Prinzessin Florentine oder Warum du bei Tag keine Fledermäuse siehst

Märchen

von  Persephone

Es war einmal ein Fledermauskönig, welcher über das gesamte Fledermausreich herrschte… und du musst wissen, dass jenes Reich sehr groß war. Das Leben war glücklich für all die Fledermäuse und –mäusinnen, denn König Ferdinand III war ein gütiger und gerechter König. Nun kam es, dass ihm seine Frau Felicitas ein kleines Fledermaustöchterchen gebar, die auf den Namen Florentine getauft wurde. Das Fledermausmädchen wurde von allen Seiten verwöhnt und verhätschelt, und sie wuchs zu einer wahren Schönheit heran. Jeder hatte sie gern, denn sie war ein bezauberndes, höfliches Fledermausmädchen.

Doch ach, welch ein Unglück brach über die königliche Familie herein! Florentine wurde krank, doch keiner wusste, woran sie litt. Man ließ die weisesten und gelehrtesten  Fledermäuse des Reiches in das königliche Schloss rufen, doch half das alles nichts. Die seltsame Krankheit blieb unerklärlich und die Prinzessin wurde immer blasser, immer kränker. Das arme Kind musste meist den ganzen Tag das Bett hüten, so schwach war es. Man schob ihr Bett zum Fenster, damit Florentine wenigstens ab und zu die Sonne sehen und ein wenig den wundervollen Rosengarten betrachten konnte.

Dann jedoch, eines Tages klopfte es dreimal an das Schlosstor: POCH-POCH-POCH! „Lasset mich ein, ich bin gekommen, um der Prinzessin zu helfen!“ Dem Fremden wurde sogleich Einlass gewährt, und ein Diener führte ihn vor König Ferdinand. Die Neuigkeit, dass ein Besucher angekommen war, hatte sich rasch herumgesprochen und im Thronsaal drängten sich die Pagen und Diener, Berater und Minister – also der gesamte Hofstaat. König Ferdinand wandte sich an den Mann: „Nun, Fremder, lüftet euren Mantel, damit ich sehen kann, wer meiner Tochter helfen zu können glaubt.“ Der Besucher stellte seine dunkelbraune, lederne Arzttasche auf den steinernen Boden, er streifte die Kapuze seines schwarzen Umhangs ab und sprach: „Mein geehrter König! Beschützer aller Fledermäuse, jenseits und diesseits des Okzidenten. Ich bin Flavius.“ Ein Raunen ging durch den Saal, als sich die weiseste aller Fledermäuse vorstellte. „Wie mir scheint, ist mir mein Ruf vorausgeeilt. Nun denn, lasst uns keine Zeit verlieren. Wo ist die Prinzessin? Ich möchte sofort mit den Untersuchungen beginnen…“

Und Flavius wurde ohne weiteres Zögern in das Zimmer der Prinzessin gebracht, wo Florentine in einem Schaukelstuhl am Fenster saß. „Wer kommt mich denn besuchen? Was für eine Freude.“, hauchte sie mühsam über ihre Lippen.  „Ach, werte Prinzessin, ich habe bereits gehört, was Ihr durchstehen musstet und ich trübe nur ungern Eure Stimmung, aber ich bin ein Arzt… mein Name ist Flavius.“, sprach dieser, „Wie fühlt Ihr Euch heute?“
„Nun ja, ich fühle mich immer gleich unwohl… gerade, wo heute doch so schön die Sonne scheint…“
Flavius runzelte die Stirn und schaute traurig unter seinen buschigen Augenbrauen hervor: Das arme Kind, wie tat es ihm leid. Dann griff er zu seinem Stethoskop und er begann Florentine abzuhorchen, er lauschte und klopfte, bat sie doch einmal „Ah“ zu sagen. Er setzte seine Untersuchungen fort. Es ging den ganzen Tag bis zum Abend. Derweilen warteten Florentines Eltern, die Dienerschaft – ja, jede Fledermaus im Reich auf eine frohe Neuigkeit.

Als die Nacht hereingebrochen war, schwang sacht die Tür zum Thronsaal auf und Flavius trat langsam und mit ernstem Gesicht in den Raum. Alle Blicke waren neugierig auf ihn gerichtet und einige Pagen begannen zu tuscheln. Der König gebot Ruhe und sah Flavius auffordernd an, dann sprach er: „Nun, lasset hören: Was ist mit Florentine?“
Flavius räusperte sich, holte tief Luft und begann zu erklären: „Oje, es steht gar schlimm um die Prinzessin. Was ich herausgefunden habe, wird Euch in Staunen versetzen… unsere überaus geliebte Florentine reagiert allergisch auf Sonnenlicht!“ Der ganze Saal erzitterte… Wie, warum – es gab eine Fledermaus, die allergisch auf Sonnenlicht war? Das war einfach unmöglich… Flavius erklärte weiter, wie er das herausgefunden hatte: „Nun, ich hatte gerade aufgegeben und meine Untersuchungen beendet, als die Sonne unterging und Florentine eingeschlafen war. Da bemerkte ich, wie langsam die Blässe aus Florentines Gesicht wich und wie es mit einem Mal gesunder wirkte. Da erleuchtete mich die Erkenntnis wie ein Blitz.“ Königin Felicitas wirkte erleichtert: „Jetzt wissen wir, woran unser armes Mädchen leidet. Aber wie kann man ihr helfen?“
Flavius antwortete ihr: „Es gibt nur ein einziges Mittel: Sie darf nicht mehr an die Sonne, nie wieder. Mehr kann man nicht für sie tun.“ Königin Felicitas: „Aber das geht nicht: Sie kann doch nicht den ganzen Tag im Finsteren verbringen! Und alleine durch die Nacht streifen lassen können wir sie auch nicht.“
Der König selbst hatte seinen Entschluss bereits gefasst: „Nun, dann werden wir unseren Rhythmus ändern müssen. Ich beschließe das Gesetz, dass ab dieser Nacht im ganzen Fledermausreich anstatt am Tage, in der Nacht gelebt und untertags geschlafen wird!

Und so kam es, dass die Fledermäuse immer in der Nacht umherstreiften, denn du musst wissen – ein jeder im Reich war so froh, dass es Florentine wieder besser gehen würde, dass sie liebend gerne Schlafens- und Arbeitszeit tauschten. Es hatten sie ja alle gern. Und Florentine wurde sehr bald wieder gesund und tollte im Mondenschein durch den Rosengarten.

Und wenn Flavius, Prinzessin Florentine, Königin Felicitas und König Ferdinand nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute Nacht. Und sie leben noch, oder hast du am Tag schon einmal eine Fledermaus gesehen?

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (20.06.19)
Flavius, der römische Kaiser?
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