IV.
 Inhalt 

V.

Erzählung zum Thema Evolution

von  Lala

V:

Sara war kerngesund. Bei Eva lag Polydaktylie, Sechsfingrigkeit vor. Kein Grund zur Beunruhigung wie die Ärzte uns versicherten, nachdem sie Eva, und auch mich und Ani eingehend untersucht hatten. Es gab eine Operation und nichts erinnerte mehr daran.

Kein Grund zur Beunruhigung. Das hörten wir öfter noch und wir hatten als Eltern in den nächsten Jahren unsere liebe Not.
Sara und Eva vertrugen sich nicht. Sie zankten viel. Keiner verstand warum die beiden sich so spinnefeind waren und blieben. Eva, die intelligentere und Sara die aggressivere. Athletischere. Die Konfrontationen begannen natürlich nicht gleich und sofort, aber als beide anfingen in die Schule zu gehen, wurde es arg schlimm.

Eva zog sich zurück, nachdem sie die Kellertreppe hinuntergestürzt war. Eva behauptete, nachdem sie mehrere Stunden bewusstlos geblieben war, als erstes, dass hätte Sara ihr angetan Sara bestritt das natürlich. Von da an mied Eva Sara wo sie nur konnte. Aber Eva hatte auch sonst kaum Kontakt zu anderen Kindern. Ihre Leistungen blieben trotz Ihrer Intelligenz mäßig. Bei Sara empfahlen sie uns Ritalin.

Das lehnten wir ab. Es verging kein Tag wo ich nach Hause kam, und nicht Ani helfen musste, die Streitigkeiten der Beiden zu schlichten. Zum schreiben, meinem Hobby nach wie vor, kam ich gar nicht mehr.

Häufig schickte ich die Mädchen einfach auf ihre Zimmer und sperrte sie ein. Einmal habe ich sie beide in ein Zimmer gesperrt und ihnen geraten sich zu vertragen. Sie haben sich nicht vertragen. Sie zankten, rissen sich an den Haaren, dann schlugen sie sich. Auch als das erste Blut floss, hörten sie nicht auf, sosehr hatten sie sich ineinander verbissen.

Wir hielten es für eine gute Idee, dass wir so häufig wir konnten, die beiden trennten, dergestalt, dass einer von uns mit einer von beiden zu seinen Eltern fuhr. Abwechselnd. Alleine waren Eva und Sara die liebsten Kinder der Welt.

So hatten wir es auch an jenem Wochenende gehalten. Ani war mit Sara bei Ihren Eltern und ich blieb mit Eva in unserem Haus zurück. Es war ein ruhiger Sonntag. Ich war in meinem Kellerraum, hörte Musik und schrieb. Endlich wieder. Ich schrieb ein Gedicht für meine Frau.

Ein Gedicht in dem ich ihr Hoffnung geben wollte, für die kommenden Jahre. Es war ja auch nicht alles schlecht. Wir liebten uns, verstanden uns gut und ich machte Karriere und verdiente mehr als ausreichend. Mit Geld ließ sich auch so mancher Streit der beiden Hühner unterbinden. Aber diese Bestechungen gefielen uns nicht.

Mit einem Sonett, wollte ich Anjielika überraschen und zog mich dazu in meinen Raum zurück. Immer wieder druckte ich erste Versuche aus und schritt im Tempo der Metrik durchs Zimmer und deklamierte, redigierte. Während ich ein mir ungenügendes Zeilenende immer wieder laut vorbetete, wanderte mein Blick über die Regale, die mit meinem Zeugs vollgestopft waren. Ich
erhoffte Inspiration von dem zumeist alten Trödel und ich fand den Karton.

Er hatte da seit unserem Einzug gestanden. Nun entdeckte ich ihn wieder. Geöffnet hatte ich den Karton nie. Er war noch so wie der Mann ihn mir gegeben hatte. Wie lang war das her? Neun, zehn Jahre? Es war an der Zeit, ihn endlich zu öffnen. Gespannt, holte ich ihn aus seiner Nische, stellte ihn auf meinen Schreibtisch. Ich staubte ihn ab und öffnete ihn. Ich hätte es mir denken können. Ein Art Tagebuch und eine Cd oder DVD. Trotzdem musste ich lachen. Was hatte ich erwartet? Einen Schatz?

Im Tagebuch stand viel unverständliches Zeugs und Formeln. Einmal fand ich die in rot vermerkten Sätze: >Es sitzt in den Keimbahnen der Weibchen. Es hat direkten Zugriff auf das genetische Potential der Nachfolger. Es reproduziert sich nicht selbst, es baut sich durch die anderen Wesen auf.< doppelt unterstrichen.
Auf einer anderen Seite war >Big Five< in großen Lettern gemalt. Big Five? Was sollte das nun wieder? Ich nahm die Disc aus ihrer Hülle und legte sie ein. Ich war verblüfft, dass der PC sie automatisch starten konnte.

Celary erschien auf dem Schirm. Er war nur noch Haut und Knochen. Sein Totenschädel war ernst und besorgt.

„Wenn Sie dies hier sehen, werde ich tot sein. Aber ich wollte Ihnen noch etwas mitteilen und ich verspreche: ich fasse mich kurz. Meine Kraft geht zu Ende. Ich hatte ihnen damals über ein urgeschichtliches Ereignis versucht zu vermitteln, dass wir
Zeugen eines Umbauplanes sind. Ein Umbauplan in dem wir nur Zwischenglied sind.
Ich sprach von Tag Fünf dieser Schöpfung. Das ist richtiger als ich damals dachte. Bislang gab es fünf erdgeschichtliche Katastrophen in denen wir beobachten können, dass es riesige Faunenschnitte gab. Diese Katastrophen sind die Big Five. Das steht auch im Notizbuch und die dazugehörige weiterführende Literatur habe ich auch vermerkt. Demo? Demo ich brauche einen Schluck Wasser. Schnell.“

Der hässliche, kleine Mann von damals kam humpelnd ins Bild und gab seinem Papa ein Glas Wasser. Es war bizarr, diese Personen wieder- und zusammenzusehen. Celary trank aus und fuhr fort.

„Big Five. Fünf Schöpfungstage. Wissen sie, diese Zelle, dieses Virus ist robust. Ich bin mir sicher, dass es über einen Meteoriteneinschlag auf unsere Erde gekommen
ist. Ich bin mir auch sicher, dass es Leben auf der Erde gab, dass sich unabhängig von ihm entwickelt hat. Aber seit dem es unter uns weilt, steuert es das Leben im Allerheiligsten selbst : den Keimbahnen. Es allein bestimmt wie ihre Kinder aussehen
und niemand sonst. Nun ist eine Mutation keine Kleinigkeit. Die meisten sind letal.
Auf einem Planeten mit wenig Biomasse empfiehlt es sich, nicht das große Rad zu drehen. Deshalb lässt es sich Zeit. Beziehungsweise ist so programmiert, sich viel Zeit zu lassen. Aber wenn es zuschlägt, dann gibt es Missbildungen en masse und tote Arten en gros. Faunenschnitte sind seine Schöpfungstage. Am Ende eines solchen Tages bevölkern dann Arten die Welt, die ihrem Schöpfer wieder etwas näher sind.

Göttlicher Funke weilt nicht zurzeit, obwohl der sechste Tag begonnen hat. Sehen Sie sich um. Eine Menge Kohlenstoff ist in der Luft. Kohlenstoff ist der Baustein aus dem wir und es gemacht sind. Dass Sterben hat schon begonnen. Nicht nur für mich.
Seien Sie auf der Hut, Herr Braun.

Bevor wir uns aber voneinander verabschieden. Eines noch: Sie haben mich gefragt ob ich wüsste wie das Ergebnis, das Ziel aussehe? Die Antwort ist: Ja. Jetzt weiß ich es. So ein Gen ist auch kein absolutes Geheimnis mehr. Auf der CD gibt es ein
Programm: „es.exe“. Wenn sie es aufrufen, modelliert es Ihnen einen Stammbaum und präsentiert ihnen am Ende seine Krone der Schöpfung. Es ist eine ziemlich genaue Schätzung. Ich glaube nicht, dass ihnen die gefallen wird. Das war’s. Amen.
Leben Sie wohl. Auf wiederhören.“

Die Vorlesung endete abrupt. Der Bildschirm war fast ganz schwarz. Es stand nur noch eine Frage da: Wollen Sie Es jetzt starten (Ja/Nein). Ich wollte es sehen, drückte Ja und sah grün gezeichnete, dreidimensionale Modelle verschiedenster
Tierarten auf schwarzem Grund. Die Modelle gingen ineinander über. Wurden komplizierter. Ich meinte Tierarten zu entdecken, die ich kannte. Unverständlicher Text wurde hier und dort eingeblendet. Ich wartete nur auf Es. Nach einiger Zeit erschien eindeutig das Modell eines Primaten, dann ein Modell vom Menschen, von uns, und irgendwo meinte ich 99% zu sehen. Dann endlich erschien Es.
Ich sah Es.
Ich sah: Eva.
Meine Tochter.

Natürlich war sie es nicht. Aber das Gesicht dieses Wesens, die Augen, die platte Nase, die langen Gliedmaßen und die Hände. Es waren eindeutig Evas Hände. Sechs Finger an jeder Hand. Die Operation bereitete ihr noch heute Schmerzen. Die Hände dieses Tieres waren kräftig. Es waren Klauen. Das ganze Geschöpf war
brutal. Aber Eva steckte in diesem Geschöpf. Ganz eindeutig. Ich stand auf und ging verzweifelt im Zimmer umher und schaute wieder und wieder auf den Bildschirm, auf das fremde Geschöpf, auf den Nachwuchs meiner Tochter.

Celary hatte Eva nie kennen gelernt. Nie kennen lernen können. Als er starb war Ani mit Sara schwanger. Es war unmöglich, dass er es manipuliert hatte. Doch auf dem Bildschirm drehte sich dieses widerliche, schuppige Geschöpf und meine Tochter
war die kommende Mutter dieses Dämons. Das konnte nicht sein. Und ein Zufall schon gar nicht.

„Was willst du von mir, Gott? Was soll ich jetzt machen? Was?“, rief ich aus. Mein Blick wanderte umher und blieb bei meiner kleinen Arbeitsbibel stehen. Kurz entschlossen griff ich nach ihr. Aber sie entglitt mir so schweißig waren meine Hände und fiel auf den Boden. Da lag sie. Den Buchrücken nach oben.
Aufgeschlagen.
Ich zitterte am ganzen Leib und ahnte, so wie das Buch lag, dass der Sturz die Genesis aufgeschlagen haben musste. Ich atmete durch, drehte es um und begann zu lesen:

"Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak."

War das alles Zufall? Nein. Das konnte kein Zufall mehr sein. Und so nahm auch ich Holz und Messer. Hoffend, betend, dass auch mir ein Engel erscheinen möge, um mich und mein Schicksal aufzuhalten. Aber Gott hatte und hat andere Pläne mit mir
und Eva, als mit Abraham und Isaak.

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