Der Fernseher spricht (2)

Fernsehspiel

von  autoralexanderschwarz

„Du gehörst ganz eindeutig zu den Guten“, sagt der Fernseher, „denn du bist keiner dieser bösen Selbstmordattentäter, die sich am liebsten auf belebten Plätzen in die Luft sprengen, du bist kein U-Bahn-Schläger, der es auf brave Familienväter abgesehen hat, kein Vergewaltiger, der in dunklen Büschen auf arglose Joggerinnen lauert, kein Dieb, kein Steuerbetrüger, der sein Vermögen ins Ausland schafft. Du hast niemandem was getan und klar kann man immer mehr tun, aber wenn alle so gesetzeskonform und friedlich leben würden wie du, dann gäbe es doch all diese Probleme in der Welt gar nicht.“

„Du bist etwas Besseres“, schmeichelt der Fernseher, „nicht so kaputt wie diese Jugendlichen, die schon mit 16 Kinder zeugen oder gebären, du bist nicht so, wie diese traurigen Gestalten, die dabei gefilmt werden, wie sie ihr Existenzminimum für Alkohol und Zigaretten ausgeben und das Sparschwein der Kinder für die Handyrechnung plündern. Du bist nicht so peinlich, wie diese Menschen, die für ein paar Hundert Euro in Casting-Shows ihre Würde vor einem Millionenpublikum verkaufen und du bist auch nicht so gemein, wie diese Juroren, für die du manchmal fast ein wenig Scham empfindest, dabei kannst du sogar besser singen, tanzen und modeln als so mancher Kandidat.“

„Du hast es zu etwas gebracht“, flüstert der Fernseher, „weil du deine Rechnungen pünktlich bezahlst, deine Termine in einen Kalender schreibst, weil du dir den Wecker stellst, früh aufstehst, arbeiten gehst, egal was oder wofür, Hauptsache, du bist pünktlich, zuverlässig und gut gekleidet, egal ob als Investmentbanker oder als Bäcker, du bist verantwortungsvoll, weil du jetzt schon an die Zukunft denkst, weil du für später vorsorgst, weil du eine Lebensversicherung hast, einen Riester- oder Bausparvertrag für das mietfreie Eigenheim und eine Haftpflicht- und Glasbruchversicherung, falls du mal aus Versehen etwas kaputt machst.“

„Du bist außergewöhnlich intelligent“, sagt der Fernseher, „du durchschaust die Taschenspielertricks der übergewichtigen Wahrsagerinnen mit Kugel oder Tarotkarten, du erkennst die psychologische Raffinesse der übermotivierten Verkäuferentertainer, die nach dem letzten Angebot immer noch ein weiteres, attraktiveres machen, du kennst so oft die Antworten in den Quizsendungen, weil dein Allgemeinwissen so groß und differenziert ist und wenn du dir einen Film anschaust, weißt du meist schon am Anfang, wer der Täter ist, weil du nicht nur schlau, sondern auch außergewöhnlich kreativ bist.“ 

„Darum musst du dir auch keine Sorgen machen“, sagt der Fernseher, „denn auch wenn sich gerade viel verändert, Menschen verarmen und immer wieder irgendwo irgendwelche Dinge explodieren, bleibt doch in Wahrheit alles so wie es ist, die Produkte werden nur immer schneller, besser, schöner und dabei auch noch billiger, so dass du dir viele verschiedene davon leisten kannst. Du musst nur die entsprechenden Sonderangebote abwarten oder einen Kredit aufnehmen und wenn dein neues Smartphone auch teuer ist, zeichnet es sich doch durch ein besonderes Design aus und du kannst ja schließlich alles auch in Raten zahlen.“

„Ansonsten musst du jetzt erst mal nichts tun“, sagt der Fernseher, „weil die Entscheidungen ja ohnehin woanders getroffen werden, weil die Dinge eben so sind, wie sind, aber wenn du möchtest, dann kannst du ja in deiner Freizeit  mit Anderen demonstrieren gehen, Transparente bemalen und mit Gleichgesinnten, Sprechchören und einem Bier in der Hand durch die Straßen spazieren, an Friedensmärschen teilnehmen und dich in Lichterketten einreihen. Du kannst deine eigene Website erstellen und kleine Gedichte für den Weltfrieden schreiben, so kannst du zumindest dokumentieren, dass du es anders besser fändest und vielleicht findest du so auch neue Freunde, die ähnlich denken wie du, aber eigentlich ist es am besten, wenn du einfach dort sitzen bleibst, denn es bringt ja letztendlich doch nichts, einer mehr oder weniger wird nicht auffallen und wenn du jetzt gehst, dann könntest du etwas verpassen.“

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Kommentare zu diesem Text


 Thomas-Wiefelhaus (31.12.20)
Es heißt ja: Fernsehen verdummt.

Aber manches Mal zeigt uns das Fernsehen auch die vielen Dinge, die die Politik (noch) nicht versteht.

Ein Überdruck-Ventil für unseren inneren Dampf, aber kein Mittel der Veränderung, wenn wir vor dem Gerät sitzenbleiben.
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