Endlose Geschichte...

Erzählung zum Thema Krankheit/ Heilung

von  Alias

Das ist meine vierte harte Chemo, hart deswegen, weil weniger harte dazwischen lagen, zum Beispiel in Tablettenform, die haben zwar kaum Nebenwirkungen gezeigt, aber auch nicht viel Wirkung.
Jedenfalls ist diese harte Chemo besonders schlimm. Wieder verliere ich meine Haare, ich könnte sie büschelweise herausziehen, aber natürlich tue ich es nicht. Ich hätschle den Rest meiner Haare. Eine neue Perücke habe ich zwar vorsorgehalber schon, aber ich zögere es hinaus, sie aufzusetzen.
Und ich fühle mich schlecht, ich habe Durchfall, es läuft so aus mir heraus, und alle meine Schleimhäute tun fürchterlich weh, ich wusste bis jetzt gar nicht, wo man überall Schleimhäute hat. Es sind ziemlich viele, und vor allem die im Hals, die lassen mich nichts mehr schlucken, ich kann höchstens Suppe schlürfen, und die macht mich nicht satt.
Immerhin habe ich meinen Appetit nicht ganz verloren, blöderweise kann ich auch nicht mehr viel beißen, die Zähne mussten alle gezogen werden. Chemo... Das neue Gebiss tut weh, hat mir den ganzen Urlaub versaut, weil das Zahnfleisch eiterte. Ja, die Sache ist nicht sehr romantisch, und ja, ich fahre noch in Urlaub, wenn auch nur für eine Woche, ich werde so lange fahren, wie ich es noch kann. Scheiß drauf!
Der Witz an der Sache ist: Weil ich so aufgedunsen bin vom Cortison und den anderen Medikamenten, denkt bestimmt mancher, ich hätte keine Falten, tatsächlich sehe ich fünfzehn Jahre jünger aus als ich bin – und vor allem überaus gesund. Aber es sind nur die Medikamente. Auch Scheiß drauf!

Wenn ich mir vorstelle, wie lebenslustig ich früher war... Jetzt bin ich nur noch ein Schatten meiner selbst, mal trivial gesagt, wenngleich ich sogar in diesem desolaten Zustand immer noch mehr unternehme als viele kerngesunde Menschen. Ich glaube, meine Gedanken verwirren sich, ich kann nicht mehr zusammenhängend denken, nur stückweise. Vorgezogene Demenz, manchmal weiß ich nicht, wer mich gestern besucht hat. Wegen der Medikamente?
Trotzdem spüre ich, dass es einsamer um mich wird. Viele die ich für meine Freunde hielt, kommen nicht mehr, nur ganz wenige trauen sich hierhin. Und sie erzählen vom Urlaub... Gut, bis jetzt habe ich jede Gelegenheit genutzt, zum Beispiel am Ende einer Chemo, um in Urlaub zu fahren. Manchmal habe ich meinen Enkel mitgenommen, er ist so ein liebes Kerlchen, und er liebt mich, wird er mich wohl vermissen? Ich will nicht gehen, ich will ihn nicht verlassen, aber es muss wohl so sein.
Wieso fühle ich mich in diesen kurzen Urlauben immer glücklicher als zu Hause? Ich fühle mich dort so wohl, auch mein körperlicher Zustand ist besser als zu Hause. Woran liegt das? An der noch nicht vorhandenen Umweltverschmutzung, an der Lostgelöstheit, an meinem Enkel? Alles ist möglich, und warum blieb ich nicht einfach dort? Weil eine ungewisse Hoffnung mich nach Hause trieb, die Hoffnung auf Heilung, auf ein Wunder? Ha! Wie auch immer, das mit dem Urlaub ist jetzt erst einmal vorbei. Viel zu schlechter Allgemeinzustand... Werde ich überhaupt noch mal in Urlaub fahren können? Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es so sehr.

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