich in ihrem Herr-Knecht-Gefüge aussprechen – da sehen sie aus wie erhängte Mörder oder Selbstmörder, wie Möglichkeiten eben.
Der ausgeschnittene Himmel schwebt wie ein Kartondeckel über der Erde. Die Horizonte führen ins Gestern (links und rechts kommt der Junge aus der Erinnerung ins Jetzt des dialogischen Didi-Gogo-Monologs), nach hinten in eine abstrakte Landschaft oder Welt, nach vorn zu uns ins Publikum, ins Jetzt.
Das Stück selbst ‚handelt’ dramentheoretisch und damit auch philosophierend von der Auflösung der Zeit. Das ist das Ende von Raum und Kausalnexus, das Ende sinnvollen Seins. Der reine Zufall wird zur Kunst, wenn er, durchschaut, ein Spiel erzeugt, dem Sinn nur im Interpretieren eingebildet werden kann – das ist die reine Tragik: Die Austauschbarkeit von Transzendenz und Nichts.
Sinnlos verwartetes Leben wird zur Collage selbst-zerstörerischer Einbildungen oder eines bunten Nichts, unnützer Sublimationen von Sehnsüchten und Ängsten – und trotzdem ist alles und nichts auch nur ein Spiel oder Kunst für Kunst - das meint aber nicht, dass Theater umsonst ist: Die Negation der Zeit macht den Zufall zum Helden. Becketts Absurditäten-Theater ist unterhaltsam und treibt über den Spiegel des Nichts zu Erkenntnissen über das Sein.

Ulrich Bergmann

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Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (24.03.13)
Angabe der Inszenierung, also wo Du es gesehen hast (oder vielleicht sogar mehrfach?) wäre schön...

Ich habe vor ca. drei Jahren eine „Warten auf Godot“-Inszenierung des Karlsruher Kammertheaters gesehen. In Erinnerung geblieben ist mir das zwar minimalistische, aber gerade dadurch starke Bühnenbild, das eine herrliche abfallhaldenhafte Morbidität hatte...

 Bergmann (24.03.13)
Meine Ausführungen zum Stück meinen keine spezielle Inszenierung. Ich entwarf mir in einigen Sätzen selbst ein (angedeutetes) Bühnenbild, ein Bild vom Ort also, an dem die Personen nichtssagend reden oder alles sagen, indem sie reden.
(Ich sah "Warten auf Godot" in Bonn vor Jahren, in Köln vor Jahren, und 2009 im Theater des Berliner Ensembles.)
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