KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Dienstag, 20. August 2013, 01:05
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Unbedeutend. Grabbe (Stücke 19)

370. Kolumne

„Scherz Satire Ironie und tiefere Bedeutung“ von Christian Dietrich Grabbe

Auf dieses Stück, dem ich immer nur als Titel begegnete, meist in bildungsbürgerlichen Konversationen, hatte ich mich echt gefreut. Aber schon nach den ersten Worten fragte ich mich: Habe ich die Kraft dieses Programm eines ‘neuen Aristophanes’ geistig durchzustehen? Ich wollte mich selbst besiegen und ehrlich sein: Das Ganze kennenlernen, ehe ich es verriss. Am Ende hatte sich meine Ausdauer doch noch etwas gelohnt.
Natürlich wusste ich, dass Grabbes „Scherz“ eine verdammt frühe Antizipation des absurden Theaters ist – der „betrunkene Shakespeare“ (so Heine über Grabbe) knüpft an Tiecks genialen „Gestiefelten Kater“ von 1797 an und führt zu den absurden Späßen in Büchners „Leonce und Lena“, zu Vitracs „Victor“ und Ionesco; auch Dürrenmatt klingt hier und da vorweg, was die zwei gleichzeitig sprechenden Bedienten hörbach machen.

Grabbes indirekte Dichter- und Publikumsbeschimpfung war, als der junge Dramatiker aus Detmold sie schrieb (1822), zu modern oder unbequem, auch noch als sie ein halbes Jahrhundert später endlich uraufgeführt wurde; sie war gerade richtig in der genial verrückten Zeit zwischen den Weltkriegen, und danach bildungsbürgerliche Tümelei. Das Libretto dieser Spaßkantate war immer zu bezüglich, zu betont sind die Untiefen der Scherze, purer Klamauk mit unbehauenen Clichés, zu deutlich arbeitet sich die Satire an Goethe und anderen Dichtern ab, an der dramentheoretischen Gedankenlosigkeit seiner Zeit, zu sehr stemmt Grabbe die neue deutsche Komödie auf die Bretter, die sich dann unter der Derbheit absichtlich dummer Späße zwar biegen, aber nie entsteht Komik – welche eben ohne tiefere Bedeutung gar nicht leben kann!
Dem Zuschauer des 21. Jahrhunderts bleibt das Lachen nicht etwa im Hals stecken, weil er Grabbes dramenprogrammatische Abgründe oder die Absurdität und Ungeheuerlichkeit des Lebens erkennt, sondern weil der Witz zu schwach, zu derb und viel zu sehr gebunden ist an die Zeit Grabbes. Zu verstaubt ist das alles. Ich glaube auch nicht, dass starke Striche das Stück in unsere Zeit retten könnten - vielleicht gelänge manches in der Art schneller Cuts oder Videoclips, aber ich bin im Zweifel.

Erst am Ende gewinnt das Stück, das sich mit der Leichtigkeit so schwer tut, das richtige Gewicht. Die Figuren treten aus dem Stück heraus. Das Stück, das zuvor an seiner Albernheit aus den Fugen ging, zerbricht am ganzen Verlust der Illusionierung endgültig. Zum Schluss tritt sogar der Autor in sein Stück. (Tieck zeigte ihn im „Gestiefelten Kater“ als eine zum Stück gehörende Person, die das Stück auf der Bühne entstehen lässt; bei Grabbe dringt der Autor am Ende sichtbar ins Stück ein, als letzte Steigerung der Verfremdung, obwohl er ja von Anfang an in der albern aufgemachten Absurdität der Pseudohandlung vorhanden war.) Jetzt erst wird das Stück wirklich ein Lustspiel.

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