Zodiac

Erzählung zum Thema Reisen

von  Mutter

Molly beginnt den Tag bereits angepisst. Während wir uns steif und verfroren am Straßenrand mit Evian die Zähne putzen, stelle ich gutgelaunt fest, dass ein Kaffee jetzt nett wäre.
‚Halt bloß die Schnauze, Corker‘, fährt sie mich an.
‚Latte Macchiatto, oder eine Riesen-Schale Milchkaffee.‘ Mir macht das Spaß.
Ihr nicht. Sie fährt herum, Schaum der Zahnpasta um den Mund, und bedroht mich mit ihrer Zahnbürste. ‚Noch ein Wort!‘
‚Niemand hat dich gezwungen, auf unseren kleinen Ausflug mitzukommen‘, behaupte ich. Das ist gelogen. Ich  hätte sie dazu gebracht.
Der Wecker meines Handys hatte uns um halb Sechs aus unbequemem Halbschlaf gerissen und ich hatte mehrere Versuche benötigt, um Molly dazu zu bringen, mehr als ihre Nasenspitze unter ihrer Jacke hervorzustrecken.
‚Was für ein beschissener Trip‘, hatte sie gezischt und mir damit Anlass zu guter Laune gegeben.
Als ich ausstieg, verzog ich kurz das Gesicht. Der Regen berührte kalt, erfrischte mein Gesicht.
‚Fuck!‘, sagte Molly, die in der offenen Autotür saß und mit den Füßen nach den Stiefeln fischte. Nahm wortlos die Wasserflasche von mir entgegen, um ebenfalls den widerlichen Geschmack im Mund loszuwerden.
Ich zwinker ihr zu und wische mir mit dem Ärmel über den Mund. ‚Beeil dich – viel Zeit haben wir nicht mehr. Der Treffpunkt liegt außerhalb des Ortes.‘

Kurze Zeit später rollt der Wagen auf den Parkplatz oberhalb des Nordstrandes. Keine Ahnung, warum der Nordstrand heißt – Ballycastle besitzt überhaupt nur einen Strand und die gesamte Küste liegt nach Norden.
Es ist kein Sandstrand, sondern wie meist in Irland, ein harscher Kiesstrand, über den wir mit unsicheren Schritten laufen. Zweihundert Fuß von uns entfernt liegt das nachtschwarze Boot mit den gelben Streifen in der trägen Dünung. Digger Junior steht daneben, die Gummistiefel von derselben Farbe wie unser Seetransport. Er nickt uns zur Begrüßung zu und wartet, bis wir an Bord geklettert sind. Zwischen den hölzernen Bodenplatten schwappt Seewasser hin und her. Das Gummi der Seitenkissen ist vom Regen nass und durchweicht meine Hose, als ich mich auf die eine Seite setze. Molly hockt sich mir gegenüber hin, das Gesicht unwirsch verzogen.
Im Wasser stehend, dreht der junge Mann das Boot, schiebt es ein paar Schritte vom Strand weg, bis die kleinen Wellen in seine Stiefel zu schwappen. Klettert dann zu uns rein und klappt den Außenborder nach unten. Startet das doppel-schraubige Monster und zieht langsam die Drehzahl hoch, während das Schlauchboot seine Nase hebt und nach Norden dreht. Richtung Rathlin Island.

Das Wasser kommt in regelmäßigen Abständen und sprüht uns komplett ein. Der weiche Nieselregen, den ich beim Morgenpiss am Seitenstreifen im Gesicht hatte, hat keine Chance gegen die aggressive Gischt, die uns auf der Haut sticht.
Das Schlauchboot, ein Zodiac Marine, powert uns mit sechzig Sachen über und durch das Wasser.
Wir haben die planning stage, die schnelle Gleitphase, erreicht und Digger Junior dreht voll auf. Ich sehe nach hinten und betrachte den Jungen. Von seinem Vater hat er die hängenden Lider und den gleichmütigen Gesichtsausdruck geerbt – schwer vorstellbar, dass dieses Gesicht Überraschung oder Furcht zeigen kann. Freude noch weniger.
Bisher hat er kein einziges Wort gesagt. Taubstumm, könnte man meinen. Oder bloß ein irischer Bauer, würde Stout sagen. Kriegen die Zähne nicht auf, die Kerle, meint er.

Ich betrachte Molly, die mir gegenüber sitzt, die Zähne zusammen gebissen und die Finger links und rechts in das nasse Tau, das die Länge des Schwimmkörpers entlang läuft. Sie blickt starr nach vorne. Spürt meinen Blick.
Obwohl ich versuche, es mir zu verkneifen, muss ich lächeln, als sie mich ansieht. Will sie nicht weiter provozieren, suche Frieden. Sie sieht unglaublich attraktiv aus – die Haare feucht, seidig schimmernd, mit rebellischen Strähnen, die ihr ins Gesicht hängen. Ich sollte Digger Junior und seine Fischaugen ins Wasser stoßen und Molly gleich hier und jetzt nehmen, auf den kalten Brettern.
Für einen Augenblick schlitzt sie die Augen, als könne sie auf diese Weise erkennen, was ich denke. Sieht erneut nach vorne.
‚Wie lange noch?‘, brülle ich gegen den Wind der Irischen See und den Fahrtwind.
Fischauge zuckt mit den Schultern. Hebt seine Hand, öffnet sie zweimal. Zehn Minuten.
Die Info deckt sich mit meinen Erfahrungen von früher. Bis ich auf die Knochen nass bin, dauert es keine weiteren zehn Sekunden.
Langsam wandert mein Blick ebenfalls nach vorne, betrachtet die unförmige Masse aus Grün und Braun, die sich vor uns dumpf aus dem Nebel schält. Mir Beklemmungen verursacht. Was wartet dort auf mich?

Digger Jr. steuert das Boot weiter auf den Rue Leuchtturm zu, bis er kurz vorher abdreht und in einem weiten, geschwungenen Bogen nach links durch den North Channel einschwenkt. Vor uns liegt Rathlin Harbor, vereinzelte Lichter sind im Dunst zu erkennen.
Ich hatte ihm gesagt, er solle uns nicht auf der Nase nach Süden absetzen – zu lang der Trek Richtung Ortsmitte. Stattdessen umgehen wir die einzige nennenswerte Siedlung, der Junge setzt uns am Strand ab und wir können uns auf den Weg zum Ort machen.
Fünf Minuten später drosselt unser Skipper den Motor und wir verlieren Fahrt. Rutschen mit einem Knirschen auf den Sandstrand. Hier ließe sich gut baden – wenn wir Hochsommer statt Herbst hätten. Molly hat ohnehin keinen Bikini dabei.
Wendig klettere ich nach vorne, springe in den feuchten Sand, ohne mir ein weiteres Mal die Füße nass zu machen. Molly folgt mir.
Digger Junior ist an der Seite des Bootes ins Wasser gesprungen, hält es an einem Tau fest. Bereit, es mit der Nase Richtung Süden zu drehen und uns unserem Schicksal zu überlassen.
‚Morgen Abend?‘, will ich wissen.
Er nickt. Sagt langsam: ‚Hundert quid.‘
Überheblich ziehe ich die Augenbrauen hoch. Das ist nicht sein Ernst, oder? ‚Dein Dad hat zweihundert im Voraus bekommen. Wir haben vereinbart, weitere Hundert für jeden Tag, den wir länger bleiben.‘
Der Senior hatte vorgeschlagen, seinen Sohn jeden Abend zur Insel rüberzuschicken, um uns aufzusammeln – für jeden weiteren Tag nach dem ersten würden die hundert Pfund fällig werden.
Digger Junior zuckt mit den Schultern. Sieht mich an. Jede Wette, der muss in tausend Jahren nicht blinzeln.
Mir ist klar, dass er mich gerade versucht auszunehmen als sei nicht er der Fisch, sondern ich. Wir beide wissen – wenn er morgen Abend nicht kommt, stehen unsere Chancen schlecht, vor dem Frühling von der Insel zu kommen. Der Fährbetrieb ist längst eingestellt, und ob die Einwohner uns freundlich genug gesonnen sein werden, um uns ein Boot zu leihen, bleibt unklar. Wenn ich meinen Staub um Money aufgewirbelt habe.
Fuck. Das kleine Arschloch.
Ich nicke, greife in die Tasche. Zähle die Kohle ab, halte sie ihm hin. Er macht zwei, drei unbeholfene Schritte durchs Wasser, eine Hand am Boot, nimmt das Geld. Falls er Angst vor mir hat, Angst, dass ich ihn jetzt fertigmache für seine Unverfrorenheit, zeigt seine stoische Miene nichts  davon. Auch keinen Triumph darüber, dass er mich abgezockt hat. Bewahrt ihn vor Schlimmeren.
Geschickt klettert er ins Boot, hockt sich ohne einen weiteren Blick neben den Außenborder und dreht langsam hoch. Molly steht neben mir und wir beobachten, wie das Zodiac auf der Bugwelle reitend schnell in der diesigen Atmosphäre verschwindet.
‚Hast du Angst, dass er nicht wiederkommt?‘, fragt sie mich.
Ich lache bitter. ‚Nein, der kommt wieder. Holt sich sein Taschengeld ab. Keine Sorge.‘
Mit zusammen gekniffenen Augen drehe ich mich zur Insel um. Fahre fort: ‚Na los, lass uns von hier verschwinden.‘
Molly nickt und folgt mir, den Strand entlang.

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Kommentare zu diesem Text

Alegra (41)
(22.12.09)
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 Mutter meinte dazu am 22.12.09:
In 'Transit' erfahren wir, dass die beiden einen kurzen Stopp in Mollys Wohnung einlegen, um ihre Sachen zu packen - könnte man also von ausgehen, dass sie eine Zahnbürste mit einpackt ... ;)

Ansonsten ist auf der irischen Seite ein Steinstrand - da, wo die beiden anlanden, auf Rathlin Island, hat's Sand.

Muss also alles an der vergangenen Zeit liegen ... ;)
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