Aphorismen 2005-2016

Cut-Up zum Thema Weisheit

von  Terminator

1. All dein Wehklagen und Jammern ist gelogen, wenn du tätlich kommunizierst, dass du glücklicher bist, als du es allein ertragen kannst, indem du ein Kind in die Welt setzt.

2. Geliebt zu sein ist wie ein Paar Flügel unterm Mantel, beliebt zu sein ist wie Scheiße am Schuh.

3. Das Alter ist eine hässliche Braut, die der Tod heiraten muss.

4. Der Tod für sich ist keine Notwendigkeit, erst die Geburt macht ihn dazu.

5. Mord und Selbstmord gleichsetzen wird nur ein Mörder oder ein Feigling.

6. Das Schlechte strebt nach Selbstreproduktion, das Gute bleibt einzigartig.

7. Die Wahrheit erkennt man am Geschmack: sie ist bitter.

8. Verviehung durch Zahl: Die Überbevölkerung der Welt führt die Würde des Menschen ad absurdum.

9. Die Liebe duldet keine Verträge, nur bedingungslose Kapitulation.

10. Ist eine Wahnvorstellung unheilbar, nennt man sie Religion.

11. Offenbar war Jesus ein Zauberer (er ging auf dem Wasser), der den Teufel persönlich kannte (die Versuchung in der Wüste). Hätte es zu seiner Zeit Christen gegeben, wäre er am Haufen gescheitert.

12. Die Selbstsucht ist die Suche eines Selbstlosen nach seinem Selbst.

13. Das Alleinsein ist nicht die Ursache der Einsamkeit, sondern das wirksamste Schmerzmittel dagegen.

14. Wenn die öffentliche Meinung die Meinung der Öffentlichkeit ist, dann gehört die Öffentlichkeit in die Geschlossene.

15. Die Mathematik ist die Metaphysik der Positivisten.

16. Schuldgefühle und schlechtes Gewissen sind Urkundenfälscher.

17. Geistreichtum ist Raub und Diebstahl, wenn er durch Gefühlsarmut erkauft wird.

18. Was nützt es, Recht zu haben, wenn auf der anderen Seite ein reines Gewissen steht?

19. Die Wahrheit nimmt alles Gesagte persönlich.

20. Die Zeit ist eine Braut, die nicht schnell genug Witwe werden kann.

21. Die Erkenntnis mündet im Freitod, die Unwissenheit in einer Hinrichtung.

22. Wenn Gewalt keine Lösung ist, dann ist Frieden kein Problem.

23. Keuschheit ist kein Verzicht, sondern eine Lebenshaltung, die - so unmittelbar wie Lust und Freude empfunden wird - ein Sinnesorgan für Würde ausbildet.

24. Was die Hoffnung für das Herz ist, ist die Eitelkeit für den Verstand.

25. Wäre das Leben kurz, so wären die, die dies behaupten, tot: mitten im Leben kann man dessen Länge oder Kürze nicht messen. Was sie meinen, ist die Jugend.

26. Wer auf den Kopf gefallen ist, muss mit beiden Füßen auf dem Boden stehen, und nicht selten auf allen Vieren.

27. Die Widerlichkeit des fremden Glücks liegt nicht in meinem Neid, sondern in der Zurschaustellung diesen zufälligen Glücks gegenüber meinem zufälligen Nicht-Glück mit dem moralisierenden Unterton, beide Zustände wären verdient.

28. Frauen, die nur das Eine können, wünschen sich Männer, die nur das Eine wollen.

29. Abtreibung erlaubt, so wird ein ungeborenes Kind zum Tode verurteilt. Abtreibung verboten, so wird eine Frau zum ungewollten Kind verurteilt. Das Dilemma entstünde erst gar nicht, wenn Man(n) das Banalste einsähe: niemand muss ficken.

30. Selbstjustiz an Gewaltmonopolisten, welche Notwehr zur Selbstjustiz erklären, ist Notwehr.

31. Die Bösgläubigkeit ist die andere Seite der Böswilligkeit.

32. Das Genie kreiert und vernichtet, die Masse erhält und besudelt.

33. Ein Held stirbt für Ideale, deren Zeit noch nicht gekommen ist. Ein Antiheld vernichtet Ideale, deren Zeit abgelaufen ist.

34. Etwas mehr Leid auf der Welt, und keiner würde mehr an Gott glauben; etwas weniger Leid, und niemand könnte an die Welt glauben.

35. Warum ich dich allein nach deinem Aussehen beurteile? Weil es das einzig Echte an dir ist.

36. Wäre die Welt nur ein Wenig realer, würde der Unterschied zwischen Geist und Materie verschwinden und wir könnten als Sinnenwesen nicht existieren; wäre die Welt dagegen etwas phantastischer, würden wir sie noch interessanter und bunter erleben, wüssten aber nichts davon.

37. Ein Gutmensch ist ein normativ Fehlgeschlossener.

38. Tote Nazis aus Friedhöfen zu entfernen ist der mutige Widerstandskampf unserer Zeit.

39. Kunst ist schön oder hässlich, Kitsch entstellt Schönes und verklärt Hässliches.

40. Warum diese Welt so schlecht ist: Dummheit macht nicht hässlich. Dem Geld sieht man seine Herkunft nicht an. Innere Werte kann man nur von Innen sehen.

41. Was muss nicht alles den Bach runtergehen, damit aus diesem ein Fluss wird?

42. Der Fleischkonsum ist nicht mit dem Naturalismus (Aber Tiere töten auch, um zu fressen!) zu rechtfertigen, denn wir Menschen leben nicht in der Welt der Tiere, sondern die Tiere leben in unserer Welt der Menschen.

43. Wo unten und wo oben ist, wird durch eine ewige Ontologie bestimmt, nicht durch eine Modeideologie.

44. Nur wer das Lieben lebt, liebt das Leben. Das Leben liebt, wer das Lieben lebt.

45. Es ist nicht die Aufgabe des Guten, hinter dem Bösen den Dreck abzuwischen.

46. Wen alle betrogen haben, ist mit jedem ins Bett gestiegen.

47. Was ist der Unterschied zwischen einem Buddhisten? Ein Koan.

48. Willst du eine Geisel mit serienmäßig eingebautem Stockholm-Syndrom? Mach ein Kind.

49. "Meine Kinder sollen es besser haben" bedeutet in der Regel nur "Meine Kinder sollen ihr Leben in einem größeren Hamsterrad verbringen".

50. Nicht dass keiner mit dem Kind spielen will, macht es zum Psychopathen, sondern dass das Kind von den Erwachsenen gezwungen wird, mit denen zu spielen.

51. Ausgerechnet die, die einem das Leben "schenken", bereiten einen als Kind auf dieses Leben oft so freud- und humorlos vor, als wäre dieses Leben eine Haftstrafe, die man ordnungsgemäß und ohne Zwischenfälle zu absolvieren hätte.

52. Manche Fragen halten wir für unlösbar, weil wir die gedankliche und hoffnungstechnische Freiheitsberaubung, die bereits existierende und korrekte Antworten auf diese Fragen uns zumuten würden, nicht vertragen können.

53. Die Legitimität einer Regierungsform lässt sich nicht daran messen, wie es den einfachen Menschen unter ihr ergeht, aber daran, wie es den komplizierten Menschen ergeht.

54. Zynisch macht die Erkenntnis, dass die Erkenntnis der hoffnungslosen Wirklichkeit nichts an dieser verändert; Zynismus entspringt der Erfahrung, dass Wissen ohne Macht Ohnmacht ist.

55. Wer ein Fehlen von empirischer Erfahrung mit Unwissenheit gleichsetzt - und nur die selbst gemachte Erfahrung als Prüfstein des Wissens zulässt, glaubt in Wahrheit (inkonsequenten Behauptungen des Gegenteils zutrotz), dass die Erde flach ist (die Anzahl der als Astronauten das Gegenteil erfahren habenden ist zu vernachlässigen), die Sonne die Größe eines Basketballs hat, und der Mond einen bei Vollmond mit einer lustigen Schnauze anlächelt.

56. Wer in Schubladen denkt, fühlt sich durch Allgemeinaussagen persönlich getroffen; für den Individualisten ist jede Verallgemeinerung nur ein Aspekt unter vielen.

57. Wer sich verfragt, muss sich verantworten.

58. Mit dem Alter wird die Weisheit korrupt.

59. Der wahrhaft Hochintelligente spricht mit einer arrogant anmutenden Selbstverständlichkeit von seiner hohen Intelligenz, jedoch nicht, um damit anzugeben, sondern um sie wie eine Behinderung - da sie ihm im Leben zu viele Nachteile gebracht haben wird - großzügig zuzugeben.

60. Der Seelenmord an einem Kind und die Blaupause für die physische Vernichtung eines Mitmenschen beginnen mit den Worten: Du darfst nicht so empfinden!

61. Liebe ist das unstillbare Bedürfnis, endlich nach Rom zu fahren, Sex ist der Harndrang kurz bevor dein Zug abfährt.

62. Echte Liebe ist wie guter Schlaf - tief und fest.

63. Es gibt zwei Arten von Mädchen: die es nicht geben kann, die es nicht gibt, und die es gibt.

64. Der Klügere stellt vor, der Dümmere stellt nach.

65. Lieber einsam, als zunullt. Besser allein zu sein, als ein Nichts. Für alle gestorben sein oder wie alle sterben? Glück(seligkeit) kann nicht sein ohne ein Subjekt, das glücklich ist. Wer sein Ich verleugnet (oder kein Ich hat), um durch Zuneigung, Anerkennung oder Bewunderung durch andere glücklich zu sein, kann nur so glücklich sein, wie eine Statue denkend, oder ein Affe politisch links oder rechts.

Das, was gemeinhin als Egoismus bezeichnet wird - wenn jemand andere nur benutzt, um seine Zwecke und Bedürfnisse zu erfüllen - , ist der ichlose Zustand eines Wesens, das sich selbst nicht genügt. Erst einer, der damit leben kann, dass er für alle gestorben ist, kann aus freien Stücken, und nicht aus einer abhängigen Position mit anderen interagieren.

Überhaupt gilt die Faustregel: Je wichtiger für jemanden die Gesellschaft von anderen Menschen ist, umso selbstsüchtiger ist dieser Mensch.

66. Man kann nicht eine höhere Reproduktionsquote zum Imperativ ausrufen, ohne sich auf derselben amoralischen Ebene mit der nationalsozialistischen Rassenhygiene zu befinden: hier wie dort gilt der Mensch nur als technisch gestaltbare Masse, und nicht als ein moralisches Subjekt.

67. Leidenschaftliche Zustimmung von Idioten lässt die kontroverseste Kritik als banales Geschwafel eines Schwachsinnigen erscheinen.

68. Wie zivilisiert ein Mensch ist, ist an der Höhe der Hemmschwelle zu erkennen, welche Ärger und Empörung bei ihm überwinden müssen, damit er aufhört, mit einem zu reden, und beginnt, über einen zu reden.

69. Das Leben ist ein nach meist langanhaltenden Komplikationen im Endeffekt immer erfolgreich verlaufender Sterbeprozess.

70. Wer denkt, dass es keine Seele gibt, hat noch nie einen Menschen geliebt; wer denkt, dass der Mensch eine Seele hat, hat noch nie einen Menschen kennengelernt. Die Seele ist das Unendliche, das in einen geliebten Menschen projiziert wird. Man glaubt immer, das Unendliche im Anderen gefunden zu haben, und merkt nicht, dass man es selbst auf den Anderen projiziert hat. Wie auch immer, man sieht nun das Unendliche im Anderen, - geliebte Menschen sind für Liebende das Beseelteste überhaupt.
Kennt man einen Menschen, kennt man alle seinen endlichen Zusammenhänge: seine Grenzen, seine Schwächen, seine geistige Beschränktheit. Kennt man einen zu gut, glaubt man irgendwann, einen Automaten vor sich zu haben, etwas Determiniertes und Berechenbares, von dem Unerwartetes nicht zu erwarten ist.

Weil man sich selbst genau kennt, kann man sich selbst nicht lieben, und ist gezwungen, sein Ich-Ideal auf einen anderen, selbstredend unbekannten Menschen zu projizieren.

71. Euphemismen für Diskriminierte durchzusetzen, macht die Diskriminierung unsichtbar, und schützt die Diskriminierer.

72. Das Leid aller ungewollt Kinderlosen dieser Welt zusammen ist eine geringere Tragödie, als das Schicksal eines einzigen ungewollten Kindes.

73. Auf Kruzifixe zu urinieren, ist symbolische Blasphemie; schöne Mädchen zu ficken, ist tätliche Gotteslästerung.

74. Es gibt keine Befreiung der Sexualität ohne die Befreiung von der Sexualität.

75. Ein Konzentrationslager ist, um es begrifflich zu fassen, ein Ort, an dem 1) der Mensch als Objekt (nicht als Subjekt, Person) behandelt wird, 2) die Menschen zu einer Masse konzentriert werden, und 3) die Existenz der Menschen künstlich prekär gehalten wird.

76. Das Anderssein eines Anderen ist nicht dein Problem, solange du nicht der Grund bist, aus dem es überhaupt zu einem Problem wird.

77. Ein Sinn des Lebens setzt Transzendenzfreiheit voraus: wenn ich mich nur in die Immanenz (das Weltganze) transzendieren kann, ist mein Leben sinnlos, und der Nihilismus somit Wahrheit.

78. Nichts ist gegensätzlicher als Liebe und Sex, und dennoch haben sie eine Gemeinsamkeit, die sie über den Tod hinaus verbindet: sie brauchen die Unsterblichkeit, um sich voll zu entfalten, und scheitern in der Enge und Kürze eines einzigen Lebens zwangsläufig.

79. Mit dem Tod ist das Ende vorbei.

80. Die Götter haben auch denen Verstand gegeben, die nicht an Gott glauben wollen.

81. Im Reich waren die Nazis stolz, welche zu sein; in der Republik sind die Nazis stolz, keine zu sein.

Die Diktatur fordert das öffentliche Bekenntnis, die Demokratie erzieht zur Tarnung. Darum ist, wer heute als Nazi "entlarvt" wird, mit großer Wahrscheinlichkeit weniger Nazi als der, der ihn "entlarvt".

82. Meinungsfreiheit bedeutet nicht, dass alle Meinungen gleichwertig sind.

83. Der scheinbar Bescheidene, der mit weniger glücklich ist, hat in Wahrheit einfach einen gröberen Geschmack.

84. Wenn dieses Leben alles ist, ist dieses Leben nichts.

85. Wer allein mit seiner Meinung steht, hat sich vielleicht nur geweigert, Idioten zuzustimmen.

86. Es ist nicht leicht, in Deutschland politisch rechts zu sein: man wird ständig rechts überholt und links überrundet; gleichwohl verdient jeder Deutsche, der es schafft, in einem geistigen Klima der politisch-moralischen Hysterie mit stoischer Ruhe auf (s)einer rechtskonservativen Position zu verharren, ein gewisses Lob, während Gesinnungsschnüffelei in Deutschland (nun wirklich) historisch vorbelastet ist.

87. Frauen sind natürlich gegen den Krieg. Darum füttern sie so gern die Kanonen.

88. Moralität ist schamhaft; die Schamlosigkeit des moralischen Furors zeugt weder von selbstaufopferungsvoller Radikalität noch von eitler Selbstgerechtigkeit, - sie verrät vielmehr das Fehlen einer moralischen Lebenshaltung.

89. Ehrfurcht vor dem Leben - das ist der grausame Vitalismus der Nazis und Satanisten aus einer Geburtshelferperspektive; das Leben ist eine Bestie, die der Geist zähmen muss.

90. Einer logischen Kritik an ihren Methoden darf sich die Wissenschaft nicht verschließen, gegenüber einer ideologisch motivierten Kritik der Ergebnisse muss die Wissenschaft dogmatisch reagieren.

91. Man sagt, im Namen der Religion wurden Millionen Menschen umgebracht, doch wurden sie für die Religion, für (einen) Gott, oder für eine Religionsgemeinschaft umgebracht? Ist es nicht so, dass Menschen seit jeher für die eigene Gruppe getötet haben, und Gottesbild und Flagge nichts weiter als Erkennungszeichen der Gruppe waren?

92. Es ist eine weit verbreitete Torheit, Leichtigkeit mit Verantwortungslosigkeit zu verwechseln, dabei ist das bewunderte "Verantwortung übernehmen" oder das als heldenhaft verklärte "es schwer haben" nur die Konsequenz einer Sünde, - die Sünde war es, die man freiwillig gewählt hat, und die Konsequenzen haben sich aus dieser Wahl zwangsläufig ergeben.

93. Als die Sünde noch bereut wurde, hatte sie in ihrer Tragik Würde, und der Sünder Größe, aber seit sie als natürlich und normal gerechtfertigt und als Privatsache verteidigt wird, ist sie nur noch eklig.

Hat der Betrachter bei einem reuigen Sünder noch die Wahl, ihn zu verurteilen oder zu bedauern, kann er bei einem sich rechtfertigenden Sünder nur noch angewidert wegschauen.

94. Der gemeine Massenmensch toleriert noch den perversesten und abscheulichsten Brauch, solange mit diesem Gemeinschaft verbunden ist, doch beim leisesten Anzeichen der Individualität wird er intolerant, individuelles Anderssein empört ihn.

95. "Du bist nichts Besonderes!" sagt er zu mir, und dann dieser Blick, der ahnen lässt, dass er in Wahrheit meint: "Ich bin nichts Besonderes, und du hast gefälligst auch nichts Besonderes zu sein!" Mir bleibt nur mitleidiges Nicken.

96. Sich vorzustellen, wie es ist, dumm zu sein, ist für einen intelligenten Menschen genauso unmöglich, wie etwas auf Kommando zu vergessen. Nicht zuletzt deshalb sind intelligente Menschen auf dem Dummheitsauge blind und neigen unmittelbar dazu, andere Menschen intellektuell zu überschätzen. Für einen Halbklugen ist das Nichteinverstandensein mit seiner Meinung ein sicheres Kriterium der Dummheit, weshalb ihm Genies und Idioten gleich dumm vorkommen. Im seligen Zustand der Dummheit hat die Letztere kein Gegenpol, weshalb absolute Dummheit subjektiv als Allwissenheit erlebt wird.

Sobald die Unmittelbarkeit aufgehoben, wird die Dummheit erkannt; ein bloss subjektiver Blick kann die Dummheit so wenig sehen, wie das Nichts mit blossem Auge gesehen werden kann.
Dem Halbklugen wird mal die mal jene zufällige Meinung zur absoluten Wahrheit, weshalb man sich nicht wundern sollte, wenn man von einem Tag auf den anderen in den Augen eines Halbklugen scheinbar nur in der Laune des Letzteren begründet zum Dummkopf wird (Der Halbkluge ist tatsächlich "enttäuscht" von dir, wenn die Meinungskonvergenz auf einmal nicht mehr vorhanden ist; er nennt dich nicht aus gekränkter Eitelkeit - die allenfalls zur Intonation etwas beiträgt - einen Dummkopf, sondern er glaubt wirklich, du wärst dumm). Den Seligen, völlig neidlos: Glückwunsch zur Dummheit. Vielleicht doch nicht völlig neidlos - welcher kluge Kopf wünscht sich nicht, auch mal im Denknirwana versinken zu können...

97. Heute scheint hinter der Maske der totalen Sexualaufklärung (z.B. "sexuelle Vielfalt" als Schulprogramm für 10-Jährige) wieder ein Hintertürchen zur gesellschaftlichen Akzeptanz von Kindesmissbrauch aufzugehen (indem die Freiheit sexueller Minderheiten über das Kindeswohl gestellt wird). Die Sexualaufklärung der 60-er Jahre hat leider ein rosarotes Bild von der Sexualität in der Öffentlichkeit vermittelt, und die Aufklärung über die dunklen Seiten der (auch gewaltfreien) Sexualität vernachlässigt.

98. Der Trostspruch "Das Leben geht weiter" meint bei genügender Ehrlichkeit nicht das Leben des untröstlichen zu Tröstenden, sondern das Leben an sich, und müsste sinngemäß "Das Weitere geht leben" lauten - "..und du weißt genau, mit welcher - einzigen in deinem Leben - mutigen Tat du dich selbst von deinem Elend erlöst und den Anderen nicht mehr zur Last fällst".

99. Kants Kopernikanische Wende in der Philosophie (nicht die Gegenstände bestimmen die Vorstellungen, sondern die Vorstellungen bestimmen die Gegenstände) als wissenschaftliches Paradigma: die Methode bestimmt ihren Gegenstand. So evident Finalursachen in der Natur sind, so unmöglich kann es sie geben, da sie in der naturwissenschaftlichen Methode zum Unwissbaren gehören (und somit metaphyisch bzw. transzendent sind). Auf die Spitze getrieben: Was ich nicht sehe, sieht mich nicht; was mein Gerät nicht messen kann, existiert nicht; was meine Theorie nicht erlaubt, ist unmöglich.

100. Der ethische Solipsismus Kants (Pflichterfüllung als Selbstzweck; der Glückseligkeit würdig werden, ohne sie in Aussicht gestellt zu bekommen) ist kein Egoismus, sondern eine Überschreitung der Grenzen der Privatsphäre durch eine absolut gesetzte Ethik, eine Ethik, die selbst in der Einsamkeit nicht sinnlos wird, und vor deren Forderung man sich auch mangels anderer Menschen oder in Ermangelung verwirklichungswürdiger Werte in der Welt nicht verstecken kann.

101. Ein Kind, das seine Eltern fragt, mit welchem Recht sie es in die kindliche Hilflosigkeit hinein gezeugt haben, in diese erniedrigende Lage ohne die Möglichkeit einer Wahl versetzt, bekommt in der Regel als Antwort die Gegenfrage, wer denn all die Zeit für das Kind gesorgt habe. Dem Kind wird also dieselbe Hilflosigkeit zum Vorwurf gemacht, in die hineinversetzt worden zu sein es treffenderweise als Unrecht empfindet.

102. Für den Verschwörungstheoretiker handeln menschliche Akteure stets rational und perfekt wie ein Uhrwerk, so dass er Zufall, Dummheit und Fehler niemals in Betracht zieht, - für ihn gelingt die böse Absicht immer, die angeblich hinter einem Ereignis steckt. Für den leicht als Dummkopf erscheinenden konformistischen Naivling, der eigentlich ein Zyniker ist, der sich dumm stellt, handeln stets Sachzwänge und niemals Menschen: für ihn reagieren menschliche Akteure auf bestimmte Gegebenheiten, und es kommt, wie es kommt.

103. Mehrererlei Maß: Wir dürfen Sexualität für Sünde halten, aber nicht die Homosexualität; wir dürfen über Religion lachen, aber nicht über den Islam; wir dürfen den Menschen als das Krebsgeschwür der Erde bezeichnen, aber keinen bestimmten; wir dürfen anderen Menschen wahllos den Tod wünschen, aber niemals einem Verbrecher die Todesstrafe; wir müssen jedes Leben schützen, aber nicht das Leben im Bauch einer schwangeren Frau; wir müssen jeden als freie und selbstverantwortliche Person respektieren, doch dürfen niemandem seine Taten zurechnen.

104. Wenn das Leben zu kurz erscheint, ist es zu lang: zu lang, um es zu leben, so lang, dass man ins Grübeln kommt, und anfängt, aus einem Leben viele Leben zu machen, indem man alle Optionen, die man hat oder hätte, in mehreren Lebensszenarien durchspielt. Das Leben ist nicht zu kurz, man hat vielmehr zu wenige Leben für die gegebene Zeit, und zu viel Zeit für das einzige Leben, das man hat.

105. Je weiter die Frauenemanzipation fortschreitet, umso stärker setzt der Feminismus das Bild der hilflosen schutzbedürftigen Frau in der Öffentlichkeit durch. Der scheinbare Widerspruch löst sich dadurch, dass Frauen im Laufe der Emanzipation den männlichen Blick auf die Frau übernehmen; der traditionellen, "nicht-emanzipierten" Frau erscheint die Vorstellung vom hilflosen, schutzbedürftigen und benachteiligten schwachen Geschlecht dagegen als das, was sie in Wahrheit ist: eine Männerphantasie.

106. Nutzlos zu sein - das Schlimmste für einen Menschen, der sich als Ding betrachtet.

107. Im Himmel ist Kindheit keine Entwicklungsphase auf dem Weg zum Erwachsenwerden, sondern Selbstzweck.

108. Wäre unser Wesen Vernunft, wie in der Antike angenommen, hätte Epikur nicht fragen müssen, warum die Lebensmüden nicht freiwillig dem Leben ersterben, denn es gäbe keinen Anlass dazu - sie würden alle Selbstmord begehen und dabei grinsen.

109. Der Freitod hat alle edlen, vernünftigen, sympathischen Motive auf seiner Seite. Das Leben wird von niederträchtigen Motiven verteidigt, - ohne Bosheit, ohne Grausamkeit ist eine Bejahung des Lebens nicht möglich.

110. Die Unfähigkeit zum Selbstmord macht aus einem Drama eine Katastrophe.

111. Der gesunde Böse ist ein Bösewicht, der kranke Böse ein Psychopath, der gesunde Gute ein Held, der kranke Gute ein Heiliger. Krank und böse gleichzusetzen bedeutet, zwischen Heiligen, Bösewichten und Psychopathen nicht unterscheiden zu können.

112. Leistung ruft nur übelwollenden Neid hervor. Debile Loyalitätsdemonstration, dümmliche Prinzipienreiterei, haarspalterische Intelligenzelei wird respektiert. Glück, Herkunft, Aussehen sind die wesentlichen Bewertungskriterien für eine Person. Faulheit gilt als Beweis für hohe Intelligenz und überlegene Ruhe; Fleiss bedeutet Dummheit und Unsicherheit.

113. Bei völliger Bedeutungslosigkeit der Person, welche vom Nichts nur einen Quantensprung entfernt ist, ist demonstrative Bescheidenheit logisch eine Banalität und moralisch eine Anmaßung, eine Hochstapelei, denn der einzige aufrichtige Ausdruck der Bescheidenheit auf dieser Ebene ist ein stiller und heimlicher Rückzug ins Nichts.

114. Dass höhere geistige Tätigkeit erst mit einem hohen Leidensdruck beginnt, ist kein Geheimnis, und so ist es eher eine Nahme denn eine Gabe, die Denker entstehen lässt. Um ein guter Schriftsteller oder Dichter zu sein, muss jedoch eine weitere Nahme dazukommen: die intellektuelle Beschränktheit, und gemeint ist nicht die Imbezillität, sondern dass man intelligenter als Otto, aber nicht zu intelligent sein darf, um gut schreiben zu können, - sonst denkt man zu viel, zu tief, denkt ein Loch durchs Medium hindurch, welches das Werk verschlingt.

115. Die wahre, die reifere, paranoidere Eifersucht fürchtet nicht den Verlust, sondern die Entweihung des Liebesobjekts.

116. Erst wenn der Ekel vor der Welt zur Pose wird, beginnt man, an ihm zu leiden; wer sich wahrhaft vor der Welt ekelt, ekelt sich bald nicht, und hat für ihre Nichtigkeit nur teilnahmslose Verachtung übrig. Das Getrenntsein von der Welt in seinem Geiste wird ihm gar zum Genuß, der daraus entspringt, dass die Welt, wie sie sich auch dreht und quält, diese Trennung nicht überwinden kann - sie bleibt ihm ein Nichts. Wer mit der Welt jedoch innig verbunden ist, und sie im Grunde seines Wesens bejaht, leidet an ihr, die kontingenterweise zu seinen Lebzeiten so und nicht anders ist, - zu ohnmächtig, sie nach seinem Gutdünken zu ändern, kapselt er eine küstliche Identität von sich und der Welt ab, und sieht, immer wenn er mit Verachtung auf die Welt herabsieht, auch auf sein wahres Selbst herab; diese Zerrissenheit wird in der Regel nicht durch den steilen Weg zur geistigen Souveränität überwunden, sondern durch das Sich-Selbst-Ändern, durch eine regressive Läuterung, eine Rückkehr in den lauwarmen feucht-schwülen Schoß der hassgeliebten Welt.

117. Für das theoretische Erkennen gibt es Kontingenz und Notwendigkeit, Freiheit ist aber nirgends zu beobachten noch logisch von etwas abzuleiten; Freiheit gibt es nur im Praktischen, in der Innenperspektive, - das Ich ist unmittelbare Freiheit, von nichts Äußerem abzuleiten, und hat den Grund seines Daseins in sich selbst. Freiheit ist Innerlichkeit, Unableitbarkeit vom Äußeren überhaupt, jedoch ist diese theoretische Erkenntnis ohne ihre unmittelbare praktische Faktizität nicht zu gewinnen.

118. Angenommen, das Universum sei ein Spiel Gottes mit sich selbst, in dem er aus seiner Göttlichkeit heraustritt und sich in die Endlichkeit und Kontingenz wirft. Was hat das mit uns menschlichen Subjekten zu tun? Als ontologische Avantgarde bestimmen wir, wie das Spiel nun weiter geht, und allein dies ist unsere Rolle im Universum, - als Subjekte gehen wir Gott nichts an, nur als Spielfiguren, die sein Spiel gelingen oder misslingen lassen können. Was geht uns dieser Gott an, der uns äußerlich ist, eine fremde ohnmächtige Macht, die uns zwar verursacht hat, aber zu nichts zwingen und mit nichts locken kann? Nichts. Betrachten wir uns selbst als göttlich, so dass Gott uns nicht äußerlich ist, dann können wir überhaupt nichts falsch machen - weder als Einzelne noch als Menschheit insgesamt.

119. Dass etwas aus dem Nichts entstanden sein könnte, Leben aus Leblosem, und schließlich Selbstbewusstsein, ist so unwahrscheinlich, dass die wildesten Schöpfungsmythen der primitivsten oder ältesten Kulturen dagegen höchst plausibel wirken. Sobald ich aber anfange, mir eine wirklich gewollte, vernünftig und liebevoll geschaffene Welt vorzustellen, muss ich alle Schöpfungsgedanken verwerfen, und kann jede Welterklärung außer des Gedankens der ziellosen und nihilistischen Evolution nur für blasphemisch halten.

120. Kategorien sind Überschneidungspunkte von Seinsweisen und Aussageweisen; außerhalb davon sind Seinsweisen alogisch und Aussageweisen unsinnig.

121. Nicht nur beim Schreiben und Dichten ist übermäßige Intelligenz eher eine Behinderung, auch der Tatendrang lässt bei extremer Klugheit nach, - so gibt es (bis auf einige Psychopathen) keine hochintelligenten Terroristen, Helden, Tyrannen, wie es (bis auf Goethe) keine wirklich genialen Dichter gibt. Der Lebenskluge schafft es zum besten Dichter (Shakespeare) oder zum schrecklichsten Tyrannen (Stalin), der Hochintelligente lebt aber unbemerkt an der Welt vorbei, und empfindet die Nichtbeachtung seiner Intelligenz angenehm als ausbleibende Belästigung.

122. Der Säugling ist Tier, der Erwachsene ist Gott; das Kleinkind ist Sklave, der Erwachsene ist Sklavenhalter; das Kind ist Leibeigener, der Erwachsene ist Feudalherr; der Heranwachsende ist Besitzloser, der Erwachsene ist Eigentümer - ein normaler, durch den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes bedingter Vorgang (der Säugling muss fortwährend am Leben gehalten werden; das Kleinkind bringt sich in Lebensgefahr, wenn es nicht physisch gezwungen (durch physische Kraftanwendung von Handlungen abgehalten) wird; das Kind braucht klare Regeln und feste Autoritäten; der Heranwachsende kann noch keine Erwerbsarbeit leisten, und muss dies noch lernen). Normal ist aber auch, dass nach dem Ablauf der jeweiligen Phase die Letztere auch emotional in beiden sich aufeinander als Kind und Bezugsperson beziehenden Köpfen überwunden wird, - an einem bestimmten Punkt der geistigen Entwicklung des Kindes (meist am Beginn der Emanzipation seiner Persönlichkeit) kommen die Erwachsenen nicht mehr mit oder verfallen emotional in einen Regress, welcher die an sich selbst unproblematische Pubertät des Kindes erst zu einer kritischen Zeit für beide Parteien macht.

123. Wer zurecht Ich zu sich sagt, käme nie auf die Idee, ein Kind in die Welt zu setzen: er ist selbst zu sehr Einzelwesen, um sich in der Gattung zu verlieren, und hat zu viel Respekt vor dem Ich des werden könnenden Menschen. Wer kein Ich hat, ist dennoch ein äußerlich Einzelner, wie etwa ein Affe oder ein Baum, und kann alles vom Bauchweh bis Beleidigtsein empfinden, - was er nicht kann, ist, sich selbst zu denken, und den Anderen als ein Ich zu denken. So jemand setzt gedankenlos Kinder in die Welt, wobei hier vielmehr nicht er selbst, sondern die Gattung durch ihn handelt, indem sie ihn durch unzählige Manipulationsmöglichkeiten durch Triebe, genetische Veranlagungen und Hormone als Vehikel zu ihrer Fortpflanzung benutzt.

124. Immer wenn er sich über geduldete Verbrechen gegen die Menschlichkeit empörte, wurden ihm seine Bagatelldelikte vorgehalten.

125. Dieselben Wesen, die, wenn man annimmt, dass sie durch ungerichtete Evolution entstanden sind, einem Ehrfurcht vor der Natur abnötigen, erscheinen kränklich, hässlich und widerlich, sobald man einen allmächtigen Schöpfer als ihren Ursprung annimmt. Paradoxerweise ist es gerade die nihilistische Evolutionstheorie, die Menschen zwingen kann, die Natur zu bewundern und entsprechend zu schonen, während die Idee der gezielten Erschaffung in Anbetracht dessen, was da vom höchsten Geist angeblich gezielt erschaffen wurde, einen Menschen mit solchem Ekel erfüllen muss, dass er nicht anders kann, als die Schöpfung für ein Werk eines bösartigen Demiurgen zu halten, und sie entsprechend lieblos zu behandeln.

126. Sollte ich in meinem aktuellen Leben Kinder zeugen, so werden sie nicht in eine meiner Traumwelten gesetzt, sondern in diese eine, von der wir alle wissen, wie sie ist: selbst in der Frage, ob es gut ist, dass sie ist, und nicht stattdessen nichts, besteht keineswegs Einigkeit unter den in ihr lebenden vernunftbegabten Wesen. Da ich nicht zaubern kann, muss ich davon ausgehen, dass meine Kinder es nicht besser haben würden, als ich selbst, und ich hatte es folgend: alle Herzenswünsche wurden mir - von mir unverschuldet - versagt. Nun handelt derjenige gut, der in der Hinsicht auf sich selbst aus vernunftgemäß eingesehener Pflicht (nach dem kategorischen Imperativ) handelt, und in der Rücksicht auf seine Mitwesen versucht, deren Glückseligkeit zu befördern, solange dies dem Ersteren nicht zuwiderläuft. Ich kann es aus moralischen Gründen nicht verantworten, Kinder in die Welt zu setzen, und alle Gründe außer den von mir genannten sind amoralisch, wie rührend sie auch sein mögen.

127. In einer Welt, in der Wunder (Handlungen und Tatsachen wider die Naturgesetze) möglich sind, hat das moralische Gesetz keinerlei Wert, da seine Grundlage, die Form der Gesetzmäßigkeit, dadurch aufgehoben ist. Eine religiöse Lehre, die moralische Gesetze aufstellt, und zugleich Wunder postuliert, widerspricht sich selbst, und ist nichts als Aberglaube.

128. Es kann keine seelenheiltechnischen Extrawürste geben, und einer, der aufgrund besonderer Verdienste oder aus vermeintlicher Erwählung solche für sich beansprucht, kann niemals Gegenstand der Bewunderung werden, und muss vielmehr Ekel auslösen. Ob gemeiner Verbrecher, König oder Religionsstifter, ein Übeltäter kann nicht nach einem besonderen Gesetz selig werden, sondern muss eine totale Demütigung in der Vernichtung seines das Böse gewählt habenden Willens erfahren; die Reinheit des heiligen Ortes, der gemeiniglich der Himmel genannt wird, duldet keine ungewaschene Sau, wiewohl keine gewaschene, mit ihrem Herzen am Drecke hängende Sau.

129. Ein Himmelreich, welches als ein bloß physisches Paradies, als ein berauschendes Fest der Sinne, ohne die Bedingung der Würdigkeit, glücklich zu sein, vorgestellt, ist für jeden, der in seinem Lebenswandel anstrebt, der Glückseligkeit würdig zu sein, nur ein schwüler Harem für niederträchtigste Schurken, worin er bei aller Bescheidenheit in Anbetracht seiner Selbst, und doch bei der mindesten Achtung seines moralischen Ideals, niemals ein erstrebenswertes Ziel für sich sähe, und vielmehr bestrebt sein müsste, der übelriechenden Umarmung des über das jenseitige Schicksal obwaltenden Willkürherrschers durch konsequente Verweigerung jeglicher Ehrerbietung, oder gar durch gezielte Missachtung, Beschimpfung und Verletzung seiner Majestät, hierbei in allen moralischen Dingen ungeachtet dessen gleichwohl nach Perfektion strebend, zu entkommen.

130. Das Unzuchtverbot für Geistliche (welches nicht einmal in allen Kirchen gefordert wird) wirkt umso bizarrer, je fester sich die Ansicht in die propagandageschundenen Hirne der Leute krallt, der Mensch sei bloß ein Tier, und nichts weiter. Das Zölibat käme auch dem gewöhnlichen Intellektualproleten wesentlich selbstverständlicher vor, wenn sich die Forderung danach auf weitere Berufsgruppen wie etwa Lehrer, Politiker, Rechtsanwälte, Manager, Models und DJs erstrecken würde.

131. Das negativ Hässliche pervertiert die Form des Dings, an welchem es parasitiert; das positiv Hässliche ist Formloses, das sich in eine zufällige Form fügt. Das negativ Hässliche verursacht Schmerz und Entsetzen beim Betracher, da er die eigentliche Form und somit die Möglichkeit der Schönheit des negativ Hässlichen weiß; das positiv Hässliche lässt Ekel und Horror empfinden, da es der Formlosigkeit positives Dasein gibt, und somit die Form als solche zu verzehren droht.

132. Solange das Wort "Ich" im Satz "Ich will sinnvoll leben" vorkommt, kann er nicht "Ich will als Mittel zum Zweck der Weltverbesserung gebraucht werden" verstanden werden.

133. Hegels angeblicher Seinsoptimismus, den viele seit Schopenhauer als eine Apologie des Bestehenden im metaphysischen Sinne gedeutet haben, ist angesichts dessen, mit welchem Zynismus derselbe Hegel überall die Grausamkeit und Sinnlosigkeit allen endlichen Daseins formuliert, vieleher die Euphorie eines Forschergeistes, der sich über seine Entdeckungen freut. Wie Naturforscher fasziniert von den selbst entdeckten Grausamkeiten im Tierreich berichten, so ist auch die affirmative Haltung Hegels zu deuten: nicht als Zustimmung zum Bestehenden, sondern als Lust an der Erkenntnis, was die Welt so zusammenhält.

134. Das Schöne ist der unmittelbare Sinn des Lebens: es ist der Sinn des Lebens, bevor man überhaupt die Frage danach stellt; fragst du dich nach dem Sinn des Lebens, so wurde der ursprüngliche Sinn - die angeborene Hoffnung auf die Begegnung mit dem Schönen in Liebe - in deinem Leben vereitelt.

135. Wenn es kein Leben nach dem Tod gibt, dann ist der geistesphilosophisch unhaltbare Materialismus keine falsche Annahme, sondern eine bloß für den menschlichen Verstand unbeweisbare Wahrheit. Menschliches Denken kann das Ich nicht wegkürzen, und wird deshalb niemals zu einer rein objektivistischen, physikalischen Welterklärung gelangen. Theoretisch ist der Materialismus unbeweisbar, aber wenn es kein Leben nach dem Tod gibt, so ist der praktische Beweis des Materialismus vollzogen: dann wissen wir zwar nicht, wie das Nichts, das wir Ich oder Seele nennen, eine innere, subjektive Dimension der Wirklichkeit vortäuschen kann, aber wir wissen, dass es ein Nichts ist, und unser Selbstbewusstsein keine Realität hat. Dass es jemanden - ein seiner Selbst bewusstes Wesen - jedoch geben muss, der getäuscht wird, wenn das Selbstbewusstsein eine Täuschung ist, ist im Falle der Sterblickeit der Seele kein Beweis für die Wirklichkeit des immateriellen Subjekts, sondern bloß eine Aporie an der Erkenntnisgrenze des menschlichen Verstandes.

136. Ohne ihre großen Persönlichkeiten wäre die Weltgeschichte belanglos, eine bloße Chronologie des sinnlosen Wühlens im Dreck und Streitens um Landfetzen und Lumpen. Doch große Persönlichkeiten können wiederum nur von großen Persönlichkeiten erkannt werden: ohne Menschen, die fähig sind, der Welt Bedeutung zu verleihen, wäre alles auf der Welt bedeutungslos.

137. Ob ich glaube oder nicht glaube, ist völlig egal, denn von meinem Glauben hängt es nicht ab, ob es ein (anderes, wahres) Leben nach dem Tod gibt; und ob ich glaubend oder zweifelnd hoffe, in einem anderen Leben mein wahres Zuhause zu finden, ist ebenfalls egal, denn mehr als Hoffen ist ohnehin nicht möglich.

138. Dass es das Himmelreich gibt, hoffe ich um des Schönen willen; dass es die Hölle gibt, hoffe ich um des Guten willen. Die Wahrheit von Himmel und Hölle ist ewig und unzerstörbar; meine bescheidenen Hoffnungen zielen allein auf die empirische Realität beider.


Anmerkung von Terminator:

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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (02.12.20)
Manches davon ist wirklich einzigartig. Manches komplex bis man es versteht, insbesondere jene Weisheiten, die sich über mehrere Sätze erstrecken und manches ist wiederum sehr subtil. Was mir so oft vorm inneren Auge als Schemen vorschwebte und ich’s nur halb zu deuten gewusst habe, entstrickt hier so manche Weisheit den Knoten im Geiste von der ein und derselben Erkenntnis, die sich offenbaren wollte, die aber ohne weiteres eigenes Bemühen auf halben Wege stecken und deshalb verworren blieb.

Ave

 eiskimo (02.12.20)
Ich finde die Nr. 62 gut!
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