KLICKS UND CLIQUEN

Synthesen + Analysen in der Matrix


Eine Kolumne von  Bergmann

Freitag, 06. Juni 2014, 15:53
(bisher 1.403x aufgerufen)

Flying into the light of hope

408. Kolumne


Anmerkungen zu Charlie Chaplin, The Great Dictator

I should like to help everyone, if possible, Jew, gentile, black man, white. We all want to help one another. ... Even now my voice is reaching millions throughout the world — millions of despairing men, women and little children — victims of a system that makes men torture and imprison innocent people. To those who can hear me, I say — do not despair. ... You, the people, have the power to make this life free and beautiful, to make this life a wonderful adventure.
Then, in the name of democracy, let us use that power! Let us all unite! Let us fight for a new world, a decent world that will give men a chance to work, that will give youth the future and old age a security. ... Let us fight to free the world, to do away with national barriers, to do away with greed, with hate and intolerance. Let us fight for a world of reason, a world where science and progress will lead to all men’s happiness.
Soldiers! In the name of democracy, let us all unite!
... We are coming out of the darkness into the light. ... The soul of man has been given wings, and at last he is beginning to fly. He is flying into the rainbow— into the light of hope, into the future, the glorious future that belongs to you, to me and to all of us. [stark gekürzt]


Diese Rede am Ende des Films – ein Traum, ein Wunsch, ein Appell – beflügelte 1940 den Mut der Bedrohten. Zugleich wirken die ernsten Worte zurück auf die Komik, mit der der Film arbeitet. Ganz bewusst wird schließlich die dialektische, nicht ganz sichere Balance von Ernst und Heiterkeit aufgegeben. Die spielerischen Momente hatten eine ‚didaktische’, eine entlarvende Funktion gegen den Faschismus Hitler-Deutschlands – nun folgt mit der pathetischen, von Herzen kommenden Rede ein Gegenstück zum Traum des Führers in der unüberbietbaren Szene mit seinem Sprung in den Vorhang der Traum- und Angstwelt und dem tänzerischen Spiel mit dem Globus, der Hitlers Seele körpersprachlich offenbart.
Am Schluss des Films ist alles Spielen vorbei, der Traum des Führers wird erneut widerlegt: durch menschliche Gefühle im Dienste der Vernunft für eine feste Haltung gegen jede Unmenschlichkeit. Doch ist noch nicht entschieden, ob dieses Traums Umsetzung in der rauen Wirklichkeit gelingt. Die gute Wirkung der Rede ist kein Indiz für ästhetische oder rhetorische Zweifel, im Gegenteil. Man muss den Schluss von Chaplins Film auch in seinem historischen Kontext sehen. Pathos war in jener Zeit (1940 und Jahrhunderte zuvor) als Stilmittel und Ausdruck einer Haltung nicht diskreditiert, solange dieses Pathos nicht verlogen, sondern von echter Humanität getragen war. Ein Grattanz bleibt Chaplins Film in der Balance von Ernst und Komik auch nach dem Schluss. Die Andeutungen und Anspielungen Chaplins auf KZ-Verhältnisse zeigen (im Unterschied zu den teils verharmlosenden Ghetto-Szenen), dass er erstaunlich gut informiert war und das Böse des Faschismus konsequent ahnte, obwohl er noch nicht wissen konnte, wie schlimm die Verhältnisse dann tatsächlich wurden.

Hilsenrath, ein jüdischer Autor, der den Mord an seinen Verwandten im Holocaust überlebte, hat Ende der 70er Jahre Chaplins Humor neu aufgegriffen in seinem berühmten Buch „Der Nazi und der Frisör“. In dieser Zeit hatten Humor und Komik eine teilweise andere Funktionsweise – nun gegen falsches oder heruntergeleiertes Pathos in einer Ära von Betroffenheit und Bewältigungshilflosigkeit. Komik ist da ein guter Assistent des Begreifens. Nur mit rationalem Durchdringen ist der Mechanismus der Faschismus-Genese zu verstehen, um ihn zukünftig zu verhindern. (So gesehen sind Vergleiche mit Hitler und dem Nationalsozialismus in unserer Zeit sinnvoll, wenn sie nicht allzu sehr hinken oder unangemessen übertreiben.)

Die Komik ist eine Schwester des Humors, beide stehen im Dienste der Erkenntnis und der Einsicht in die Unvollkommenheit der Kritisierten wie der Kritisierenden. Sie arbeiten mit den Mitteln des Witzes, der blitzschlagartigen Erhellung komplexer Vorgänge und Zustände. Genau das ist Chaplin, abgesehen von ein paar schwächer einzuschätzenden Stellen, mit seinem Film gelungen. Was wir heutzutage schwächer finden, hängt zu einem guten Teil mit unserem größeren Wissen von der NS-Zeit zusammen, das Chaplin nicht haben konnte.
Alles in allem: „Der große Diktator“ ist ein subtil aufklärerischer Film, dessen gekonnt bloßstellende und lächerlich machende Komik auch in unserer Gegenwart abschreckend wirkt.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Kolumnenbeitrag


 Dieter_Rotmund (06.06.14)
Gerne gelesen, der Spitzname von Charles Spencer Chaplin war indes nie "Charly", sondern immer "Charlie".
Ausserdem: Leerstelle fehlt bei "ernstenWorte".
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram