Teil 9

Roman

von  NormanM.

Ich war etwa eine Stunde eher in Düsseldorf. So ging ich ein wenig ziellos durch die Stadt. Ich fühlte mich ziemlich fremd dort. Ob die Leute merkten, dass ich nicht von dort kam? Ich hatte irgendwie den Eindruck, sie sahen dort einem an der Nasenspitze an, ob jemand Düsseldorfer war oder nicht. Da sah ich Kirsten, die gerade aus einer Boutique kam. Sie sah mich nicht und ging zügig weiter. Es war noch Zeit bis zu unserer Verabredung, mit Sicherheit wollte sie noch einiges besorgen in der Stadt, trotzdem ging ich ihr schnell hinterher und holte sie ein. „Hi“, sagte sie. „Bist du schon länger hier?“
„Ich bin vor einer halben Stunde etwa angekommen. Hab dich gerade aus dem Laden kommen sehen. Aber ich will dich nicht aufhalten, wenn du noch etwas zu erledigen hast, dann treffen wir uns gleich um eins, wie vereinbart.“
„Nein, ich bin soweit fertig, hab mir gerade etwas gekauft, das trifft sich ja gut, dass wir uns jetzt schon treffen“, sagte sie. „Ich kann dir ja erst mal ein wenig von der Stadt zeigen, ich weiß jetzt nicht, wie gut du dich in Düsseldorf auskennst“, schlug sie vor.
„Ich war bisher nur hier in der City gewesen, sonst kenne ich hier eigentlich nichts“, sagte ich.
„Unseren Rhein hast du auch noch nie gesehen?“, fragte sie.
„Hier noch nicht, nur in Köln hab ich den Rhein gesehen bisher“, antwortete ich. „Dann gehen wir dort mal hin, er ist gleich hier hinter der Altstadt“, entschied sie. Es war schon ein schöner Anblick, direkt auf den Rhein und die Promenade zu blicken, wenn man aus der Altstadt kam. Es sah schon etwas anders aus als in Köln, ich musste mir eingestehen, dass es sogar schöner wirkte als in Köln. Sie ging mit mir die Promenade entlang.
„Gleich kommen wir zu den schiefen Gebäuden vom Mediaviertel“, kündigte sie an. „Die musst du unbedingt sehen.“
„Schiefe Gebäude?“, fragte ich. „Hab ich noch nichts von gehört, so etwas wie der schiefe Turm von Pisa?“
„Na ja, nicht ganz“, sagte sie. Ich war wirklich gespannt.
„Da vorn ist das erste“, sagte sie dann. Ich sah dann ein Haus und es sah wirklich schief aus, nach dem genaueren Betrachten war es wohl nicht wirklich schief, sondern eine optische Täuschung durch die Bauweise. Ich war schon beeindruckt.
„Das ist moderne Architektur“, sagte sie.
„Ja, und sehr gelungen“, fand ich. Das nächste Gebäude sah noch interessanter aus, es war silbern. Es sah aus, wie von einer Alufolie überdeckt und ebenfalls schief. Gern hätte ich Fotos gemacht, aber ich hatte meinen Fotoapparat nicht dabei. Es war schon eine echte Sehenswürdigkeit, fand ich.
„Das ist echt mal etwas anderes, wirklich interessant“, sagte ich.
„Hab ich mir gedacht, dass es dir gefällt“, freute sie sich.
Wir gingen zurück in die Altstadt. Dort zeigte sie mir ein paar Kneipen, wo das Nachtleben herrschte. Vom Düsseldorfer Nachtleben hörte ich ja ständig etwas. Dann kamen wir zur berühmten Königsallee. Sie redete wie eine Reiseleiterin. Da ich diese Straße nur vom Hören kannte, gingen wir sie auch entlang. Eine Designer Boutique nach der anderen. Die Champs-Elysées in Deutschland. „Hier werden schon ein paar teurere Sachen verkauft als bei mir im Laden“, sagte ich.
„Na ja, hier könnte ich es mir auch nicht leisten immer einzukaufen“, antwortete sie.
Würde ich hier arbeiten, hätte ich wahrscheinlich nur hochnäsige und arrogante Kundschaft, dachte ich. Daher wäre es nichts für mich, dort zu arbeiten. Aber trotzdem war es für mich als Modeverkäufer interessant dort mal entlang zu laufen.
„Wollen wir erst mal einen Kaffee trinken gehen?“, fragte sie dann. „Wir können auch gern bei mir einen Kaffee trinken, dann kann ich dir auch mal meine Wohnung zeigen, wenn du willst“, bot sie dann an. Ich war einverstanden. Ich wunderte mich zwar, dass sie mich, obwohl wir uns kaum kannten, in ihre Wohnung einlud, ich hätte es nicht gemacht, weil ich Angst hätte, sie damit zu überrumpeln. Aber ich fühlte mich auch nicht überrumpelt.
Mit dem Auto war es nicht weit zu ihr. Sie wohnte in einem Hochhaus. Ihre Wohnung war größer als meine, etwa 70 qm. Sie war auch etwas teuerer eingerichtet als ich, zumindest sahen die Möbel teurer aus.
„Wirklich schön“, bemerkte ich.
„Danke, ich fühle mich auch sehr wohl hier“, sagte sie.
„Darf ich fragen, was man hier in Düsseldorf für so eine Wohnung an Miete zahlt?“, fragte ich. Ich war neugierig, ich könnte es mir wahrscheinlich kaum leisten, obwohl ich gut verdiente.
„Klar, kannst du fragen, also die hier kostet 900 im Monat.“
Das war schon wirklich heftig. Ich musste vor Erstaunen schlucken, obwohl ich wusste, dass Düsseldorf zu den teuersten Städten in Deutschland gehörte. Sie grinste als sie mein erstauntes Gesicht sah.
„Ja, schon etwas mehr als bei euch“, meinte sie.
„Allerdings“, sagte ich. Aber für jemanden, der dort aufgewachsen ist, ist es wahrscheinlich normal, dachte ich. Mir wären 900 Euro allerdings zu teuer. Aber ich brauchte auch keine 70 qm große Wohnung, 50 genügten mir, und ich wollte nach Köln ziehen, und soviel ich wusste war es da nicht ganz so teuer. „In Köln sind die Mieten nicht ganz so hoch, oder?“, fragte ich sie.
„Ja, da ist es etwas günstiger“, antwortete sie. Da war ich beruhigt. Würde ich mir dort eine Wohnung, so groß wie meine nehmen, könnte ich mir immer noch etwas zwischendurch erlauben und würde noch zum Sparen kommen.
Sie setzte Kaffee auf. In ihrem Wohnzimmer stand ein Klavier. Ich hatte auch mal ein Klavier gehabt, aber nachdem Pia tot war, hatte ich mein Interesse am spielen verloren und es kurz darauf verkauft.
„Du spielst Klavier?“, fragte ich.
„Ja, seit ich acht bin“, sagte sie. „Spielst du auch?“
„Ich habe früher gespielt, ich hab auch selbst ein paar Stücke komponiert“, erzählte ich.
„Du hast selber komponiert?“, fragte sie. „Ich hab damit auch mal angefangen, aber es hatte mir alles nicht gefallen, da hab ich es sein lassen.“
„Na ja, ich hab ja auch nicht viel selbst geschrieben“, sagte ich.
„Und warum spielst du jetzt nicht mehr?“, fragte sie.
„Irgendwie hat mir dann irgendwann die Zeit gefehlt“, behauptete ich.
„Hast du Lust mir mal etwas vorzuspielen, was du selbst komponiert hast?“, fragte sie.
Hätte ich ihr bloß nichts davon erzählt, dachte ich. Als Pia tot war, wollte ich sie nie wieder spielen, weil dann alles nur hochgekommen wäre.
„Ach, ich glaub nicht, dass ich es noch kann, ich bin schon aus der Übung und ich erinnere mich auch gar nicht mehr richtig an die Noten“, versuchte ich mich herauszureden.
„Ach, versuch es einfach, bitte!“, bat sie. Sie lächelte mich so lieb an, ich musste es wohl oder übel tun.
Ich spielte das Stück, was Pia am besten gefiel. Ich hätte ja ein anderes Lied spielen können, aber ich spielte dieses, zum ersten Mal wieder nach über zwei Jahren. Und ich erinnerte mich noch an jede einzelne Note, es war als spielte ich es noch immer regelmäßig. Es war plötzlich wie damals, ich fühlte mich wie zurückversetzt. Es machte mich traurig, diese Melodie zu spielen, aber ich spielte weiter bis zum Ende.
„Das war wunderschön“, sagte Kirsten beeindruckt. Ich dankte ihr. Kurz darauf merkte sie, dass ich sehr nachdenklich war und fragte, was los sei.
„Ich möchte wieder nach Hause“, sagte ich langsam.
„Hab ich irgend etwas Falsches gesagt?“, fragte sie verwirrt.
„Nein, nein, so meine ich das nicht. Es hat nichts mit dir zu tun. Ich meine damit nicht, dass ich zurück in meine Wohnung will“, antwortete ich. „Ich habe kein zu Hause mehr“, fing ich an zu erklären.
„Ich verstehe nicht“, erwiderte sie. Wie konnte sie auch, bei meinem Gefasel. So erklärte ich weiter.
„Ich hab das Lied damals gespielt, als ich noch mit meiner Freundin zusammen war, ich hatte es für sie geschrieben, sie mochte es auch. Danach hatte ich mir geschworen, es nie wieder zu spielen, weil es mich nur an sie erinnert. Ich denke jeden Tag an sie, ich vermisse sie, ich hätte das Lied nicht spielen dürfen, es hat mich nur noch mehr an die Zeit erinnert, als ich mit ihr zusammen war und es für sie gespielt habe. Seit diese Zeit vorbei ist, habe ich kein zu Hause mehr. Ich möchte einfach wieder zurück zu damals.“ Ich hätte heulen können, aber ich tat es nicht, vermutlich hatte ich keine Tränen mehr dazu. Es war das erste Mal, dass ich wieder mit jemandem darüber sprach.
„Ich verstehe dich“, sagte sie. „Es tut mir so leid, dass du wegen mir jetzt so daran erinnert wurdest.“
„Nein, du konntest es ja nicht wissen. Ich hätte nicht erzählen sollen, dass ich auch mal Klavier gespielt habe. Mir hätte klar sein müssen, dass du dann möchtest, dass ich dir etwas vorspiele. Ich weiß selbst nicht, warum ich trotzdem davon erzählt habe.“
„Vielleicht, weil du darüber reden wolltest.“
„Nein, ich habe mit niemandem in der Zeit darüber gesprochen.“
„Vielleicht wurde es langsam Zeit, dass du dich jemandem anvertraust.“ Vielleicht hatte sie Recht.
„Wie lange ist das jetzt her?“, fragte sie.
„Zwei Jahre“, sagte ich. „Ich weiß, ich muss sie endlich vergessen, ich will ja endlich über sie hinwegkommen, aber es kommt einfach zu oft alles wieder hoch.“
„Warum seid ihr nicht mehr zusammen?“, fragte sie.
„Pia ist tot“, sagte ich leise.
„Oh Gott, das tut mir so leid“, sagte sie mitfühlend. „Was war denn passiert?“ Da erzählte ich ihr alles. Auch von Bianca, die nicht mehr in Dortmund wohnte, wodurch ich keinen Kontakt mehr zu ihr hatte und von Melanie, die mit mir nicht mehr sprach, wodurch ich mich seitdem immer allein fühlte. Sie hörte wirklich zu.
„Ich fühle mich schon besser, danke, dass du mir zugehört hast“, sagte ich danach zu ihr.
„Du hast es zu lange in dich hineingefressen“, sagte sie. Ich wusste nicht, warum ich es ihr, einer eigentlich wildfremden Frau anvertraute, aber ich wusste, ich hatte eine Freundin gefunden. Sie war eigentlich nicht die Art von Freundin, die ich mir gewünscht hatte, aber sie war auf ihre Weise ein wunderbarer Mensch.
„Weißt du, als du mir im Zug gesagt hast, dass du Düsseldorferin bist, hab ich versucht, dich auf keinen Fall zu mögen, weil ich Düsseldorfer normalerweise nicht leiden kann, aber nach einer kurzen Zeit fand ich dich doch sympathisch. Ich hab irgendwie ein schlechtes Gewissen, dass ich anfangs so ein Vorurteil dir gegenüber hatte“, beichtete ich ihr.
Sie lachte. „Ist schon in Ordnung. Aber was hast du gegen Düsseldorfer?“, fragte sie.
„Ach, sie kamen mir immer so hochnäsig vor. Aber ich hätte nicht alle in einen Topf stecken sollen, du bist ja schließlich auch nicht so.“
„Einige hier sind wirklich so“, gab sie zu. „Viele beurteilen andere nur nach ihrem Styling.“
„Ja, genau die meine ich. Ich hab dann immer gedacht, dass alle so sind hier“, erklärte ich.
„Dann war das heute wahrscheinlich nicht der richtige Ort für ein Treffen“, meinte sie grinsend.
„Ich kann nur sagen, dass es mir sehr gefallen hat, es ist wirklich eine schöne Stadt“, sagte ich.
„Na, das ist doch schön“, sagte sie.
Ja, es gefiel mir dort wirklich. Und was die Leute betraf wurde mir klar, dass die Leute im Ruhrgebiet auch nicht besser waren. Dort hielten sich auch viele für die besten, obwohl die überhaupt keinen Grund dazu hatten.
„Hast du heute Abend eigentlich schon was vor?“, fragte sie.
„Nein“, sagte ich.
„Weißt du was? Komm doch einfach heute Abend mit in die Altstadt, wenn du schon mal in Düsseldorf bist, musst du auch unbedingt hier das Nachtleben kennen lernen. Dann kannst du heute auch mal ein paar von meinen Bekannten kennen lernen.“
„Klar, gern“, erklärte ich mich einverstanden. „Ich müsste dann nur vorher sehen, wann der letzte Zug zurück zu mir fährt.“
„Ach, mach dir darüber mal keine Gedanken, du kannst gern heute Nacht hier bleiben, wenn es spät wird“, schlug sie vor.
Sie hatte wohl überhaupt keine Bedenken dabei, eine eigentlich wildfremde Person bei sich übernachten zu lassen. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie irgendwelche Hintergedanken hatte. Ich war einverstanden.
Ihre Bekannten schienen ganz nett, aber dennoch fühlte ich mich ein wenig fremd und auch ein wenig unwohl. Aber das war ja auch nichts Ungewöhn-liches, zum einen war ich ja schon seit über zwei Jahren nicht mehr aus und zum anderen waren es völlig andere Menschen als die, die ich gewohnt war.
Es war alles sehr teuer, aber ich musste mir ja auch mal etwas gönnen. Ich hatte ja jahrelang nichts ausgegeben und so trank ich, aber ich passte auf, wo die Grenze war, ich wollte mich nicht vor Kirsten und ihren Freunden blamieren. Mit der Zeit wurde ich lockerer, so dass es ein schöner Abend wurde. Kirsten sorgte auch dafür, dass ich mich nicht ausgeschlossen fühlte.
Bei ihr zu Hause hinterher passierte nichts zwischen uns. Sie schlief im Bett, ich auf der Couch. So hatte ich es mir auch vorgestellt, aber abgeneigt wäre ich trotzdem nicht gewesen.
Ich wachte früh auf am nächsten Morgen, ich hatte zwar erst ein paar Stunden geschlafen, dennoch fühlte ich mich hellwach. Ich wäre schon gern aufgestanden, aber ich wollte Kirsten noch nicht wecken. Ich versuchte noch einmal einzuschlafen, aber es gelang mir nicht. Ich dachte über den vergangenen Abend nach. Irgendwie passte ich nicht richtig zu den Leuten, es war zwar lustig, aber das lag mehr daran, dass ich vom Alkohol angeheitert war. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich bei diesen Leuten irgendwie verstellen musste. Diese Leute waren zwar nicht viel älter als ich, aber irgendwie standen sie mehr im Leben. Ich mochte es zwar beruflich bereits zu etwas gebracht haben und würde es mit  Sicherheit noch weiterbringen können, aber dennoch war ich tief in mir noch immer ein naiver und verspielter Teenager. Aber irgendwie liebte ich diesen Teenager in mir.
Als ich hörte, dass Kirsten zur Toilette ging, stand ich auf und sagte, dass ich mich auf den Weg machen wollte. Sie war überrascht darüber, ich sagte ihr dann, dass ich nicht mehr schlafen könne, was ja auch der Wahrheit entsprach. „Ich muss auch nicht mehr schlafen, ich mache uns Frühstück.“
„Ach, für mich brauchst du nichts zu machen, ich hab noch keinen Hunger, ich trinke höchstens einen Kaffee mit. Aber du brauchst dir wegen mir keine Umstände zu machen.“
„Es macht mir keine Umstände, darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen“, sagte sie.
„Wenn das so ist, dann bleibe ich natürlich gern noch ein wenig“, sagte ich, das war auch die Wahrheit, ich mochte sie ja und wollte auch weiterhin den Kontakt zu ihr halten, wenn ich auch nicht wirklich in ihren Bekanntenkreis passte. Aber sie akzeptierte mich trotzdem und ich konnte mich ihr anvertrauen.
„Du hast dich gestern anfangs unsicher gefühlt als meine Freunde dabei waren, oder?“, fragte sie dann.
„Ja, irgendwie ich hab mich so fremd gefühlt, na ja, ich hab ja schon so lange keine Menschen mehr kennen gelernt und bin es nicht mehr gewohnt“, sagte ich. „Das versteh ich“, sagte sie.
„Aber du hast mich ja zum Glück nicht allein gelassen“, lachte ich.
„Dann ist es ja gut“, antwortete sie beruhigt.
„Du kannst mich auch gern mal besuchen, aber leider kann ich dir niemanden vorstellen“, sagte ich.
„Das macht doch nichts. Aber vielleicht kannst du mich ja ein wenig über Mode beraten“, sagte sie.
„Sehr gern“, sagte ich. „Aber ich denke, du hast kaum Beratung nötig. Besonders toll finde ich den Nadelstreifenanzug, den du im Zug anhattest, an dir.“
„Den hast du dir wohl gemerkt. Freut mich, dass er dir gefallen hat“, sagte sie. „Ich habe noch einen anderen, soll ich ihn mal anziehen?“, schlug sie vor.
„Ja, gern“, sagte ich.
„Ich zieh mich mal eben um“, sagte sie und ging zurück ins Schlafzimmer.
Nach ein paar Minuten kam sie zurück.
„Und gefällt es dir?“, fragte sie.
„Perfekt“, sagte ich.
Sie betrachtete sich im Spiegel. Ich kam dazu und stellte mich daneben.
„Du bist wunderschön“, sagte ich.
Plötzlich konnte ich mich mehr zurückhalten und küsste sie. Sie erwiderte den Kuss. Und im nächsten Moment hatten wir Sex. Die dritte Frau in einer Woche. Aber nach dem Orgasmus fühlte ich mich mies. Ich fand, es war irgendwie nicht richtig. So richtig glücklich schien auch sie nicht zu sein, sie sah es wohl auch als Ausrutscher an.
Sie setzte Kaffee auf. Schweigend tranken wir ihn danach. Anschließend fuhr sie mich noch zum Bahnhof. Ich lehnte zwar ab, aber sie tat es trotzdem. Wir sprachen auch während der Fahrt nicht. Schließlich kamen wir am Bahnhof an. Ich wollte nicht einfach so aussteigen, irgendetwas musste ich sagen.
„Wir wissen wahrscheinlich beide, dass wir es besser nicht hätten tun sollen“, sagte ich. Sie nickte. „Aber ich möchte nicht, dass sich jetzt unsere Wege einfach so wieder trennen“, sagte ich danach.
„Das wäre blöd. Man kann Fehler machen. Lasst uns die Sache einfach vergessen“, meinte sie.
„Das heißt, wir hören wieder voneinander?“, fragte ich nach.
„Na klar“, antwortete sie und lächelte wieder. Ich war erleichtert.
„Also, bis bald“,  verabschiedete ich mich.
„Bis bald“, sagte sie.
Ich stieg aus. Mir war völlig klar, dass es meine Schuld war. Ich hätte mich zurückhalten sollen. Vor einer Woche noch, hatte ich mich geschämt, dass ich außer Pia noch mit keiner Frau sexuellen Kontakt hatte, und jetzt, wo ich innerhalb von einer Woche mit drei Frauen Sex hatte, fühlte ich mich jetzt plötzlich mies. Wie konnte ich mich nur dafür schämen, außer mit Pia noch mit keiner Frau Sex gehabt zu haben, ich liebte sie schließlich, wie konnte ich mir dann Vorwürfe machen, dass ich nur mit der Frau, die ich liebte, Sex hatte. Für Kirsten hatte ich keinerlei Gefühle, die in die Richtung gingen. Sie war einfach nur eine Frau, die ich sympathisch fand und zufällig auch attraktiv war. Aber wir wollten es vergessen, hatte sie gesagt. Ich hoffte, wir konnten es wirklich vergessen und Freunde werden. In ihr hatte ich endlich jemanden gefunden, mit der ich reden konnte, ich wollte sie nun nicht wieder verlieren.
Ich drehte mich noch einmal um und winkte ihr zum Abschied. Es hatte schon etwas von einem Abschied für immer. Warum hatte sie sich auf Sex mit mir eingelassen? Vielleicht war sie über die Trennung von ihrem Freund auch noch nicht weg und tat es aus Verzweiflung. Für mich war es auch nur Verzweiflung, es gab mir aber mein altes Leben nicht zurück, und genau das wollte ich immer noch zurück haben.
Mein Urlaub war vorbei, ich wusste nicht, ob ich mich auf den nächsten Tag freute oder nicht. Es war sicherlich eine Menge an Bürokram liegen geblieben, um den ich mich kümmern musste. Dazu hatte ich keine große Lust. Ich fragte mich, ob ich nicht als Verkaufsleiter zurücktreten sollte und als normaler Verkäufer arbeiten sollte, auch wenn es weniger Geld bedeutete. Ich wollte einfach nur für meine Kundinnen da sein, und das konnte ich in meiner Position nur zur Hälfte. Vielleicht sollte ich mein Fernstudium auch einfach schmeißen. Aber ich wollte es mir noch durch den Kopf gehen lassen.

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Kommentare zu diesem Text


 Omnahmashivaya (08.01.08)
Hallo, ich mag, wie du Düsseldorf beschreibst :) Bald ist es ja auch deine Heimat. Lg Sabine
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