15. Strophe

Text

von  ManMan

15
Voll ist der alte Hörsaal nicht, aber
zwei Dutzend Hörer einer Dichterlesung
das ist nicht so schlecht
stimmten wir überein.

Vanessa sitzt ganz vorne in der ersten Reihe
schaut öfter hoch zu mir und tätschelt Pico
der ganz brav zu ihren Füßen liegt.

Der Lektor neben ihr erhebt sich jetzt.
Er wendet sich zum Publikum
und kündigt an die Lesung aus einem Roman
den der Verlag neu aufgelegt.

Dann lese ich aus meinem Werk, erst langsam
nach dem Echo suchend in den Augen
derer, die mich hören.

Dann nimmt mein eigner Vortrag mich gefangen.
Ich setze Akzente, mit der Stimme, mit den Händen
bis ich die Hörer in den Bann geschlagen habe.

Bisweilen bin ich abgelenkt
vor lauter Freude über den Erfolg und
wenn Vanessa blinzelt, ihre Augen
glitzernd und strahlend eine Brücke bauen.

Ich verliere mich, entweiche mir und meiner Welt
die Stimme, die ich höre, wird mir fremder
desto länger ich ihr lausche.
(Später wird der Lektor fragen, was mir fehlte.)

Ich trage eine Stunde vor, dann folgt die Diskussion
Die Fragen sind nicht schlecht, bis auf
die eine zu Vanessa. Dazu sag ich nichts.

Und ganz zum Schluss verkauf ich noch vier Bücher
handsigniert, nicht ohne ein Gefühl
von Peinlichkeit. Das war’s.

Und weiter geht’s: Wir sind in Bonn, wir haben ein Hotel
der Lektor bleibt nur kurz und zieht sich dann
diskret zurück. Wir sind allein.

Ich weiß: sie wird kein Wort verlieren über meine Lesung
was war, was sein wird, zählt nicht, das ist gut
an diesem Abend und an vielen anderen.

Der volle Mond erleuchtet sich
und seine Welt ringsum.
Wir dunkeln ab und liegen eng beisammen.

Ach! seufz’ ich, spieltest du mir jetzt
doch etwas vor auf dem Klavier!--
Sie schaut mich lächelnd an und überlegt.

Dann ruft sie an. Es dauert nicht mehr lange
und sie sitzt am Flügel des Hotels
mit mir allein im Saal.

Die Töne rollen unter ihren Fingern.
Ich schließe meine Augen. Es ist eine Lust.
Herrlich! ruf’ ich ihr zu, du spielst phantastisch!
Sie lächelt und spielt weiter. Nur für mich allein.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Caterina (46)
(12.07.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram