Der Mörder der Kritikerin ist immer der schlechteste Autor

Short Story zum Thema Abrechnung

von  pentz

Kommissar Strobl lachte bei der nächsten Sitzung hell auf, als er in den Raum trat. „Leute, ich habe eine grandiose Idee! Wie wir uns eine Menge Arbeit sparen können!“
Seine Kollegen verfielen in Begeisterung ob dieser Idee, schließlich hätten sie Hunderttausende von zweitrangigen Schriftstellern befragen müssen.
Diese Aussicht zu umgehen, bot Strobl an. „Habt ihr da einmal daran gedacht: der Mörder ist mit ziemlich Wahrscheinlichkeit derjenige, den unsere Kritikerin am übelsten mitgespielt hatte. Nicht wahr!“
Die Mitarbeiter nickten und dachten wohl jeder, warum er nicht selbst darauf gekommen sei.
„Genau! Höchstwahrscheinlich zumindest“, schränkte schon wieder dieser Spielverderber von einem Kommissar ein. „Wenn man die individuelle Sensibilität eines sehr sensiblen Autoren außer Acht lässt. Aber in diesem Fall müssen wir das. Wir können erst einmal mit dem übel ramponiertesten Schriftsteller anfangen, dann sehen wir ja weiter.“ Die Sitzung endete damit in aufgeräumter Hoffnungsträchtigkeit. Bald schon würden sie das bemitleidenswerteste Opfer der rücksichtslosen Kritikerin ausfindig gemacht haben und ihn dann so in die Kandare nehmen, dass ihm die Luft ausbleiben würde. Ob es zu einem Geständnis reichte, würde sich ja zeigen.

Bei der nächsten Sitzung mussten die recherchierenden Kriminaler allerdings ein großes Dilemma einräumen. Fast alle Autoren nämlich waren von der Kritikerin in vernichtender Art und Weise behandelt worden, nämlich allesamt total vernichtend.
Der Kommissar sah rot und blies seine Wut aus: „Au Backe, dann müssen wir halt die schlechtesten Autoren suchen, weil die ja meist am empfindlichsten reagieren!“ Meier-Wilhelm-Kaiser äußerte ein Ja-Aber, indem er dazu meinte: „Da ist sicherlich etwas dran! Aber leider geht das nicht!“ „Warum?“, entgegnete der Kommissar. „Weil wir keine Literaturkritiker sind.“ „Na eben!“, meinte der Kommissar. „Von daher haben wir den unvoreingenommensten Blick dafür und erkennen am ehesten den schlechtesten Schreiberling.“
Meier-Wilhelm-Kaiser war jedoch immer noch nicht zufrieden. „Da ist natürlich etwas dran. Das schmeichelt natürlich unserem Ego. Aber überlegt mal, wir müssen das Pferd anders aufzähmen. Objektiver rangehen!“
Der Kommissar, der allmählich merkte, dass er sich vorhin in etwas hineingeritten und seinen kalten Verstand verloren hatte, nickte zu, als wüsste er schon eine Antwort. Die überließ er allerdings Strobl.
„Na, wir suchen denjenigen Schriftsteller heraus, der am häufigsten von dieser Kritikerin durch den Kakao gezogen worden ist. Dann haben wir eine wissenschaftliche Herangehensweise.“ Der Kommissar stimmte unumwunden und sofort zu, auch um seine zu schnelle Vorgehensweise von vorhin schnell wieder vergessen zu machen.

So kam ich ins Kommissariat. Vor mir saßen alle Ermittler. Der Kommissar erläuterte die Gründe, weswegen ich hierher zitiert worden war. Ich versuchte mich zu winden, zu lavieren und zu drehen, aber mein Stein auf dem Herzen war schwerer als meine Sturheit. Befreit atmete ich aus und auf. Ich ergab mich in mein Schicksal und gestand.
„Aber musste es denn gleich Mord sein?“, fragte der Kommissar. Ich blieb ihm die Antwort schuldig. Warum ich es nicht erklären kann, nicht einem Menschen wie den Kommissar, der in einer kurzen Phase seines Lebens selbst einmal geschrieben haben soll, weiß ich auch nicht.
Ich weiß überhaupt nicht, wer mich versteht.
„Kommt es zur Anklage, Herr Kommissar?“
„Nein, ich denke nicht. Es ist schließlich ihr gutes Recht, Kritiker hinzumorden - in der Literatur!“
Mir fiel ein Stein vom Herzen.

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