Celine

Kurzgeschichte zum Thema Arbeit und Beruf

von  Ganna

„Drei Zimmer“, sagt die Chefin, als Celine das Hotel betritt. Geht ja, denkt sie und geht mit ihrer schweren Tasche die Treppe hinauf in das Bügelzimmer. Sie stellt die Tasche ab, zieht die Jacke aus, hängt sie über einen Stuhl und atmet tief durch. Dann zieht sie nacheinander alle Handtücher aus dem Bügelwäscheberg, streicht sie energisch glatt, faltet sie und legt sie exakt nach Größe geordnet auf drei Stapel. Als sie bei den Waschlappen angekommen ist, kommt die Chefin herein und sagt: “Celine, denk bitte daran, die Handtücher von beiden Seiten zu bügeln.“
„Ja“, sagt Celine und ist froh, dass sie schon das Bügeleisen eingeschaltet hat.
    Es dauert über eine Stunde die Bettwäsche zu bügeln und schon nach zwanzig Minuten dieser grässlichen Haltung schmerzt ihr der Rücken. Bügeln, zusammenlegen, bügeln, wenden, bügeln, zusammenlegen, stapeln und in den großen Schrank packen. Irgendwann ist sie damit fertig und streckt erst einmal ihren Körper.
    Doch gleich geht es weiter. Zuerst Zimmer drei, denkt sie, das ist das größte. Sie nimmt das Körbchen mit den Putzmitteln, Lappen, Schwämmen, Bürsten und den Duftsprays Tanne und Zitrone und steigt die Treppe hinauf, stellt das Körbchen vor dem Bad ab, verteilt den WC-Reiniger im Klobecken, damit er einwirken kann und öffnet das Fenster, aus dem sie die Bettvorleger hängt. Sie zieht die Betten ab, steckt die Betttücher, Laken und feuchte Handtücher, die sie vom Fußboden aufhebt in einen Kopfkissenbezug und legt ihn vor die Tür. Nur einen kurzen Blick wirft sie in die Mülltüte, die sie aus dem roten Plastikabfallbehälter nimmt, es ist wieder nichts drin, was der Erwähnung wert wäre, leert den Aschenbecher aus, steckt die auf dem Nachttisch liegengebliebene Pillenschachteln hinein, den vergessenen Kugelschreiber, er schreibt sowieso nicht mehr und das dreckige Taschentuch.
    Seit Jahren putzt sie nun schon hier und es langweilt sie mehr und mehr. Früher, als sie noch jung war, stellte sie sich vor, in diesen Hotels spielte sich das wirkliche Leben ab, so wie im Film, mit Gangstern, Opfern und Helden, wenigstens einmal die Woche eine dramatische oder rührselige Liebesszene. Auch hoffte sie jeden Sommer von Neuem, ihr Auserwählter, ihr Retter würde hier in diesem kleinen Hotel absteigen, sie entdecken und zu einem vergnüglichen Leben in Luxus und Reichtum entführen. Doch nein, die Wirklichkeit sieht anders aus.
    Täglich öffnete sie die Zimmertüren in der Hoffnung versteckte Waffen, vergessene Drogen, eine bewusstlos geschlagene Frau, einen ausgesetzten Säugling oder wenigstens Briefe voller Schmerz und Liebeskummer zu finden. Nichts! Nicht einmal die Andeutung einer Katastrophe, nicht der Schein einer Straftat, einfach nichts! Unvorstellbar! Und so vergehen die Jahre. So vergeht die Zeit und das wirkliche Leben spielt sich irgendwo anders ab, ohne sie, weit außerhalb ihres Gesichtskreises und enthält ihr all die schönen interessanten Ereignisse vor.
    Mit der schmutzigen Wäsche geht sie nach unten, an der Chefin vorbei, die im Salon auf dem Sofa sitzt und Weintrauben lutscht, die teuren kernlosen, natürlich. Sie stopft alles in die Waschmaschine, gibt das scharf riechende Pulver dazu und dreht und drückt die Knöpfe. Die Maschine rattert und rumpelt los, jeden Tag dasselbe. Dann holt sie zwei Laken, Bettbezüge, Kopfkissen, Handtücher und die passenden Waschlappen dazu aus dem Wäscheschrank und steigt wieder die Treppe hoch.
    Die Chefin will, dass sie die Betten täglich von der Wand abrückt, mit dem feuchten Lappen alle Seiten abwischen, über die Lattenroste fährt, auch auf der unteren Seite wo sowieso nie Staub hinkommt. Also macht sie es. Dann schiebt sie die Betten wieder an die Wand, staubt die kleinen hässlichen Lampenschirme auf den Nachttischen ab, schaut, ob was in den Schubfächern vergessen wurde, aber es wurde nichts vergessen und legt dann die Laken auf und stopft das Bettzeug in die Bezüge und zieht alles schön glatt. Die Chefin kontrolliert die Zimmer, wenn sie fertig ist.
    Auf dem Nachhauseweg wird sie beim Bäcker vorbeigehen und sich Apfelkuchen kaufen, später vielleicht Marlies anrufen, fragen, wie es ihr geht. Na, wenigstens ist das Wetter schön, denkt sie. Sie könnte ja einen Spaziergang machen, eigentlich, doch wohin? Marlies wird auch nicht spazieren gehen wollen, die ist nicht für solche Sachen.
    Sie zieht die dünnen Plastikhandschuhe über, geht ins Klo, nimmt die Klobürste, schrubbt das Becken und wischt mit dem grünen Schwamm, auf den sie etwas vom blauen Reinigungsmittel gibt, Klobrille und Umgebung sauber. Das Klopapier ist schon wieder alle.
    Also nimmt sie die Mülltüte, steigt wieder die Treppe hinunter, geht am Salon vorbei, wo die Chefin noch immer auf dem Sofa sitzt und Weintrauben lutscht. Jetzt hat sie eine Zeitschrift auf den Knien liegen. Mit dem Klopapier, sie nimmt gleich drei Rollen, geht sie wieder hoch. „Celine, vergiss bitte nicht, nach den Spinnweben an der Decke zu schauen!“ ruft ihr die Chefin nach. Ach ja.
    Helmut hat sich auch schon lange nicht mehr gemeldet, denkt sie und hängt eine Papierrolle in die dafür angebrachte Vorrichtung, schichtet die übrigen zwei auf der Spüle auf und schiebt den Vorhang von der Dusche zur Seite.
    Sie erstarrt. Gebannt schaut sie mehrere Sekunden und kann es nicht fassen. Endlich! Da liegt sie! Zusammengerutscht, wie gestaucht liegt sie in der Dusche, so an die vierzig. Völlig bekleidet zwar und Blut kann sie auch nicht entdecken, doch scheint sie nicht mehr am Leben zu sein.
    Ganz langsam, vorsichtig, beugt Celine sich hinunter, nähert sich dem fahlen Gesicht, schaut neugierig in die halb geschlossenen Augen und stupst mit dem Finger gegen die Schulter. Nein, die rührt sich nicht mehr, die ist mausetot. Die Haare sind etwas wirr, aber sonst, sieht eigentlich alles normal aus. Sie schaut genauer, ob sich nicht vielleicht irgendwo ein Messer oder eine Pistole versteckt. Nichts, nur die Frau. Vielleicht Gift, denkt sie und richtet sich wieder auf.
    Während sie nach draußen schleicht, ganz ganz leise,  stellt sie verschiedene Überlegungen an. Vielleicht waren es ja die Pillen? Sie greift nach ihrer Handtasche, die Minuten will sie auskosten, die Zeit, in der ihr die Leiche ganz allein gehört. Nachher, wenn die Polizei da ist und man sie befragt hat, wird man sie wieder hinausschicken. Dann holt sie die Videokamera aus ihrer Tasche.

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Kommentare zu diesem Text


 souldeep (06.12.07)
da plätschert sie alltäglich und eher an der grenze
zum langweilig werden daher - aber immer wieder
über so einen kleinen stein hüpfend, damit man
nicht abspringt - und dann dieser schluss!

dieses sich ein "richtiges" leben wünschen und doch
nur immer im eigenen zu hause zu sein...das finde ich
gelungen beschrieben, wie auch der schluss, der sitzt.

liebe grüsse dir
kirsten

 Ganna meinte dazu am 06.12.07:
Vielen Dank, Dein Kommentar freut mich!

mit lieben Gruessen
Ganna

 franky (15.12.07)
Hey liebe Ganna,

Eine fein ausgearbeitete Geschichte, mit einen effektvollem Ende.. Man spürt während dem Lesen direkt die Mühe, die die eintöniger Arbeit als Stubenmädchen verursacht.
Sehr gut gelungen.

Herzliche Grüsse
von
Franky

 Ganna antwortete darauf am 16.12.07:
Vielen Dank, Dein Lob freut mich sehr!

liebe Gruesse
von Ganna
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